Was ist Internationaler Terrorismus?
Begriffsdiskussion, Geschichte, Organisationen und Finanzen eines Gespenstes
Von Gerhard Piper*
Vom »Internationalen Terrorismus« ist nicht erst seit den New Yorker
Anschlägen so häufig in allen Medien und der Politik die Rede, dass man nahezu
selbstverständlich davon ausgeht, jedermensch wisse, was darunter zu
verstehen sei. Tatsächlich ist jedoch nicht nur definitorisch, sondern auch von
der Entstehung und gegenwärtigen Struktur her höchst unklar, wer darin mit
welchen Zielen und welchen Finanzen verwickelt ist. Jedenfalls spielten
staatliche Geheimdienste, allen voran die CIA, zumindest die Rolle des
Geburtshelfers, Finanzen kreuzen sich weltweit bei verschiedenen
Interessengruppen, an denen u.a. auch die Familie Bush beteiligt ist. Gerhard
Piper verleiht dem Gespenst des »Internationalen Terrorismus« klarere
Konturen.
Am 16. November 1937 legte ein Expertenausschuss dem Völkerbund eine "Genfer Konvention zur
Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus" zur Unterzeichnung vor. Der Vertragsentwurf
umschrieb Terrorismus als "kriminelle Taten, die gegen einen Staat gerichtet sind und das Ziel
verfolgen, bestimmte Personen, eine Gruppe von Menschen oder die Allgemeinheit in einen Zustand
der Angst zu versetzen". Dieses internationale Abkommen scheiterte, weil kein Land außer Indien die
Konvention ratifizierte.1
Auf der Suche nach einer allgemeingültigen Definition von »Terrorismus« sammelte der
US-amerikanische Sozialwissenschaftler Alex P. Schmid im Jahr 1984 101 verschiedene
Begriffsbestimmungen und filterte die Gemeinsamkeiten heraus. Er fand darin 22 verschiedene
Faktoren, die für Terrorismus kennzeichnend sind, aber nicht eine, die in allen Definitionen
vorkommt. Immerhin 83,5% betonten die Anwendung von Gewalt oder Zwang, aber nur 30,5%
verbanden damit eine spezifische Methode des Kampfes, der Strategie oder Taktik; in 65% der Fälle
wurde dem Terrorismus eine politische Dimension zugemessen, aber nur 6% erwähnten - wie die
obige Definition des Völkerbundes - einen kriminellen Aspekt.2
Die mangelnde Begriffsklärung ist nicht allein ein akademisches Problem, schließlich soll die so
genannte Terrorismusforschung vor allem der präventiven Terrorismusbekämpfung dienen. So
wurden sozialpsychologische Versuche unternommen, eine »terroristische Persönlichkeitsstruktur«
zu entdecken oder mittels makro-quantitativer Erfassung sämtlicher Terroranschläge Trendaussagen
zu machen. Der akademische Streit um die richtige Semantik hat sowohl gravierende politische
Ursachen als auch Folgen: Wer für den einen ein Freiheitskämpfer ist, ist für den anderen ein
Terrorist.
Jedenfalls wurde Terrorismus bisher von dem in den letzten Jahrzehnten zunehmend aufgetauchten
Phänomen der Organisierten Kriminalität (OK) unterschieden. Terrorgruppen und Syndikate wenden
zwar die gleichen Methoden (Mord, Erpressung, Zerstörung) an, ohne aber dasselbe Ziel zu
verfolgen: Während die Terroristen Geld erwerben um damit ihren Kampf zur Zerstörung des Staates
zu finanzieren, unterhöhlt die Organisierte Kriminalität die Staatsgewalt, um ihren Reichtum zu
mehren. Daher wurden Terrorismus und Organisierte Kriminalität bisher als zwei getrennte Bereiche
der Kriminalität aufgefasst. Auf der einen Seite gab es die amerikanischen Weathermen, die
italienischen Roten Brigaden oder die japanischen Rote Armee; auf der anderen Seite die
amerikanische Cosa Nostra, die italienische Geheimloge Propaganda Due oder die japanischen
Yakuza.
