Freispruch ohne Chance auf Freiheit
Guantanamo-Gefangene: Pentagon will Gerichtsentscheide ignorieren
Von René Heilig *
Selbst wenn eine Jury sie für unschuldig halte: »Es gibt einen
erheblichen Anteil von Gefangenen in Guantanamo, die wahrscheinlich nie
freigelassen werden, weil sie eine Gefahr für die Welt darstellen.«
Pentagonsprecher Geoff Morrell offenbarte eine krude US-Sicht auf Recht
und Freiheit.
Noch vor einigen Tagen brüstete sich das Pentagon damit, drei Gefangene
aus Guantanamo nach Hause geschickt zu haben. Einen nach Afghanistan,
einen in die Vereinigten Arabischen Emirate, einen nach Katar. Und das,
obwohl ihre Fälle nicht bis zum letzten untersucht sind. Das sei, so
hieß es, ein »beispielloser Schritt in der Geschichte der Kriegsführung«.
Am Dienstagabend (5. August) wartete die Stimme von
US-Verteidigungsminister Robert M. Gates mit einer ganz anderen
Beispiellosigkeit auf: Selbst wenn eine Jury Gefangene für unschuldig
halte, »würden wir sie als feindliche Kämpfer betrachten und
wahrscheinlich noch eine Zeitlang festhalten«. Dieses »eine Zeitlang«
verlängerte sich im Verlaufe des Pressegesprächs auf lebenslänglich.
Eine Militär-Jury hat gestern (6. August) den angeblichen Fahrer des
mutmaßlichen Al-Qaida-Terrorchefs Osama bin Laden schuldig gesprochen.
Salim Ahmed Hamdan war wegen Verschwörung, Unterstützung von Terroristen
sowie Waffenschmuggel angeklagt worden. Man hatte ihn im November 2001
in Afghanistan gefangen genommen und als einen der ersten Häftlinge nach
Guantanamo verschleppt.
Bekannt wurde der Name des Gefangenen im Jahr 2006. Da beschwerten sich
seine Verteidiger vor dem Obersten Gericht der USA gegen diese Art von
Militärprozessen. Sie seien, so beschieden die Richter, nicht
verfassungsgemäß. Umgehend legte die Bush-Regierung ein überarbeitetes
Gesetz vor, das vom Kongress verabschiedet wurde. Damit waren die
Sondergerichte wieder möglich. Das Oberste Gericht konterte und
urteilte: Jeder der in der US-Base Gefangenen habe das Recht, seine
Inhaftierung vor einem zivilen Gericht überprüfen zu lassen. Doch nach
Meinung des Pentagons ist das alles unwichtig. Dem aus Jemen stammenden
Salim Ahmed Hamdan droht nun lebenslange Haft. Laut Pentagon-Sprecher
Morrell gibt es Pläne für mindestens 20 weitere Verfahren.
Die Anzahl der in Guantanamo Bay sitzenden Gefangenen bezifferte das
Pentagon vor rund zwei Wochen auf 265. Davon stünden 65 kurz vor der
Freilassung, man führe gerade Verhandlungen mit den Regierungen anderer
Staaten.
Doch die Angaben sind zweifelhaft. Laut US-Verteidigungsministerium
wurden seit 2002 über 500 Häftlinge auf die Insel verschleppt. Andere
Quellen sprechen von über 1000. Sie kamen aus Ägypten, Albanien,
Algerien, Afghanistan, Australien, Bangladesch, Bahrain, Belgien,
Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Iran, Irak, Jordanien, Kuwait,
Libyen, von den Malediven, aus Mauretanien, Marokko, Pakistan, Russland,
Saudi-Arabien, Katar, Spanien, Schweden, Sudan, Tadschikistan, der
Türkei, den Emiraten ... Überprüfen lässt sich von allem wenig. Das
US-Militär verwehrt unabhängigen Beobachtern nach wie vor den Zutritt
zum Lager.
* Aus: Neues Deutschland, 7. August 2008
Das Recht. Und das auf Urlaub
Von René Heilig *
Das ist schon seltsam - das US-Verteidigungsministerium erklärt, man
wolle nach Belieben Guantanamo-Häftlinge bis zum Verfaulen in
Gitterkäfigen halten, und hierzulande kümmert's niemanden. Jedenfalls
keinen von Rang und Namen. Lediglich der Menschenrechtler der
Bundestagslinksfraktion Michael Leutert fordert von der Bundesregierung
zum x-ten Male, »ihre engen Verbindungen zu den USA zu nutzen, um auf
eine schnelle Schließung des Lagers hinzuwirken«.
Natürlich, auch das politische Berlin hat ein Recht auf Urlaub. Doch
leitet sich daraus ein Recht ab, bei eklatanten
Menschenrechtsverletzungen zu schweigen? Geschieht doch auch nicht, wenn
es um China geht. Und wenn in Moskau Solschenizyn stirbt, dann werden
Würdigungen über seine Standhaftigkeit wider die rote Diktatur von
allerorts gekabelt.
Es stimmt, die Kanzlerin sprach bei ihrem Antrittsbesuch in den USA am
Rande auch davon, dass »eine Institution wie Guantanamo« so nicht »auf
Dauer« existieren sollte. Und das war's dann, Deutschland leistet weiter
Beihilfe in verlogenen Kriegen gegen Terrorismus. Menschenrechte, so
wissen wir spätestens seit der Konferenz von Helsinki, sind unteilbar.
Und sie lassen sich nicht pragmatisch hinausschieben. Jetzt also auf den
Herbst und einen möglichen US-Präsidenten Obama zu hoffen, ist zu
billig. Selbst in Urlaubszeiten.
* Aus: Neues Deutschland, 7. August 2008 (Kommentar)
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