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Obamas Versprechen

Der designierte USA-Präsident will Guantanamo schließen

Von Olaf Standke *

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) hat den designierten USA-Präsidenten Barack Obama am siebenten Jahrestag der Lagereröffnung zur zügigen Schließung des berüchtigten Gefangenenkomplexes Guantanamo aufgefordert.

Dr. Ayman Batarfi ist Unfallchirurg. Seit knapp sieben Jahren sitzt er in Guantanamo Bay -- einer von Dutzenden jemenitischen Häftlingen, die bis heute im international verurteilten Gefangenenlager festgehalten werden, obwohl sich die Regierung in Sanaa intensiv um ihre Rückkehr bemüht. Der heute 38-Jährige leistete Ende 2001 Freiwilligendienst in einer Klinik in Jalalabad im Osten Afghanistans, als Truppen der Nordallianz in die Stadt einfielen. Wie andere Zivilisten versuchte, er nach Pakistan zu fliehen, blieb während der Bombardierung durch die USA-Streitkräfte aber in den Bergen stecken und wurde schließlich von afghanischen Soldaten an die Amerikaner ausgeliefert - wahrscheinlich gegen die Zahlung eines Kopfgeldes. Batarfi saß in Guantanamo lange in Isolationshaft, wurde misshandelt und immer wieder verhört - eine Anklage gegen ihn gibt es bis heute nicht.

Insgesamt wurden seit dem 11. Januar 2002 etwa 800 »Terrorverdächtige« auf den USA-Militärstützpunkt gebracht. Mindestens zwölf waren bei ihrer Verhaftung keine 18 Jahre alt, drei von ihnen befanden sich zum Jahreswechsel weiter im Lager, einer starb, offenbar durch Selbstmord, so Amnesty-Recherchen. Wie eine Studie ergab, wurden nur fünf Prozent der Inhaftierten von den USA-Streitkräften oder der CIA gefangen genommen, 86 Prozent dagegen von pakistanischen Sicherheitskräften bzw. der afghanischen Nordallianz überstellt; oftmals gegen eine Belohnung von mehreren tausend Dollar. Bis heute werden in »Gitmo«, wie das Lager in den USA heißt, 250 Gefangene aus 30 Ländern festgehalten.

Das Lager wurde so zum Symbol einer verheerenden Anti-Terror-Politik der Regierung Bush. Ein »Schandfleck« (»New York Times«) für die USA, die andere Staaten so gern in Sachen Menschenrechte kritisieren und belehren. Schon zu Beginn des Wahlkampfes hatte Barack Obama klar gemacht: »Als Präsident werde ich Guantanamo Bay schließen.« AI-Generalsekretärin Irene Khan forderte ihn jetzt zur zügigen Festlegung eines Datums auf. Pentagon-Chef Robert Gates, der auch unter Obama im Amt bleiben wird, hatte Mitte Dezember seine Mitarbeiter mit der Ausarbeitung eines Schließungsplans beauftragt.

Amnesty verlangt aber auch das Ende der speziellen Militärtribunale in Guantanamo. Alle künftigen Prozesse müssten von Zivilgerichten geführt werden, um endlich Rechtssicherheit zu erlangen. Wie weit man davon entfernt ist, zeigt die jüngste Anordnung des für das Verfahren gegen fünf mutmaßliche Hintermänner der Anschläge vom 11. September 2001 zuständigen Militärrichters: Er will eine stärkere Geheimhaltung im Prozess. Der sei damit praktisch »für die Öffentlichkeit und die Presse geschlossen«, sagte Jennifer Daskal von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Von einer Öffentlichkeit der Sondergerichte könne so keine Rede sein.

Kopfschmerzen bereitet der neuen Administration in Washington zudem die Frage, was mit freigelassenen Guantanamo-Insassen passieren soll. Manche wollen in ihre Heimatländer zurückkehren, andere fürchten dort jedoch Verhaftung und Folter. Die Frage einer möglichen Aufnahme spaltet so auch die EU. Für die Niederlande etwa ist klar: Das Ganze sei vor allem eine Angelegenheit »des Landes, das sie festgenommen und inhaftiert hat: der USA«. Auch Schweden sieht die Verantwortung eindeutig in Washington. Andere EU-Staaten wie Portugal und Deutschland -- Außenminister Steinmeier hat eine Prüfung der rechtlichen und politischen Fragen angeordnet -- sandten dagegen positive Signale aus. Paris und Madrid drängen deshalb auf eine gemeinsame europäische Linie. Das Kapitel Guantanamo ist noch lange nicht geschlossen.