Aber diese Dichotomie scheint nicht mehr zeitgemäß zu sein: "Beides, Terrorismus und Organisierte
Kriminalität, sind, da stimmen die meisten Polizeipraktiker in Europa überein, nichts anderes als
eineiige Zwillinge. (…) Terroristen wie kriminelle Syndikate benötigen Dokumente und Waffen.
Falsche Dokumente und Waffen werden, wenn sie nicht von Nachrichtendiensten geliefert werden,
über kriminelle Netzwerke häufig durch die gleichen Finanziers und die gleichen politischen
Strukturen beschafft. Terroristen wie Kriminelle benötigen einen funktionierenden Nachrichtendienst,
politische Kontakte und korrupte Politiker, die sie beschützen. Alles steht auf dem Fundament des
Geldes, dem Blut im Kreislauf der Organisierten Kriminalität."3
Ein Grund für diese Entwicklung ist, dass mit dem Ende des Kalten Krieges ideologische Motive
teilweise durch manifeste ökonomische Interessen abgelöst wurden. Ein Blick auf die Kriegsökonomie
aktueller bewaffneter Konflikte zeigt, dass politische oder ethno-nationale Differenzen vielfach nur
vorgeschoben sind, während es real um die Verfügungsgewalt über Erdöl, Diamanten, Drogen oder
andere Rohstoffe geht. Diese werden durch kriminelle Syndikate oder reguläre Handelshäuser auf
dem Weltmarkt verkauft, um mit den Erlösen Waffen importieren zu können. Der Krieg nährt so
seinen Mann, während die Warlords mit einem Friedensschluss auch die nur militärisch begründete
Kontrolle über die Rohstoffvorkommen verlieren würden.
Die US-Geheimdienste rechnen in ihrer Bedrohungsstudie Global Trends 2015 damit, dass sich die
transnationalen kriminellen Organisationen in Zukunft mit Terrorgruppen und Konfliktstaaten stärker
vernetzen werden, um ihre Machtbasis auszuweiten. In der Studie heißt es: "Sie werden die Führer
schwacher, ökonomisch labiler Staaten korrumpieren und mit aufständischen politischen
Bewegungen kooperieren, um so wichtige geografische Gebiete zu kontrollieren. (…) In solchen
Staaten werden auswärtige Gruppen versuchen, die in der Defensive befindlichen Regierungen zu
stürzen, um dadurch transnationalen Netzwerken einen sicheren Hafen anzubieten."4
Staatliche Verwicklung
Der Begriff »Terreur« wurde erstmals während der französischen Revolution populär. Damit
bezeichnete man das Vorgehen der revolutionären Jakobiner gegen ihre politischen Gegner, bevor
sie schließlich selbst mit der Guillotine geköpft wurden. Wie die Jahresberichte von amnesty
international zeigen, gehen auch heute noch einige Staaten mit Folter und extralegalen Tötungen
gegen ihre Regimegegner vor. Erinnert sei hier an die CIA-Operation CONDOR zur (präventiven)
Aufstandbekämpfung, mit der fast 40.000 Oppositionelle in Argentinien, Brasilien, Chile, Paraguay
und Uruguay in den 1970er und 1980er Jahren umgebracht wurden.
Neben diesem nach innen gerichteten Staatsterrorismus gibt es noch eine außenpolitische Spielart
des »Staatsterrorismus«. Grenzüberschreitende Guerillaaktivitäten, die sich gegen ein anderes Land
richten, können von einem Staat passiv toleriert oder sogar aktiv unterstützt werden, weil die
Regierung in den Guerilleros keine Terroristen, sondern Freiheitskämpfer sieht. Der Staat ist hier
nicht das Ziel der Terroranschläge, sondern er tritt als treibende Kraft auf. Das Spektrum der
Maßnahmen zur staatlichen Duldung von Terrorgruppen reicht von einer moralischen
Solidaritätsbekundung bis hin zur Aufnahme von Verdächtigen trotz internationalem Haftbefehl, z.B.
die Unterbringung der RAF-AussteigerInnen in der DDR in den achtziger Jahren.
