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"Mein Mandant ist in Panik"

Guantanamo-Anwältin bat Deutschland um Aufnahme ihrer von Folter gezeichneten Klienten

Pardiss Kebriaei ist Anwältin des New Yorker Zentrums für Verfassungsmäßige Rechte (CCR). Die gebürtige Iranerin vertritt Häftlinge des berüchtigten US-Gefangenenlagers Guantanamo. Nun bittet die 33-Jährige die deutsche Regierung darum, zwei syrische Mandanten aufzunehmen, die bei einer Rückkehr in ihre Heimat Folter befürchten. Über die Ergebnisse der Gespräche und ihre Arbeit in Guantanamo sprach mit ihr für das Neue Deutschland Oliver Händler.



ND: Frau Kebriaei, was hat Sie nach Berlin geführt?

Kebriaei: Meine Organisation vertritt neun Gefangene des US-Lagers in Guantanamo. Manche davon kommen aus Ländern, in die sie nach einer Freilassung nicht zurückkehren können, da sie dort Verfolgung und Folter befürchten. So suchen wir nach Ländern, die ihnen Sicherheit bieten können. Speziell geht es mir hier um zwei syrische Mandanten: Mohammed Khan Tumani und seinen Vater Abdul Nasser Khan Tumani. Sie würden sich gern in Deutschland niederlassen.

Mit wem konnten Sie sprechen?

Ich habe mich mit Vertretern des Auswärtigen Amtes getroffen. Wir konnten uns nicht mit jemandem aus dem Innenministerium treffen. Warum weiß ich nicht.

Was haben Sie erreicht?

Es war ein gutes Treffen. Ich darf ihnen nicht sagen, mit wem ich mich getroffen habe, aber die Leute dort waren sich der Situation bewusst und in bestimmtem Maße in die Entscheidung involviert. Sie haben angedeutet, dass Deutschland bereit sei, seinen Beitrag zu leisten. Sie warten wie viele andere Länder noch auf eine formale Anfrage aus den USA. Die wurde jetzt gerade an die EU gerichtet, das ist schon mal sehr gut. Wir konnten darüber aber noch nicht mit dem Außenministerium sprechen. Außerdem hat Frankreich vor ein paar Tagen entschieden, einen Algerier aufzunehmen. Dort scheint es also Bewegung zu geben.

Warum soll Deutschland Guantanamo-Insassen aufnehmen?

Diese Menschen brauchen nichts mehr als eine sichere Zuflucht, und Deutschland ist sicher. Hier gibt es die Infrastruktur und die Leistungen, um Menschen den nötigen Schutz zu bieten. Unsere Klienten haben zwar keine familiären Verbindungen nach Deutschland, aber es gibt hier eine syrische Gemeinde. Überhaupt scheint Berlin kulturell ein sehr vielfältiger Ort zu sein. Da gäbe es kulturelle und emotionale Unterstützung anderer Immigranten. Auch wenn die USA für das Chaos von Guantanamo primär verantwortlich sind, kann sich die internationale Gemeinschaft nicht zurücklehnen. Die USA sollten zwar einige Insassen aufnehmen, damit andere Länder sehen, dass die USA auch ihren Teil tun. Aber es gibt eine internationale Verantwortung, auf humanitärer Ebene zu helfen.

Würden Ihre zwei Mandanten auch in den USA bleiben?

Bislang galt offiziell, dass die USA niemanden aufnehmen würden. Ich hoffe, dass sich das unter Obama ändert, das wissen wir aber noch nicht. Unsere Klienten wollen nicht in die USA gehen, vielleicht wollen es aber andere.

Welchen Grund gibt es, nicht nach Syrien zurückzukehren?

Sie haben das Land im Jahr 2000 verlassen, weil der Vater Abdul Nasser ein besseres Leben für seine Familie suchte. Nach Guantanamo kommt nun noch das Stigma hinzu, dass sie etwas mit Terrorismus zu tun hätten. Das US-Außenministerium hat selbst festgestellt, dass syrische Sicherheitskräfte Personen mit Verbindungen zu angeblichen Islamisten im Visier haben. So befürchten meine Mandanten, in Syrien belästigt, gefangen und verletzt zu werden. Und all das nur, weil die USA über sieben Jahre lang gesagt haben, dass sie etwas mit Al Qaida zu tun hätten, ohne je einen Beweis vorzulegen.

Denken Sie nicht, dass dieses Stigma auch in Deutschland vorherrscht?

Wie in vielen anderen Ländern wird die Bevölkerung auch hier geteilter Meinung darüber sein. Wir müssen uns bewusst machen, worauf diese Meinungen beruhen: auf Fakten oder auf Hörensagen? Kennt irgendjemand wirklich die Fakten über die Gefangenen in Guantanamo? Selbst bei denen, die für die Anschläge vom 11. September verantwortlich gemacht werden, kennen wir selten Fakten, nur Fotos. Es ist schockierend trotz aller Informationen, die wir mittlerweile haben, dass die Menschen immer noch denken, dass jeder Insasse von Guantanamo gefährlich ist. Wenn die deutsche Regierung erst einmal die Beweise gegen unsere Mandanten sieht, wird sie erkennen, dass sie nichts mit terroristischen Aktivitäten zu tun hatten. Ich habe die als geheim eingestuften Informationen dazu gesehen und kann das sagen.

