Aufmarsch der Vereinigten Staaten: "Wir werden lügen"
Der Medienkrieg hat schon begonnen
Unter dem Titel "Wir werden lügen" veröffentlichten Holger Ehling und Gerti Schön auf der Medienseite der Frankfurter Rundschau am 26. September 2001 einen erhellenden Hintergrundbericht über die Kriegsvorbereitung der Medien in den USA. Alles eigentlich wie gehabt: Das erste Opfer eines Krieges ist immer die Wahrheit. Wir dokumentieren Auszüge aus dem Artikel.
Informationskrieg lautet das Wort der Stunde, und die Bush-Regierung rüstet sich
dafür. Ein erster Hinweis darauf ist die Zensur eines geplanten Taliban-Interviews im
Radiosender "Voice of America". Der von der US-Regierung finanzierte Sender
hatte eine Stellungnahme des Taliban-Führers Mullah Mohammed Omar
ausstrahlen wollen. ... Nach Intervention des
stellvertretenden US-Außenministers Richard Armitage wurde das Interview nicht
gesendet. Ein Sprecher des State Department sagte, Mullah Omars Worte
gehörten nicht in "unser Radio".
Den Gegner eines möglichen Krieges zu Wort kommen zu lassen, passt
offensichtlich nicht zur Informations-Strategie der Bush-Administration. Dabei war
es nichts Neues, was Mullah Omar sagte. Er bekräftigte lediglich die Haltung der
Taliban, den mutmaßlich Verantwortlichen für die Terroranschläge in New York und
Washington, Osama bin Laden, nicht auszuliefern, solange keine Beweise für
seine Schuld vorliegen. ... Er forderte die US-Regierung auf, von ihrem
"Kreuzzug" gegen den Islam abzulassen, ihre Außenpolitik zu überdenken und
nicht zu versuchen, ihre Sicht der Welt allen anderen aufzudrängen.
Der Informationskrieg ist längst in der Phase der Mobilmachung. Spätestens
seitdem Präsident George W. Bush in der vergangenen Woche in seiner Rede an
die Nation sagte, es werde "dramatische Militärschläge geben, die man im
Fernsehen sehen wird, und verdeckte Aktionen, die selbst im Erfolgsfall geheim
bleiben werden", hat bei den Medienwächter der Nation Alarmstufe Rot eingesetzt.
Der Medienkommentator der Washington Post Howard Kurtz berichtete, ein
ungenannter Vertreter der Militärs habe angekündigt, wie wichtig "die Intensität an
Informationen" für die USA sei. "Wir werden über bestimmte Dinge lügen. Wenn
dies ein Informationskrieg ist, dann werden die bösen Jungs mit Sicherheit lügen."
Viele US-Reporter äußern für die Vorsicht der Regierung auch vor laufenden
Kameras Verständnis. Schließlich gehe es um Fragen der nationalen Sicherheit. ...
Das erste Opfer eines Krieges ist immer die Wahrheit, sagt eine alte
journalistische Weisheit. Zuletzt während des Golfkrieges gegen Saddam Hussein
1991 häufig gebraucht, gehört dieser Satz in diesen Tagen wieder zum
Standardrepertoire amerikanischen Medienkritiker. Die Administration von George
W. Bush scheint keine Skrupel zu haben, im Zuge ihres Kampfs gegen den
internationalen Terror kritische Meinungen zum Schweigen zu bringen.
Bei Michael Getler, der als Ombudsmann bei der Washington Post die Qualität der
Zeitung im Auftrag der Leser im Auge behält, klingeln die Alarmglocken. Getler war
schon vor zehn Jahren ein Kritiker der Zensur während des Golfkrieges gewesen
und ahnt nichts Gutes: "Während sich die Nation auf den Krieg vorbereitet, steht
die Presse vor dem wahrscheinlich ernstesten und grundsätzlichsten Testlauf, was
ihre Mission in einer freien Gesellschaft angeht", orakelt er dunkel in seiner
montäglichen Kolumne.
Noch ist nicht einmal klar, wie weit die Regierung Journalisten vorlassen wird. Hieß
es anfänglich noch, dass überhaupt keine Reporter die Kampfhandlungen begleiten
dürften, erklärte das Pentagon jetzt, es gebe Pläne für eine Regelung wie im
Golfkrieg. Damals wurde von den so genannten Poolreportern, eine Gruppe von
Journalisten der wichtigsten US-Medien, jeweils einer zu den militärischen
Aktionen zugelassen, der die Informationen dann an die anderen weitergeben
musste. Alle Berichte wurden vor der Veröffentlichung zensiert.