Noch gravierender ist der staatlich geförderte Terrorismus: Terroristen erschießen Personen,
sprengen Gebäude in die Luft oder zünden diese an. Dasselbe, was Terrorgruppen außerhalb des
legalen Rahmen machen, wird von den Operationsabteilungen der staatlichen Geheimdienste quasi
»am Rande der Legalität« erledigt. Nach der Devise, der Feind meines Feindes ist mein Freund,
unterstützen Regierungen Terrorgruppen im Ausland. Diese Hilfe reicht von der logistischen
Versorgung bis hin zur Anleitung von Terroraktionen. Manchmal lässt sich die nationale Außenpolitik
am besten durch eine ausländische Gruppe durchsetzen. Im Extremfall bauen die Nachrichtendienste
sogar eigene Geheimarmeen auf, wie z.B. das frühere Gladio-Netzwerk der NATO-Mitgliedsstaaten.5
Demgegenüber verurteilte die UNO mit der Resolution 2625 vom 24. Oktober 1970 jegliche
Unterstützung von Terrorgruppen durch Staaten: "Jeder Staat hat die Pflicht zur Unterlassung der
Organisation, Anstiftung, Unterstützung von der Teilnahme an Bürgerkriegshandlungen oder
terroristischen Handlungen in einem anderen Staat oder zur Unterlassung der stillschweigenden
Duldung organisierter Aktivitäten auf seinem Hoheitsgebiet, die auf Begehung solcher Handlungen
gerichtet sind (…)."6
Trotz ihrer partiellen Unterstützung durch Staatsapparate und die sich anbahnende Zusammenarbeit
mit der Organisierten Kriminalität waren Guerillagruppen bisher nur in Einzelfällen erfolgreich (Kuba,
Vietnam). Der Soziologe Peter Waldmann führt dies darauf zurück, dass militärische Schwäche ein
Charakteristikum suis generis von Terroristengruppen ist: "Terrorismus ist die bevorzugte
Gewaltstrategie relativ schwacher Gruppen. Terroristische Organisationen sind nicht stark genug,
um ein Stück des nationalen Territoriums, sei es ein Stadtviertel oder ein abgelegenes Gebiet,
militärisch zu besetzen und der Staatsmacht offen Paroli bieten zu können. Deshalb tauchen sie in
die Illegalität ab und operieren im Geheimen."7
Dieses militärisch-operative Defizit spiegelt sich auch in der Anschlagsstatistik wieder: "(S)o kann
man feststellen, dass die terroristische Szene zwischen 1970 und 1990 maßgeblich von rund 80 auf
nationaler oder internationaler Ebene operierenden Organisationen bestimmt wurde. Ihre Zahl ist
kontinuierlich gestiegen: Von 11 im Jahre 1968 auf etwa 70 Anfang der 90er Jahre, von denen aber
nur 40 bis 50 stärker in Erscheinung treten. Unter ihnen ist der wachsende Anteil religiös motivierter
Gruppen hervorzuheben, deren Anschläge einen steigenden Blutzoll fordern."8
Aber trotz dieser vermeintlichen Schwäche sind die herrschenden politischen Verhältnisse so, dass
sich in allen Teilen der Welt Guerillagruppen gebildet haben. Für den europäischen Raum liegen für
die Jahre 1968-1988 relativ verlässliche Daten vor. Danach gab es in diesem Zeitraum insgesamt
120.000 terroristische Aktionen, die 10.000 Menschenleben kosteten. Das Gros der Opfer entfiel auf
die Türkei (über 50%) und auf Nordirland. Die Aktionen wurden von etwa 15 Organisationen
durchgeführt, die überwiegend auf maximal 100 Mitglieder beschränkt waren. Heute sind in Europa
nur noch die Bürgerkriegsgruppen auf dem Balkan (UCK) und die baskische Euskadi ta Askatasuna
(ETA) in Spanien kontinuierlich aktiv.9 Im Nachhinein stellt sich die Frage, in welchem Umfang diese
Stadtguerillas der siebziger Jahre von Nachrichtendiensten aufgebaut und missbraucht wurden, um
gemäß einer »Strategie der Spannung« die staatlichen Repressionsapparate auszubauen und die
nationalen Regierungen im Kampf gegen den Kommunismus zu disziplinieren.10
Der »neue Terrorismus«
Der weltweite Terrorismus wurde mittlerweile zum »Internationalen Terrorismus«. Mitte der 1970er
Jahre wurde dieser von den Geheimdiensten mehrerer westlicher Staaten erfunden, um eine
Verwicklung der Sowjetunion in den Terrorismus propagieren zu können. Man fand schnell willfährige
WissenschaftlerInnen und JournalistInnen, die diese Verschwörungstheorie aufnahmen und
weiterverbreiteten. Zu nennen sind hier besonders Brian Crozier und Claire Sterling. Der Venezolaner
Illich »Carlos« Ramírez Sánchez avancierte zum Prototyp des vom KGB gesteuerten
»Top-Terroristen«.11
Daher kann es nicht überraschen, dass auch der Internationale Terrorismus weit überschätzt wurde.