Was ist Ihren beiden Mandanten passiert, als sie Syrien verließen?

Die zehnköpfige Familie hatte zunächst nicht geplant, nach Afghanistan zu gehen, aber dort bekam der Vater Arbeit. Als das Bombardement begann, beschlossen sie zu fliehen. In Pakistan wurden Mohammed und sein Vater von Dorfbewohnern festgenommen und den Behörden übergeben. Damals bezahlte die USA-Regierung viel Geld für überstellte Araber. Zunächst waren sie einen Monat lang in einem pakistanischen Gefängnis, wo Mohammed zusammengeschlagen wurde. Sie brachen ihm die Nase, schlossen ihn an Elektrokabel an und drohten, seine Verwandten zu töten. Da war er gerade 17 Jahre alt. Das taten die pakistanischen Behörden auf Anweisung der USA. Danach wurden beide in ein US-geführtes Gefängnis nach Kandahar und drei Wochen später nach Guantanamo gebracht. Dort sind sie seit 2002.

Wie erging es den beiden dort?

Ich rede meist mit Mohammed, da nur er Englisch spricht. In den vergangenen zwei Jahren lebte er in einer 1,80 mal 2,40 Meter kleinen Zelle im streng beschränkten Teil des Lagers, dem Camp 6. Es gibt dort keine Fenster, kein natürliches Licht, keine Frischluft für mindestens 20 Stunden am Tag. In Guantanamo wurde er ebenfalls misshandelt. Die Kombination der Misshandlungen, seines jungen Alters und der langen Haft ohne Aussicht auf ein Ende hat schwer wiegende psychologische Folgen für ihn. Sein Zustand verschlechtert sich rapide. Im Dezember hat er sich die Pulsadern aufgeschnitten. Andere Gefangene sagten mir, dass er seinen Kopf immer an die Wand schlägt. Wenn ich ihn treffe, fühle ich, dass er in Panik ist. Er kann sich kaum noch konzentrieren. Dabei ist er ungemein intelligent und hat sich im Gefängnis selbst Englisch beigebracht.

Welche Misshandlungen wurden Ihren Mandanten in Guantanamo angetan?

Schlagen ist üblich. Ein anderer Mandant berichtete mir, dass die Aufseher ihn auf den Boden drückten und seinen Kopf mit aller Gewalt auf den Boden schlugen. Dann besprühte man ihn mit Pfefferspray und übergoss ihn mit Wasser, um den brennenden Effekt des Sprays zu verstärken. Viele Gefangene berichten von ähnlichen Dingen, die noch immer passieren. Im Februar kamen Aufseher in Mohammeds Zelle, als er gerade seinen Kopf an die Wand schlug und etwas an die Wand schmierte. Als er das nicht sauber machen wollte, schlugen sie ihn und nahmen ihm alles weg. Auch die Uniform. So musste er drei Tage lang in einem Kittel auf dem Boden schlafen.

Beschränkt sich Ihre Arbeit auf die Tätigkeit bei Gericht?

Ganz und gar nicht. Fast alle, die aus Guantanamo entlassen wurden, kamen nur durch Lobbyismus, Aufklärungsarbeit, medialen und politischen Druck frei.

Haben sich Ihre Arbeitsbedingungen in letzter Zeit verbessert?

Es ist immer noch hart. Ich will das mal so erklären: Jedesmal, wenn ich nach Guantanamo komme, bringe ich gute Nachrichten. Im Juni 2008 entschied der Oberste Gerichtshof, dass die Gefangenen ihre Haft vor Gericht anfechten dürfen. Also ging ich hin und sagte den Mandanten, dass wir endlich mit ihren Verfahren vorankommen würden und sie wieder Hoffnung haben könnten. Im November erzählte ich ihnen, dass Obama die Wahl gewonnen hat. Ich sagte, er wolle Guantanamo schließen, also »haltet die Hoffnung hoch«. Im Januar sagte ich: »Er war zwar schon gewählt, aber erst jetzt ist er im Amt. Haltet durch!« Jedes Mal bringe ich gute Neuigkeiten, aber für die Gefangenen hat sich nichts geändert. Jetzt glauben sie nicht mehr daran, das Lager jemals verlassen zu können. So arbeiten sie kaum noch mit. Obama hat zwar angewiesen, Guantanamo innerhalb eines Jahres zu schließen, aber wir warten noch, wie sich das auf die Situation dort auswirkt. Bisher hat sich noch nicht viel verändert.

* Aus: Neues Deutschland, 14. April 2009


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