Organisationen wie das Center for Public Integrity (www.public-i.org) in Washington
weisen darauf hin, dass die USA über die vergangenen zehn Jahre "verstörende
Muster" in der Informationspolitik während kriegerischer Auseinandersetzungen
praktiziert haben. ...
Doch die Nachrichtenorganisationen sorgen bereits für den Fall vor, dass sie völlig
auf sich selbst angewiesen sind. CNN hat, nach der Ausweisung seines letzten
Reporters in Taliban-kontrolliertem Gebiet in der vergangenen Woche, einen
satellitengesteuerten Übertragungsstandort im Norden Afghanistans aufgebaut, der
im Territorium der oppositionellen Nord-Allianz liegt. Doch die dort stationierten drei
Teams können nur hoffen, dass es auch etwas von dort zu berichten gibt, weiß
doch keine Zeitung und keine Fernsehstation, wo genau die Militäraktionen
stattfinden werden.
CNN hat weitere 75 Reporter in 17 verschiedenen Ländern von Jemen bis
Tadschikistan auf die Story angesetzt. Die Nachrichtenagentur Associated Press
kann auf Dutzende von Mitarbeitern innerhalb und außerhalb Afghanistans
zurückgreifen, sogar NBC hat auf die Kritik, in den vergangenen Jahren kaum
Auslandsberichte gebracht zu haben, reagiert und rund 50 Reporter in die
Umgebung geschickt.
Tom Wolzien, Analyst bei dem Forschungsinstitut Sanford Bernstein, prophezeit
gar, dass das Networks künftig wieder mehr Geld in ihre Auslandsberichterstattung
stecken müssten, das in den vergangenen 15 Jahren rigide gekürzt worden ist.
Seiner Ansicht nach müssten sie ihre Nachrichtenbudgets, die pro Network bei
rund 400 Millionen Dollar jährlich liegen, um ein Drittel erhöhen. Marcy McGinnis,
Vizepräsidentin der CBS-Nachrichten, sagt gegenüber dem Fachmagazin
Broadcasting & Cable: "Wir werden nie genug Geld für eine Geschichte mit
derartigen Dimensionen haben. Man muss es einfach machen. Niemand wird
hinterher sagen, es war falsch."
Ob Geld allein jedoch ausreichen wird, um verlorenes Terrain wieder gutzumachen,
ist fraglich. Danny Schechter, Gründer der medienkritischen Internetseite
mediachannel.org weist darauf hin, dass die Networks ihre Nachwuchstalente
früher kaum auf Auslandsberichterstattung angesetzt haben und ihnen daher
komplexes Hintergrundwissen fehle. "Die Journalisten sind selbst nicht besonders
gut informiert", sagt er. "Sie sehen dies als patriotische Mission." ...
... In der
ABC-Talkshow Politically Incorrect hatte beispielsweise der Moderator Bill Maher
darauf hingewiesen, dass man die Attentäter selbst nicht unbedingt als Feiglinge
bezeichnen könne. Feige wäre es vielmehr, wenn die USA "aus 2000 Meilen
Entfernung" nun Zivilisten in Afghanistan bombardieren würden. Dieser Bemerkung
folgte nicht nur ein Sturm der Entrüstung. Zwei der Werbetreibenden, der
Kurierdienst FedEx und die Automarke Sears, zogen daraufhin ihre Werbespots
zurück. Der Moderator entschuldigte sich umgehend.
"Es besteht eine Menge Druck auf die Journalisten, bestimmte Positionen zu
vertreten, und Ansichten, die nicht zum Mainstream passen, bekommen nicht viel
Platz in den Medien", sagt Schechter, der auf seine eigenen Kolumnen
vorwurfsvolle E-Mails erhält. Eine Friedensdemonstration auf dem New Yorker
Union Square mit rund 3000 Teilnehmern wurde zum Beispiel von den Medien
kaum beachtet. "Dies ist eine kleine, feine Minderheit, aber ihre Stimmen werden
nicht gehört", resümiert Schechter. ...
Aus: Frankfurter Rundschau, 26. September 2001
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