Legt man als Kriterium die Involviertheit von Menschen unterschiedlicher Nationalität in einen
Anschlag zugrunde, dann waren allenfalls 5-10% der weltweiten Anschläge »international«: 320 bis
660 Aktionen jährlich im dem Zeitraum 1976 bis 1996. Einen Kulminationspunkt bildeten die Jahre
1984 bis 1988, während die Werte seitdem rückläufig sind; demgegenüber stieg die Zahl der
Todesopfer: 1994 forderte der Internationale Terrorismus weltweit 423 Tote, 1995 440 Tote. Bruce
Hoffman von der Rand Corporation erklärt diese Entwicklung mit dem Vordringen des religiös
motivierten Terrorismus, der besonders gewalttätig sei.12
Im Dezember 1979 begannen die sowjetischen Streitkräfte ihre Militärintervention im Nachbarland
Afghanistan. Ursprünglich sollte die Operation nur wenige Wochen dauern, um in Afghanistan eine
stabile Ordnung wiederherzustellen, aber die US-Regierung sah in dem sowjetischen Vorstoß eine
Möglichkeit, der Sowjetunion in den Auseinandersetzungen des Kalten Krieges eine Niederlage zu
bereiten. Daher organisierte der US-amerikanische Geheimdienst CIA mit Hilfe des pakistanischen
Inter-Services Intelligence (ISI) und finanzieller Unterstützung aus Saudi-Arabien den islamischen
Widerstand gegen die sowjetischen Besatzer. Neben den verschiedenen afghanischen
Mudschahidin-Gruppen, die einzig durch den Kampf gegen die kommunistischen Invasoren geeint
waren, wurden in den islamischen Ländern Freiwillige rekrutiert. Zwar waren die einzigen
Gemeinsamkeiten unter den Rekruten der islamische Glauben und der Kampfeswillen, aber in der
Isolation der pakistanischen Ausbildungslager wurden schnell dauerhafte Verbindungen aufgebaut.
Als sich 1989 die sowjetische Besatzungsarmee aus Afghanistan zurückzog, blieben nach
Schätzungen der britischen Militärzeitschrift Jane's International Defense Review rund 14.000
Kämpfer dieser so genannten Islamischen Hilfslegion übrig: 5000 Saudis, 3000 Jemeniten, 2800
Algerier, 2000 Ägypter, 400 Tunesier, 370 Iraker, 200 Libyer und mehrere Jordanier. Nur ein Teil
dieser Afganistan-Veteranen kehrte in seine Herkunftsländer zurück. Andere wanderten in die
westlichen Industriestaaten aus. Viele tauchten in den vergangenen zehn Jahren als »islamistische
Gotteskrieger« in zahlreichen Konflikten wieder auf: Bosnien, Tschetschenien, Algerien, Usbekistan,
Volksrepublik China, Philippinen etc.13 Diese CIA-»Restbestände« bilden heute den personellen
Bodensatz für den »neuen Terrorismus«, der sich von den klassischen Terroraktivitäten früherer
Jahrzehnte durch seine Personalstärke, seine Vernetzung und seine extreme Brutalität wesentlich
unterscheidet.
Wege der Finanzierung
Die früheren Guerrillagruppen finanzierten sich durch Banküberfälle, Lösegelder aus Entführungen und
Spenden; separatistische Gruppen konnten darüber hinaus eine »Revolutionssteuer« erheben.
