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Wie man den Fisch fängt

Spaniens Wähler-Entscheid sollte Schule machen - Kein Sieg des Terrorismus, sondern der Demokratie

Von Gerald Mader*

Amerikaner und Europäer haben eine unterschiedliche Einstellung zu Krieg und Frieden. Die Amerikaner sind kriegsgeneigter als die Europäer. Das hängt mit unterschiedlichen tiefenkulturell geprägten Mentalitäten (die Amerikaner haben ein unempfindlicheres Verhalten zum Töten, Beispiel Todesstrafe) und den unterschiedlichen historischen Erfahrungen (die Europäer haben die blutigen Erinnerungen zweier Weltkriege) zusammen, aber auch mit der Machtpolitik und der militärischen Stärke der USA, die den Krieg mit einschließt.

US-Wissenschaftler, -Buchautoren, -Politiker haben vor dem Irak-Krieg das Lied von der amerikanischen Stärke und von der europäischen Schwäche sehr pointiert gesungen. Die USA stehen für Macht, Europa für Ohnmacht (Robert Kargan). Paul Kennedy vergleicht die USA mit einem Furcht erregenden Vogel ("der Adler ist gelandet"), der von zwergenhaften Tieren (Großbritannien, Frankreich, Russland, China, Indien, Japan etc.) umgeben ist. Umso bitterer ist es, dass die USA als einzigartige Supermacht die UNO und die Kriegsgegner um Hilfe bitten müssen.

Wenn sich Europas Regierungen gegen die Teilnahme an Kriegen wehren, so entspricht dies daher nicht nur ihrem Friedenswillen und der Sehnsucht der europäischen Völker, sondern auch den geringeren militärpolitischen Fähigkeiten der EU. In diesem Sinn deckt sich Friedenspolitik mit dem machtpolitischen Kalkül jener Europäer, die auf Dialog, Ausgleich und friedliche Konfliktbearbeitung setzen, weil sie sich an einem Rüstungswettlauf nicht beteiligen wollen. Die neuen Bemühungen der EU, die militärpolitischen Fähigkeiten durch Aufrüstung zu erhöhen, stehen damit im Widerspruch.

Das Schisma zwischen Europa und USA

Der Krieg gegen den Irak und gegen den Terrorismus hat das unterschiedliche Politik-Macht-Kriegsverständnis sichtbar gemacht. Es besteht nicht nur zwischen USA und Europa, sondern auch innerhalb der beiden Kontinente. Die internationalen Medien sprechen zu Recht von politischen Trennlinien, Wasserscheide und politischen Schisma, das Europa insbesondere von der Weltpolitik der Bush-Administration trennt. Es ist nicht von vornhinein ausgeschlossen, dass sich daran mit einem demokratischen Präsidenten nichts ändern wird, wie es die europäischen Bush-Anhänger behaupten. Dieser unterschiedliche Umgang mit Krieg und Frieden prägt auch den Kampf gegen den Terror. Für die USA ist er ein Krieg, der ohne Völkerrecht, ohne UNO-Mandat, ohne Kriegsrecht und ohne Rücksicht auf Menschenrechte und um jene Werte zu führen ist, die geschützt werden sollen.

Für Europa ist der Krieg gegen den Terror ein asymmetrischer Krieg, der militärisch ohne Bekämpfung der Ursachen des Terrorismus nicht zu gewinnen ist. Der Krieg gegen den Terror darf vor allem kein Vorwand für völkerrechtswidrige Präventivkriege sein. Schon Mao hat gelehrt, dass sich der Terrorist wie ein Fisch im Wasser bewegt. Es geht daher darum, den Terroristen von den Sympathisanten zu trennen. Nicht das Aquarium zu vernichten, sondern es entwässern.

Der Dialog mit der islamischen Gesellschaft wird aber nur dann Erfolg haben, wenn sich der Westen selbst an jene Prinzipien und Spielregeln hält, die er den anderen predigt.

Von der Konfliktforschung wissen wir, dass jeder Konflikt eine Chance bietet. Das gilt auch für den Konflikt zwischen USA und Europa. Aber nur wenn es gelingt, den Konflikt zwischen Machtpolitik und Völkerrecht in eine neue gemeinsame Strategie zu transformieren, ist eine "Rekonstruktion des Westens" (Fischer) möglich, ansonst ist es eine Leerformel.

Fluch der bösen Tat: Kosovo, Irak

Der Versuch, die Ablehnung eines völkerrechtswidrigen Krieges durch die spanische Wählerschaft und die Einhaltung eines Wahlversprechens durch den sozialistischen Wahlsieger Zappatero als einen Sieg des Terrorismus darzustellen, ist kein Beitrag zur Erneuerung des transatlantischen Bündnisses. Es ist eine Beleidigung des oft bewiesenen Mutes der Spanier, wenn Kommentatoren einen Vergleich mit Hitler anstellen und von Beschwichtigungspolitik reden, nur weil die Spanier eine Regierung abgewählt haben, die sie belogen und in einen völkerrechtswidrigen Krieg geführt hat. Angst haben nicht die Spanier, sondern jene, die sich vor einer demokratischen Friedenspolitik fürchten.

Die optimistische Deutung der spanischen Wählerentscheidung geht dahin, dass es Schule machen könnte, dass eine Regierung abgewählt wird, weil sie sich an einem völkerrechtswidrigen Krieg beteiligt hat. Seit Ende des Kalten Krieges hat es zwei völkerrechtswidrige Kriege gegeben. Kosovo und Irak. In beiden Ländern herrscht noch immer Terror. Ist es der Fluch der bösen Tat, für welche die USA und die NATO verantwortlich sind? "Die Zeit" meinte, dass Zappatero das Charisma eines "Amtsrates" hat. Vielleicht steht er mit seiner Ruhe, Gelassenheit und Ehrlichkeit für eine neue Art von Charisma, auch wenn eine Schwalbe noch keinen Friedensfrühling macht. Aber Spanien gibt Hoffnung, dass in Europa einmal die Völker und nicht die Regierungen über Krieg und Frieden entscheiden.

* Gerald Mader ist Präsident des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK).

Dieser Kommentar wurde am 31. März 2004 in der österreichischen Zeitung "Die Presse" veröffentlicht.



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