Der Terrorist als Unternehmer - der Unternehmer als Terrorist
Ein interessanter Blick auf die wirtschaftliche und soziale Basis des Terrorismus
In der Züricher Wochenzeitung "Weltwoche" erschien am 20. September 2001 ein interessanter Hintergrundbericht über die Finanzierung des internationalen Terrorismus ŕ la Osama bin Laden. Die Autoren Pierre Heumann und Artur K. Vogel behaupten darin, dass die meisten Terroristen um Osama bin Laden keineswegs aus den ärmsten und unterdrückten Schichten islamischer Staaten stammen, sondern aus deren Oberschicht. Dies ergebe sich beispielsweise schon daraus, dass zur Vorbereitung auf die Anschläge von New York und Washington vom 11. September 2001 mindestens 100 Personen und etwa zwei Jahre nötig gewesen sein müssten. Das schätzt jedenfalls der israelische Geheimdienst Mossad, dem man hierin ein hohes Maß an Experten- und Insiderwissen unterstellen kann. Das heißt aber auch: Solche Terrorunternehmen kosten eine Menge Geld.
Der Artikel erschien nunter dem Titel "Der Terrorist als Unternehmer - der Unternehmer als Terrorist" und war auch so gemeint. Wir dokumentieren im Folgenden einige Auszüge.
...
Osama bin Laden würde man zutrauen, ein solches Unternehmen zu führen
- den multinationalen Terror-Grosskonzern namens al-Qaida ("die Basis"),
dessen Ehrenvorsitzender er ist. Man müsse sich Bin Laden als
"Präsidenten einer Terror-Holding" vorstellen, meinte der amerikanische
Aussenminister Colin Powell vor einigen Tagen. Tatsächlich ist er zuerst
einmal ein brillanter Geschäftsmann: 1968, als 13-Jähriger, soll Bin Laden
etwa achtzig Millionen Dollar geerbt haben, nachdem sein Vater
Mohammed, ein milliardenschwerer Bauunternehmer, bei einem
Helikopterabsturz ums Leben gekommen war. ... Osama wusste das Geld geschickt zu verwalten, zu
mehren und am richtigen Ort auszugeben ...
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Bin Laden .. wurde unter dem Einfluss seines Uni-Religionslehrers
Abdallah Azzam, eines charismatischen Palästinensers, zum Fanatiker, der
ab Ende der siebziger Jahre nur noch das Ziel hatte, den Islam gegen die
Gottlosen zu verteidigen, gegen sowjetische Aggressoren, vor allem aber
gegen Amerikaner und Juden. Konsequenterweise finden wir Bin Laden
Anfang der achtziger Jahre in Afghanistan, wo er Trainingscamps für
arabische Mudschahedin unterhält, in denen das Handwerk des Heiligen
Kriegs gegen die roten Besatzer gelehrt wird. Die Waffen stammen unter
anderem aus Amerika; Saudi-Arabien fungiert als Geldgeber. Mit Erfolg:
Geschlagen ziehen die Sowjets 1989 ab. Das Regime in Moskau bricht
zusammen, das Sowjet-Imperium auseinander: Der Feind ist besiegbar -
das lernt Bin Laden in jenen Jahren.
In der Nacht auf den 2. August 1990 besetzte Saddam Hussein Kuwait.
Saudi-Arabien fühlte sich bedroht. Osama bin Laden bot seine Armee von
3000 bis 5000 Mudschahedin an, doch das Saudi-Regime stützte sich
lieber auf die Hilfe der Amerikaner und liess das Unfassbare zu:
Ungläubige verteidigten Mekka und Medina, die Heiligen Stätten des
Islam. Grösste Schmach für jeden Rechtgläubigen war die Tatsache, dass
sich im neuen Kreuzritterheer Frauen in Hosen und kurzen Ärmeln
befanden.
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Bin Ladens wichtigste geschäftliche Verbindung dürfte jene zum
50-jährigen ägyptischen Arzt Ayman al-Zawahiri sein, dem Gründer der
ägyptischen Untergrundorganisation Islamischer Heiliger Krieg. Zawahiri ist
Ägyptens meistgesuchter Mann; er soll 1981 die Ermordung von Präsident
Anwar as-Sadat mitorganisiert haben.
Eine zentrale Rolle spielt ein weiterer Ägypter, Mohammed Atef, ein
ehemaliger Afghanistan-Kämpfer. Er ist Mitgründer und Kommandant von
al-Qaida, der "Basis": Wenn Bin Laden deren Verwaltungsratspräsident
ist, so fungiert Atef als operationeller Konzernchef. Auf privater Basis
haben die beiden am vergangenen 9. Januar ihre Geschäftsbeziehungen
besiegelt: Bin Ladens ältester Sohn heiratete eine Tochter Atefs.