Chronologie

  • 17. September 2001: Präsident Bush unterschreibt ein Memorandum, das der CIA erlaubt, geheime Gefängnisse außerhalb der USA einzurichten.
  • 11. Januar 2002: Die ersten Gefangenen werden von Afghanistan nach Guantanamo geflogen und dort in Maschendrahtkäfige im »Camp X-Ray« gesperrt.
  • 7. Februar 2002: Präsident Bush unterzeichnet ein Memorandum, wonach kein Gefangener aus den Reihen der Taliban oder Al Qaida als Kriegsgefangener zu betrachten sei. Die Genfer Konventionen, die Folter und »entwürdigende Behandlung« verbieten, gelten für sie nicht.
  • 1. August 2002: Das Justizministerium formuliert für die CIA Richtlinien für »alternative Verhörmethoden«.
  • 2. Dezember 2002: Verteidigungsminister Donald Rumsfeld genehmigt Befragungstechniken wie das Überstülpen von Kapuzen, Entkleiden, Isolierung, Verharren in schmerzhaften Körperhaltungen und den Einsatz von Hunden zur Erzeugung von Angst.
  • 28. Juni 2004: Der Oberste Gerichtshof urteilt, dass Gefangene vor USA-Gerichten gegen ihre Haft in Guantanamo klagen können.
  • 10. Juni 2006: Drei Gefangene sterben offenbar durch Selbstmord.
  • 5. Februar 2008: Der CIA-Direktor bestätigt die Anwendung von »Waterboarding«.
  • 13. Mai 2008: Die USA-Regierung klagt erstmals fünf Gefangene in einem gemeinsamen Verfahren vor einer Militärkommission an und fordert die Todesstrafe.
  • 12. Juli 2008: Der Supreme Court entscheidet, dass den Gefangenen von Guantanamo Zugang zu zivilen USA-Gerichten gewährt werden muss. (ND)


* Aus: Neues Deutschland, 10. Januar 2009

Kidnapping und Folter in Lohnarbeit

USA-Verbündete, auch Deutschland, leisteten Beihilfe

Von René Heilig **


So grauenhaft die Verhältnisse im Camp Guantanamo auch sind, die rechtlosen Gefangenen haben Leidensgenossen anderswo etwas voraus: Die Welt weiß von ihrer Existenz.

Die Jets von CIA und dem militärischen Pendant DIA schienen fast pausenlos unterwegs gewesen zu sein. Die Piloten beförderten »heiße Fracht« – Menschen, die irgendwo in der Welt gekidnappt worden waren, von gedungenen Gangstern, den jeweiligen Sicherheitsbehörden oder den staatlichen US-Kopfjägern selbst. Manche brachte man direkt nach Guantanamo, andere Flüge legten Zwischenstopps nicht nur zum Tanken ein. »Fracht« wurde ausgeladen und irgendwo da untergebracht, wo kein Hahn mehr nach ihr krähen konnte. Dort wurden sie gefoltert, psychologisch und physisch auf Arten, die zwar ans Mittelalter erinnern, doch erst nach den Anschlägen vom 11. September 2001 offiziell und mit Präsidentenerlass wieder ins Repertoire der US-Dienste aufgenommen wurden.

Doch die US-Vernehmer legten nicht nur selbst Hand an ihre Feinde, denen man mit der Bezeichnung »feindliche Kämpfer« jeden rechtlichen Status genommen hatte. In arabischen Staaten, in Ägypten und Jemen beispielsweise, fanden sich staatliche Kerkermeister, die das in Lohnarbeit erledigten.

Nicht nur da verschwanden Verschleppte, gegen die zumeist weder offizielle Anklagen noch entsprechende Haftbefehle vorlagen. Auch in EU-Europa hielt es offenbar so mancher Staat nicht so sehr mit der Menschenrechtscharta und den eigenen Gesetzen. Polen und Rumänien wurden genannt, als es um CIA-Geheimgefängnisse ging. Beide Staaten dementierten, doch weigerten sie sich weiter vehement zu erklären, aus welchem Grund US-Geheimdienst-Flugzeuge auf abgelegenen Flugfeldern nieder gingen.

Kaum weniger Mitschuld trifft jene Staaten, die den US-Kidnappern Überflug- und Landerechte gewährten. Deutschland hätte da eine Menge zu erklären gehabt, doch selbst der Untersuchungsausschuss des Parlaments erwies sich als zu zaghaft, um Verantwortlichkeiten zu erkennen und zu benennen.

Das kann nicht verwundern. Deutsche Staatsschützer, Geheimdienstler und Politiker waren vor dem 11. September 2001 willige Helfer der US-amerikanischen Behörden, und sie blieben es auch danach. Mehr noch. Die Zusammenarbeit wurde so eng, das gesetzliche Vorschriften und Datenschutz kaum noch etwas galten.

Direkt oder indirekt halfen deutsche Dienste und das Bundeskriminalamt bei der Verschleppung von Verdächtigen. So verschwand der Deutsch-Syrer Haydar Zammar in einem syrischen Kerker, so verschleppte man den in Deutschland aufgewachsenen und lebenden Murat Kurnaz. Und als die USGefangenenwärter den Guantanamo-Häftling wieder los werden wollten, weigerte sich die Bundesregierung, den offenbar schuldlosen jungen Mann wieder in seiner Heimat aufzunehmen.

Obwohl auch Kanzlerin Angela Merkel unmittelbar nach Amtsantritt die US-Praktiken kritisierte und die Auflösung von Guantanamo forderte, hat die deutsche Regierung wenig Interesse an der Aufklärung des eigenen Anteils am ungesetzlichen Anti-Terror-Krieg der USA. Stattdessen betonte sie die reale Bedrohung und bauschte sie auf, um auch im Innern verschärfte Gesetze durchzusetzen.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Januar 2009


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