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Verteidigung durch Angriff

Ted Honderich über Bush, Terror und Humanität

Gastredner bei der Jahrestagung 2005 der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK) in der Evangelischen Akademie Iserlon vom 25. bis 27. Februar war der britisch-kanadische Philosoph Ted Honderich. Honderich referierte am 27. Februar zum Thema "Injustice and Legitimacy of Violence".
Ted Hondrich stellte zuvor in Berlin sein neuestes Buch vor: "Terrorismus für Humanität". Aus diesem Anlass veröffentlichte die Tageszeitung "junge Welt" einn Interview sowie eine Buchbesprechung. Beides dokumentieren wir im Folgenden.


"Bush und Schröder leben in einer Kultur der Dummheit"

Ein Gespräch mit Ted Honderich*

F: Welche Beziehungen bestehen aus Ihrer Sicht zwischen Zionismus, wie Sie ihn verstehen, und dem von Ihnen so bezeichneten »Neozionismus«?

Da gibt es zwei Fragen. Wenn Sie Zionismus auf die Weise definieren, wie ich es tue, d. h. als Unterstützung für die Gründung des Staates Israel 1948 sowie für dessen Weiterbestehen und Sicherheit, dann steht »Neozionismus« für Expansion, d. h. für den Raub Palästinas. Damit ist zunächst Klarheit hergestellt. Aber wenn Sie nach Leuten fragen, bestimmten Leuten, die zu den Zionisten oder Neozionisten zu zählen sind, dann ist das viel schwieriger. Sehen Sie sich die führenden israelischen Politiker an, die Tauben und die Falken: Es läßt sich nicht einfach sagen, die Tauben seien Zionisten und die Falken Neozionisten. Es scheint mir gefährlich, daß die Tauben ebenfalls neozionistische Impulse haben. Ich denke, es ist das große Versäumnis jüdischer Politiker, hier keine Klarheit herzustellen. Sie erklären, daß sie Zionisten sind, aber sie verurteilen nicht den Neozionismus. Das führt in einen Zustand der Unsicherheit darüber, wofür sie sich eigentlich engagieren. Ich meine aber, daß es möglich ist, klar zwischen Zionismus und Neozionismus zu unterscheiden. Die Unterscheidung ist nicht immer einfach, sie ist beschwerlich, aber sie ist möglich.

F: Gibt es eine allgemeine Rechtfertigung für Terror?

Nein, das habe ich nie gesagt und werde es auch nie tun. Ich beschreibe z. B. »demokratischen Terrorismus« – mein Buch »Terrorismus für Humanität« enthält dazu ein Kapitel. Es enthält aber nicht die These, daß jeder »demokratische Terrorismus« gerechtfertigt ist. Es wäre verrückt, wenn man sagte, daß jedes Gesetz, das durch eine demokratische Regierung zustande kam, gerecht sei. Dann wäre es z. B. gerechtfertigt zu sagen, es sei eine gute Idee, Hitler zu wählen. In gleicher Weise charakterisiere ich den »Terrorismus für Humanität«, der als Ziel oder Absicht humanistische Grundsätze angibt. Daraus folgt nicht, daß er insgesamt gerechtfertigt ist, weil es sein kann, daß es sich letztlich nicht um rationale Mittel handelt, daß er nämlich mehr Leid hervorbringt, als er verhindert usw.

F: Wie kommentieren Sie den »Krieg gegen den Terror«?

Der »Krieg gegen den Terror« trägt viele Impulse in sich. Der prinzipielle Anstoß ist die Verteidigung – durch Angriff – des amerikanischen Imperiums. Kein Zweifel, man versucht, künftige Attacken wie die vom 11. September 2001 zu verhindern. Ich bezweifle das nicht, aber die Dinge sind nie einfach im Leben. Wie Noam Chomsky und verschiedene andere dargelegt haben, ist der »Krieg gegen den Terror« vor allem die Fortsetzung des – nennen wir ihn so – amerikanischen Imperialismus mit militärischen Mitteln. Vor allem aber ist dieser Krieg selbst Terrorismus, es handelt sich um Staatsterrorismus. Die Definition, die von vielen Menschen für Terrorismus akzeptiert ist, lautet: illegale politische Gewalt. Nach dieser Definition ist das, was die Amerikaner und die Briten gegenwärtig im Irak tun, Staatsterrorismus. Das scheint mir absolut klar zu sein.

F: George W. Bush und Gerhard Schröder haben gerade erklärt, daß sie gemeinsam »Freiheit in der Welt verbreiten« wollen. Freiheit spielt in Ihren Überlegungen keine große Rolle?

Sie spielt eine große Rolle, Freiheit ist eines der »großen Güter«, wie ich es nenne. Bei mir sind »Freiheit und Macht« das dritte dieser »großen Güter«. Aber wenn Bush, Schröder und viele andere über Freiheit reden, handelt es sich um deprimierende Dummheit, die wirklich überwältigend ist. Virtuell dient alles, was eine Regierung tut, in irgendeinem Sinn der Freiheit. Virtuell dient alles, was irgendeine politische Gruppierung tut, in irgendeinem Sinn der Freiheit. Ich möchte ein äußerst schreckliches Beispiel anführen: Was die Nazis taten, diente in irgendeinem Sinn der Freiheit. In welchem? Es befreite Deutschland von den Juden.