»Carlos« erschloss Ende der 1970er Jahre eine neue Form der Finanzierung, indem seine Gruppe
Anschläge gegen Bezahlung ausführte. Der Terrorismus wurde erstmals kommerzialisiert. Den
moslemischen Mudschahidin reichen diese Geldquellen zur Finanzierung ihres Kampfes nicht mehr
aus. Die modernen Terroristen betätigen sich deshalb auch als Spendensammler und treten als
Unternehmer und Bankiers auf.
Die rund 1,3 Milliarden Menschen, die sich zum Islam bekennen, sind über die ganze Welt verstreut.
An ihren Wohnorten dienen die Moscheen nicht nur als Gotteshäuser, sondern sie werden von den
klandestin operierenden Terrorgruppen funktionalisiert als ideale Örtlichkeit, um sich konspirativ zu
treffen. Zudem gehören zu den moslemischen Gemeinden meist auch gemeinnützige
Hilfsorganisationen, da das Spenden von Almosen für Bedürftige zu den religiösen Pflichten des Islam
gehört. Solche Stiftungen wurden von den islamischen Extremisten als Finanzquelle
instrumentalisiert. Zu nennen ist hier beispielsweise die International Islamic Relief Organisation
(IIRO), die ihren Hauptsitz im britischen Oxford hat und über Niederlassungen in Schweden, den
Niederlanden, BRD und der Schweiz verfügt.14
Der Aufbau und Unterhalt eines internationalen Terrornetzwerkes kann aber nicht allen durch
Spenden gedeckt werden. Bereits im Jahre 1972 tat sich ein pakistanischer Bankier mit dem Chef
des saudi-arabischen Geheimdienstes zusammen, um eine gemeinsame Bank zu gründen. Als
offizieller Hauptsitz für die Bank for Credit and Commerce International (BCCI) wurde Luxemburg
ausersehen. Zu den Hauptaktionären gehörte mit einem Aktienanteil von 20% auch der
saudi-arabische Bankier Khalid bin Mahfouz, ein Schwager von Osama bin Laden. Was ist schließlich
ein Bankraub gegen die Gründung einer Bank?
Das Geldhaus vergab an seinen ausgewählten Kundenkreis großzügig Kredite, ohne dass nach den
obligatorischen Sicherheiten gefragt wurde. Platzten die subventionierten Geschäfte, mussten die
Finanzlöcher aus eigenen Mitteln gestopft werden. Dies war nur möglich, weil die Bank auf stetiges
Wachstum angelegt war, so dass immer frisches Kapital zufloss, ohne dass genauer nachgefragt
wurde, woher die Gelder stammten. So mauserte sich die BCCI zu einer Finanzdrehscheibe um allerlei
Schwarzgelder aus Drogengeschäften, dem Waffenhandel und Geheimdienstoperationen zu
waschen. Der erlauchte Kundenkreis des Finanzhauses umfasste rund 3000 Personen weltweit. Dazu
gehörten der panamesische Drogenboss und Regierungschef Noriega, der irakische Diktator Saddam
Hussein oder der palästinensische Guerillaführer Abu Nidal. Ab 1985 mischte auch die CIA mit und
benutzte die BCCI um Finanzaktionen im Zusammenhang mit der Iran-Contra-Affäre oder die
afghanischen Mudschahidin in ihrem Kampf gegen die sowjetischen Truppen zu unterstützen. Libyen,
Irak und Pakistan finanzierten mit BCCI-Krediten teilweise ihre Programme zur Entwicklung von
ABC-Waffen. Das Kartenhaus der BCCI fiel in sich zusammen, als 1990 die Bank of England der BCCI
Betrug vorwarf. Als die BCCI am 5. Juni 1991 geschlossen wurde, hinterließ sie einen Schuldenberg
von 10 Milliarden US-Dollar.15 Die BCCI gilt heute als Prototyp für das Finanzimperium der Al Qaida.