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Einst war der typische nahöstliche Terrorist ein unterprivilegierter, 16- bis
25-jähriger Mann, oft aus einem trübseligen Palästinenserlager. Er kannte
nur Armut und Langeweile, hatte nichts zu verlieren, war zu allem
entschlossen, weil alles besser war als seine klägliche Existenz. Die Jungen,
die sich Sprengstoff und Zünder umschnallen und sich vor israelischen
Diskotheken, in Einkaufszentren oder auf Busstationen als menschliche
Bomben zum Detonieren bringen, entsprechen noch immer diesem Bild. ...
Moderne Terror-Professionals sind anders. Die rund zwanzig bisher
identifizierten Attentäter, welche die vier amerikanischen Flugzeuge zu
tödlichen Cruise Missiles umfunktionierten, stammen aus der Mittel- und
Oberschicht Ägyptens, Saudi-Arabiens, der Golf-Emirate, des Libanon.
Mohammed al-Amir Atta zum Beispiel: Der 33-Jährige lenkte mit vier
Kumpanen den Flug 11 der American Airlines von Boston nach Los
Angeles zum Nordturm des World Trade Center um. Atta stammt aus dem
Bürgertum Ägyptens, studierte in Hamburg Stadtplanung, schloss 1999 ab.
Er galt als fleissig, sprach perfekt Deutsch, trank keinen Alkohol, hatte
keine Freundin, trug jahrelang einen Bart.
Über Politik und Religion habe er kaum geredet, sagen Kommilitonen
Attas in einer umfangreichen Recherche der Zeit. Nur einmal, als in einem
Seminar die Entwicklung Kairos behandelt wurde, habe Atta die
beschleunigte Amerikanisierung beklagt. Eines aber ist Attas Kommilitonen
aufgefallen: Der Student sei "geprägt gewesen von Verbitterung und
Depression", vom "Gefühl, ohne Zukunftsaussichten zu leben".
Der Terrorist von New York ist damit kein Einzelfall. In den reichen
arabischen Staaten, aber auch in Ägypten, Jordanien, im Libanon und in
Syrien wachsen eigentliche No-Future-Generationen heran, privilegiert auf
den ersten Blick, unterdrückt auf den zweiten. Überfluss, gepaart mit
politischer Unterdrückung, rasante McDonaldisierung unter gleichzeitiger
Beibehaltung archaischer Strukturen und religiösen Zwangs züchten eine
spezielle Spezies junger Leute heran: westlich im Lebensstil, aber gefangen
in einem politisch-religiösen System, das die Aufklärung noch nicht hinter
sich hat.
Das äussert sich im Verhalten: junge Männer, die in deutschen Limousinen
mit 200 Stundenkilometern über Kuwaits Stadtautobahnen donnern. Die in
Ammans Nachtklubs nicht einen Whisky bestellen, sondern eine Flasche.
Die im Ausland High-Risk-Sex fordern und zu Hause barfuss in die
Moschee gehen. Gleichzeitig verwöhnt und emotional verkümmert,
arrogant und verunsichert.
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Einst beschränkten Terroristen ihre Refinanzierungsbasis auf die Region
oder auf die Nation. Heute stützen sie sich zunehmend auf die grosse Welt.
Der Anteil staatlicher Gelder ist zurückgegangen; er konnte durch eine
Zunahme privater Zuwendungen mehr als kompensiert werden. So sind die
hauptsächliche Einnahmequelle der libanesischen Schiitenorganisation
Hisbollah nicht mehr die Schecks aus Teheran, sondern das Kleingeld aus
den Spendeboxen in libanesischen Geschäften, vor allem aber die
Überweisungen reicher Schiiten im Ausland.
...
Osama bin Laden hat für seine Terror-Firma noch weitere
Finanzierungsmöglichkeiten erschlossen. Zum Beispiel sind einige seiner
Firmen erfolgreich an der Börse tätig. Europäische, amerikanische und
japanische Aufseher wollen jetzt abklären, ob Bin Laden Synergien aus
den Terroranschlägen in den USA genutzt haben könnte: Mit
Leerverkäufen der Aktien von Firmen, deren Kurse nach den Attentaten
unweigerlich sinken mussten, könnte Bin Laden sich an der Katastrophe
von New York auch noch bereichert haben. ...
Am leichtesten können sich Terroristen ausgerechnet in den Vereinigten
Staaten Geld beschaffen, die derzeit dem Terror den Krieg erklären: Dort
befindet sich laut Mossad zum Beispiel die wichtigste Sammelorganisation
der palästinensischen Hamas, die Holy Land Foundation. Die in Texas
registrierte Stiftung soll die Hamas Woche für Woche mit neuen
Geldmitteln unter anderem für terroristische Aktivitäten in den von Israel
besetzten Gebieten versorgen.