Es gibt ökonomische, soziale und Arten demokratischer Freiheiten. Es ist Dummheit höchst fundamentaler Art, wenn man etwas mit der Bemerkung empfiehlt, es diene der Freiheit, ohne zu spezifizieren, um welche Art Freiheit es sich handelt. Wer sagt, etwas diene der Freiheit, lebt in einer Kultur der Dummheit. Dabei wird einfach unterlassen, fundamentale Unterscheidungen zu machen.

* Ted Honderich lehrte in Londen und Yale Philosophie und lebt seit seiner Emeritierung in England. Am 24. Februar 2005 Donnerstag stellte er in Berlin sein Buch "Terrorismus für Humanität" vor.
Das Gespräch führte Arnold Schölze


Terror und Moral

Der Philosoph Ted Honderich stellte in Berlin sein neues Buch vor
Von Arnold Schölzel


Sechs Essays enthält der Band »Terrorismus für Humanität«, den der britisch-kanadische Philosoph Ted Honderich am Donnerstag in Berlin vorstellte. Das Interesse an der Präsentation hielt sich in Grenzen. Das ist angesichts des medialen Gezeters im Sommer 2003 um Honderichs Buch »Nach dem Terror« erwähnenswert, kann aber nur mäßig verwundern: Der seinerzeitige Skandal war einer des deutschen Feuilletons bzw. jener Helden des bundesdeutschen linksliberalen Propagandagewerbes, die bei dem Ruf »Antisemitismus« zu jeder argumentfreien Behauptung bereit sind. Damals hieß es, Honderich rede einem »Terror für die Menschlichkeit« gegen Israel das Wort, obwohl in »Nach dem Terror« das direkte Gegenteil stand. Wegen des Kapiteltitels »Was zu tun ist« entlarvte eine Kritikerin Honderich als Leninisten.

Honderichs Position läßt sich so zusammenfassen: Für ihn gibt es wenige Fälle, in denen der von ihm so bezeichnete »Befreiungsterrorismus« gerechtfertig ist: Das Attentat auf Hitler, der Kampf gegen das Apartheidregime in Südafrika, der Terrorismus jüdischer Organisationen in der Phase der Staatsgründung Israels und auch der terroristische Kampf der Palästinenser. Letzteres reichte aus, um Professor Micha Brumlik Anfang August 2003 zu einem groben Brief an den Suhrkamp Verlag zu veranlassen mit der Forderung, das Buch wegen Antisemitismus zurückzuziehen. Gutachter Jürgen Habermas zog seine Befürwortung der Publikation zurück, und der Verlag folgte dem Ansinnen. »Nach dem Terror« erschien im Abraham Melzer Verlag mit einer geharnischten Anmerkung des Verlegers über »faktischen Antisemitismus« und »heuchlerischen Philosemitismus«.

Am Donnerstag ging Honderich auf diese Vorgänge nur insofern ein, als er am Schluß der kurzen Darstellung seines philosophischen Ansatzes die Entfernung Brumliks aus der Hochschultätigkeit forderte: »He should be sacked, fired.« Wer in dieser Form einen völlig unbegründeten Vorwurf erhebe, sei als Hochschullehrer ungeeignet. Honderich, der Jahrzehnte in London und Yale lehrte und seit seiner Emeritierung in England lebt, stellte sich als Philosoph in der Tradition des logischen Positivismus vor, dessen Beitrag im Rahmen der »intellektuellen Arbeitsteilung« darin bestehe, Logik in die Argumentation einzuführen mit dem Ziel, Klarheit der Begriffe, Konsistenz, Gültigkeit und Vollständigkeit von Argumenten zu erreichen, vor allem aber, doppelte Standards abzuwehren. Es gehe ihm um »rationale Schritte, mit denen Menschen aus schlechtem Leben herausgeholt werden können«. Sich selbst bezeichnete Honderich als einen jener »Zionisten«, die 1948 für die Gründung des Staates Israel eintraten. Er sei aber ein Gegner des »Neozionismus«, der ein größeres Israel in den Grenzen der Besatzungsgebiete von 1967 fordere. Die Gründung des Staates Israel sei nach dem Völkermord an den europäischen Juden und angesichts der Informationen über die Situation im britischen Mandatsgebiet richtig gewesen. Allerdings habe man seinerzeit nicht wahrgenommen, daß es sehr wohl ein palästinensisches Volk gab und die Region nicht, wie oft behauptet, praktisch menschenleer war. Insofern habe die Gründung auf einem Irrtum beruht, hätten die Palästinenser ein moralisches Recht auf Widerstand und wie auch Israel und seine Bewohner ein Recht auf ein gutes Leben.

Honderich bezeichnete die in dem jetzt vorgelegten Band gesammelten Essays als Resultat einer jahrzehntelangen Arbeit, während das Buch »Nach dem Terror« eine unmittelbare Reaktion auf den 11. September 2001 gewesen sei. Ähnliche Kritiken wie vor zwei Jahren könne er sich nicht vorstellen.

Ted Honderich: Terrorismus für Humanität. Kai Homilius Verlag, Berlin 2004, 263 Seiten, 24,80 Euro

Aus: junge Welt, 27. Februar 2005


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