Al Qaida
Zu denjenigen, die sich dem Kampf der Mudschahidin gegen die sowjetischen Besatzer anschlossen,
gehörte auch Osama bin Laden. Im Jahre 1988 beginnt er mit dem Aufbau einer eigenen
Organisation: Al Qaida. Dabei handelt es sich weniger um einen straff geführten Apparat als vielmehr
um eine Dachorganisation mit verschiedenen Fraktionen. Über die Gesamtstärke gibt es höchst
widersprüchliche Angaben: In Afghanistan soll Al Qaida bei Kriegsbeginn 2500 bis 3000, andere
Quellen sprechen von 6000 bis 8000 Mann, unterhalten haben.16 Über die Bewaffnung der Al Qaida
gibt es keine zuverlässigen Informationen. Es liegen zahlreiche »nachrichtendienstliche
Erkenntnisse« darüber vor, dass die Truppe ABC-Waffen erwerben will und ABC-Kriegführung
geprobt hat. Andererseits muss festgestellt werden, dass Al Qaida bisher keine
Massenvernichtungswaffen eingesetzt hat.
Nach amerikanischen Angaben soll Al Qaida in insgesamt 60 Ländern präsent sein.17 Während die
US-Behörden einmal davon sprechen, dass auf dem Territorium der USA noch vier bis fünf Zellen
existieren sollen18, nennen sie ein andermal eine Zahl von bis zu 200 »Schläfern«, was eine sehr
große Zellenstärke implizieren würde.19 Zur Internationalisierung seines Kampfes initiierte Osama bin
Laden am 23. Februar 1998 die Gründung der Internationalen Islamischen Front für den Kampf gegen
Juden und Kreuzfahrer.20 Dazu unterhält Al Qaida enge Verbindungen zu ähnlichen islamistischen
Vereinigungen weltweit: Groupe Islamique Armé und Groupe Salafiste pour la Predictation et le
Combat (Algerien), Harakat ul-Mujahidin, Jaish-e-Mohammed und Maktab al Khidat lil-mujahidin
al-Arab (Pakistan), Moro Islamic Liberation Front und Abu Sayyaf Group (Philippinen) etc.
Der saudi-arabische Baulöwe Mohammad Awad bin Laden hinterließ ein Vermögen von rund 5
Milliarden US-Dollar, davon erbte sein Sohn Osama Bin Laden 300 bis 500 Millionen US-Dollar, die er
als Anschubfinanzierung für den Aufbau der Al Qaida verwendete. Aufgrund seiner sozialen Herkunft
kennt sich Osama bin Laden in der internationalen Hochfinanz bestens aus und nutzte seine
Verbindungen um ein umfassendes Firmenkonglomerat aufzubauen, das sich über 80 Staaten
erstreckt. Daher stammt die größte Menge seiner Finanzmittel aus völlig legalen Geschäften. Einen
großen Teil seiner Gelder soll er bei renommierten europäischen Banken angelegt haben. Geheime
Finanz- und Handelsagenturen verwalten die Gelddepots; manche seiner Partner wissen nicht
einmal, für wen sie arbeiten. Im Sudan baute er die 1200 km lange Autobahn von Khartoum nach
Port Sudan; in Kenia betrieb er zur Tarnung eine Fischverarbeitungsfabrik.21
Über die Versuche der CIA, die Al Qaida zu infiltrieren, liegen kaum Angaben vor. Bekannt wurde der
Fall L'Housaine Kherchtou. Außerdem sind in den vergangenen zehn Jahren wiederholt Attentäter der
Al Qaida festgenommen und verhört worden, wie z. B. Jamal al Fadl.22
Finanzverquickungen
Das weltweite Konglomerat aus internationalem Terrorismus, Finanzimperien und Geheimdiensten
führt bisweilen zu überraschenden Verbindungen, so z.B. die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der
Familie Bush und den Bin Ladens: Bei der Carlyle Group, einer US-amerikanischen Rüstungs-Holding,
hat sich eine illustre Schar von Personen zum Geldverdienen zusammengefunden, die früher
bedeutende Posten in der Reagan- und der Bush-Administration innehatten. Sogar George Bush Sr.
ist als "Berater für asiatische Angelegenheiten" mit von der Partie. Umgekehrt war Carlyle auch
schon Georg Bush Jr. gefällig, als dieser 1990 einen Aufsichtsratsposten beim Tochterunternehmen
Caterair erhielt. Zu den ausländischen Investoren bei Carlyle gehört mit mindestens 2 Millionen Dollar
die Familie Bin Laden.23 Auch außerhalb der Carlyle Group haben beide Familien schon gemeinsame
Interessen verfolgt: Salem bin Laden, der von 1976 bis 1988 die Geschäfte der Saudi Binladin Group
leitete, war Anteilseigner bei Bushs früherer Ölfirma Arbusto Energy.