Zu den grosszügigsten Financiers gehört ausgerechnet Saudi-Arabien. Das
Öl-Königreich weiss seit seiner Gründung in den dreissiger Jahren des
vergangenen Jahrhunderts die Rolle des engsten Verbündeten der USA im
Nahen Osten zu spielen. Gleichzeitig haben die Saudis den islamischen
Terror regelrecht begünstigt, sagt Richard Labévičre, Chefredaktor von
Radio France Internationale. Er hat während fünf Jahren die Beziehungen
zwischen dem Königreich und islamischen Terroristen recherchiert. Sogar
von Mitgliedern der königlichen Familie erhalten islamistische Extremisten
finanzielle Zuwendungen, weiss der amerikanische Geheimdienst CIA. So
finanzieren Saudis in Kairo einerseits die konservative, staatstreue
Al-Azhar-Religionsuniversität; anderseits fliessen Mittel an die
Muslimbrüder. Diese 1928 gegründete Gruppierung hat die Abschaffung
aller laizistischen Elemente im ägyptischen Staat zum Ziel. Aus ihr
hervorgegangen sind Terrorgruppen wie die Gamaat al-Islamyia, die für
Dutzende von Morden und Attentaten in Ägypten verantwortlich gemacht
werden.
Zu den Taliban pflegten gewisse Kreise in Riad bis vor wenigen Wochen
ebenfalls beste Kontakte. Die neuen Herrscher Afghanistans sind ganz
eigentlich eine Schöpfung der pakistanischen Geheimdienste und
Saudi-Arabiens. Deshalb kam auch Bin Laden - obwohl 1994
ausgebürgert - weiterhin in den Genuss des Mannas aus dem
Öl-Königreich. Saudi-Arabien gewährt von jeher beiden Seiten Beistand,
um sich so Ruhe zu kaufen.
Als beliebtes und effizientes Vehikel für die Geldbeschaffung wird
zunehmend auch das Internet eingesetzt. Hisbollah und Hamas verbreiten
nicht nur ihr Gedankengut im Cyberspace, sondern auch Spendenaufrufe. ...
Terroristen nutzen für die Finanzierung ihrer Aktivitäten nicht nur die
Möglichkeiten des Cyberspace, sondern auch Lücken im Bankensystem.
Vor wenigen Monaten erhielt die Geschäftsleitung der amerikanischen
Citibank vom Mossad den Hinweis, sie werde benutzt, um Gelder an die
Hamas oder den islamischen Dschihad in den besetzten Gebiete zu
überweisen.
Aber das Aufdecken solcher Transaktionen ist schwierig. Theoretisch kann
die Polizei gegen terroristische Organisationen vorgehen, die in den USA
Geld sammeln. Doch zu definieren, wo die Grenze zwischen legitimen
religiösen oder sozialen Aktivitäten und unerlaubten terroristischen verläuft,
ist oft unmöglich. Denn Terrororganisationen verwenden beim
Geldsammeln natürlich nie ihren richtigen Firmennamen, sondern schieben
wohltätige oder religiöse Organisationen vor. Untersuchungen gegen
verdächtige Stiftungen verlaufen deshalb meist im Sand. Entweder erweist
sich die internationale Zusammenarbeit der Untersuchungsbehörden als
ungenügend, oder die Länder sind sich uneinig, was Terrorismus überhaupt
ist und wie er zu bekämpfen ist. Unmöglich wird die Aufdeckung des
Ursprungs, wenn Leute wie Bin Laden ihr Vermögen in Aktien,
Scheinfirmen und Wohlfahrtsorganisationen verstecken. ...
... Weil ihr Finanznetz längst nicht mehr an
einzelne Länder gebunden ist, setzt der Kampf gegen den Terrorismus eine
internationale Kooperation im Finanzsektor voraus.
Doch entsprechende Bemühungen sind bisher gescheitert. Ende 1999
verabschiedete die Generalversammlung der Uno zwar eine Konvention,
die sich gegen die Finanzierung von Terrorismus wandte. Das Abkommen
trat aber nicht in Kraft, weil es von zu wenig Staaten ratifiziert wurde.
Pikanterweise hat der amerikanische Präsident George W. Bush kürzlich
eine OECD-Initiative zur Bekämpfung krimineller Gelder abgeschwächt.
Das von seinem Vorgänger Bill Clinton favorisierte Projekt sei "zu
umfassend", sagte Bushs Finanzminister Paul O'Neill dazu es lasse sich mit
Amerikas "Steuer- und Wirtschaftsprioritäten" nicht vereinbaren. Diese
Prioritäten dürften sich nach dem 11. September drastisch verschoben
haben. Osama bin Laden wird seine Geschäftsgrundlagen jetzt gründlich
überprüfen müssen.
Aus: Die Weltwoche - 38/01 - 20. September 2001
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