Gladio und "keine eigenen Erkenntnisse"
München 1980: Der Bombenanschlag auf dem Oktoberfest ist noch immer ein ungelöster Fall
Von René Heilig *
Gladio war (?) eine Geheimarmee der NATO. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
von US-Geheimdiensten gegründet, sollte diese paramilitärische Truppen einen befürchteten
Vormarsch des Ostens behindern und im Westen missliebige Oppositionelle, das bedeutet
ausnahmslos Linke, »zum Schweigen« bringen. 20 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges hat die
Bundesregierung »keine eigenen Erkenntnisse« dazu.
Zeugen sahen Leuchtraketen, hörten ein Zischen, das in einem die Ohren betäubenden Knall
mündete. Eine Druckwelle fegte über die »Wiesn«. Dann: Sekundenlang Ruhe - ehe Hilferufe und
das Gewimmere der Verletzten begannen. Am 26. September 1980 töteten noch immer Unbekannte
mit einer Bombe 13 Besucher des Münchner Oktoberfestes. 219 wurden zum Teil schwer verletzt.
Die Ermittler fanden einen Ausweis, eine Hand, beide passten zu einem Mann namens Gundolf
Köhler. Nachforschungen ergaben, dass er zur neonazistischen »Wehrsportgruppe Hoffmann«
gehörte. Am 27. September durchsuchte man Hoffmanns Quartiere und die weiterer Personen in
Bayern, Hessen, Baden-Württemberg. Zwar verbot der Generalbundesanwalt die militante Nazi-
Truppe, aber, so sagt die Bundesregierung dieser Tage: »Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für
eine Beteiligung von Mitgliedern der >Wehrsportgruppe Hoffmann< an dem Anschlag haben sich
jedoch im Nachhinein nicht ergeben.«
Das schlimmste Bombenattentat in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist nicht
aufgeklärt. Und niemand - sieht man einmal ab von Christian Ströbele und einigen anderen Grünen-
Bundestagsabgeordneten - unternimmt Anstrengungen, zu klären. Ströbele und Genossen zeigten
Neugier in einer Kleinen Anfrage. Doch was sie als Antworten erhielten, ist dürftig. »Die
Beantwortung der über 300 Einzelfragen ... war ... nicht immer vollständig bzw. präzise möglich«,
heißt es. Dann folgen von a) bis f) angebliche Hemmnisse.
Egal, wonach gefragt wird, als »Antwort« sehr beliebt ist die Formulierung: »Der Bundesregierung
liegen hierzu keine eigenen Erkenntnisse vor.« Ist das wahr? Möglich, wer nicht ermittelt, hat keine
Erkenntnisse. Ist das gelogen? Denkbar, denn es gibt zahlreiche Hinweise, dass Hoffmann und sein
Haufen nicht auf eigene Faust operierten. Man bringt die Truppe in Verbindung mit »Gladio«, jener
NATO-Geheimarmee, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Terrorbrigade aufgestellt worden ist.
Besonders grausam wüteten die Banden in Italien. Doch auch in Deutschland sammelten sich
ehemalige Wehrmacht- und SS-Offiziere unter dem Schutz von CIC, CIA und Gehlens BND. Als
rekrutierte Angehörige der »Stay behind«-Truppen trainierten sie den Ernstfall, legten Munitions- und
Sprengstoffdepots an, erstellten Mordlisten.
Doch die jeweiligen Bundesregierungen leugneten oder verharmlosten, dass Gladio in Deutschland
existierte und eng mit alten und neuen Nazis verbandelt war. Nicht einmal als diverse Waffenlagen
aufflogen und aussagewillige Mitglieder auf seltsame Weise (auch im Gefängnis) umkamen, fühlte
man sich zu Ermittlungen herausgefordert.
Ströbele fragte nun anno 2009 - nicht zuletzt, weil in den vergangenen Jahren zahlreiche
wissenschaftliche Forschungsarbeiten und zum Teil gut recherchierte Bücher zu dem Thema
veröffentlicht wurden - nach Gladio. Man glaubt es kaum, doch der Bundesregierung liegen so gut
wie keine »keine eigenen Erkenntnisse vor«.
Eine kleine Hilfestellung gab man dem fragenden Abgeordneten. Er solle doch mal die Antworten
auf eine Kleine Anfrage seiner damaligen Fraktionskollegin Ingrid Köppe lesen. Die trägt das Datum
vom 17. Mai 1991. Seither kann - wer will - schlauer sein. Unter anderem, weil sich das DDR-Ministerium
für Staatssicherheit um die Diversionstruppe gekümmert hat. Doch anders als im Fall
des Westberliner Polizisten und Stasi-Agenten Kurras, der den Studenten Benno Ohnesorg
erschossen hat, scheinen die MfS-Dokumente zu Gladio nur von geringem Interesse. Es gibt
lediglich die staatsanwaltliche Erklärung, man werde mal nachschauen, ob an den Stasi-
Erkenntnissen zu Gladio und dem Münchner Attentat etwas dran ist.
Ströbele erwartet gründliches Nachschauen, denn »was da noch im Verborgenen ist, hat womöglich
erhebliche strafrechtliche Konsequenzen. Mord verjährt nicht!«
* Aus: Neues Deutschland, 30. Juli 2009
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