Auch der Scheich Khalid bin Mahfouz, frührerer Anteilseigner der BCCI-Bank, gehört zu den
Investoren bei der Carlyle Group. Außerdem unterhält er enge wirtschaftliche Beziehungen zur
Familie Bush und zur Familie Bin Laden. Insbesondere gilt Mahfouz als einer der Finanziers von
Osama bin Laden, mit dem er verschwägert ist.24 Charles Lewis, Direktor des Center for Public
Integrity, kritisierte den Lobbyismus der Carlyle Group: "Carlyle ist, soweit sie können, mit der
gegenwärtigen Regierung verzahnt. George Bush erhält Geld von privaten Interessengruppen, die
Geschäfte mit der Regierung machen, während sein Sohn gleichzeitig als Präsident agiert."25
Anmerkungen
1) Hans-Joachim Heintze, Völkerrecht und Terrorismus, in: Kai Hirschmann/Peter Gerhard (Hg.),
Terrorismus als weltweites Phänomen, Berlin 2000, S.218f
2) Bruce Hoffmann, Terrorismus - der Unerklärte Krieg - Neue Gefahren politischer Gewalt, Frankfurt
1999, S.51
3) Jürgen Roth, Netzwerke des Terrors, Hamburg 2001, S.22f
4) The National Intelligence Council, Global Trends 2015: A Dialogue about the Future with
nongovernment Experts, Washington, Dezember 2000, zit. n. Jürgen Roth, a.a.O., S.27
5) Andreas von Bülow, Im Namen des Staates - CIA, BND und die kriminellen Machenschaften der
Geheimdienste, München 1998
6) Hans-Joachim Heintze, a.a.O., S.218
7) Peter Waldmann, Terrorismus - Provokation der Macht, München 1998, S.11
8) ebd., S.21
9) ebd., S.23f
10) Werner Raith, In höherem Auftrag - Der kalkulierte Mord an Aldo Moro, Berlin, 1984, S.121ff
11) David A. Yallop, Die Verschwörung der Lügner, München 1993, S.523ff
12) Peter Waldmann, a.a.O., S.19ff
13) Roland Jacquard, Die Akte Osama bin Laden, München 2001, S.84
14) Jürgen Roth, a.a.O., S.193
15) ebd., S.189ff
16) Anthony Davis, UF in crisis over Massoud, Jane's Defence Weekly 19.9.2001, S.33
17) STRATFOR, Hot Spots in the War on Terror, 1.10.2001
18) Bob Woodward/Walter Pincus, Investigators Identify 4 to 5 Groups Linked to Bin Laden
Operating in U.S., Washington Post 22.9.2001
19) Richard A. Serrano/John-Thor Dahlburg, Officials Told Of »Major Assault« Plans, Los Angeles
Times 20.9.2001
20) Roland Jacquard, a.a.O., S.71ff
21) Rolf Tophoven, Fundamentalistisch begründeter Terrorismus: Osama bin Laden als neuer Typ
des Terroristen, in: Kai Hirschmann/Peter Gerhard (Hg.), a.a.O., S.185ff
22) Phil Hirschkorn, Convictions mark first step in breaking up Al-Qaeda network, Jane's Intelligence
Review August 1991, S.46f
23) Daniel Golden (u.a.), Bin Laden Family could profit from a jump in Defense Spending, Wall Street
Journal 27.9.2001
24) Rick Wiles, Bush's Former Oil Company Linked to Bin Laden Family, American Freedom News
3.10.2001
25) Leslie Wayne, Elder Bush in Big G.O.P. Cast Toiling for Top Equity Firm, New York Times
5.3.2001
* Gerhard Piper ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner
Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).
Zur Themenseite "Terrorismus"
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