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Die "Hölle auf Erden"

Bürgerrechtler fordern die umgehende Schließung des Lagers

Von Olaf Standke *

Acht Jahre nach Errichtung des Gefangenenlagers Guantanamo ist die von USA-Präsident Barack Obama zum ersten Jahrestag seiner Amtseinführung versprochene Schließung weiter verschoben worden.

Am 11. Januar 2002 begann mit 20 Häftlingen nicht nur für Rechtsanwalt Ben Wizner vom Bürgerrechtsverband American Civil Liberties Union (ACLU) ein »beschämendes Kapitel der amerikanischen Geschichte«. Die Bush-Regierung hatte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf ihrem Flottenstützpunkt Guantanamo Bay im Osten Kubas ein Lager für Terrorverdächtige einrichten lassen. Ein 28 Kilometer langer Grenzzaun mit 44 Wachtürmen trennt die etwa 118 Quadratkilometer große Basis vom Rest der Insel. Nach Angaben der Zeitung »New York Times« sind dort seitdem 779 Menschen aus über 40 Ländern inhaftiert worden. Mindestens zwölf waren bei ihrer Verhaftung keine 18 Jahre alt, sechs starben im Lager.

Als »unrechtmäßige Kämpfer« eingestuft, wurden die meisten mutmaßlichen Taliban- oder Al-Qaida-Mitglieder unter Verletzung der Genfer Konvention jahrelang ohne Anklage, Anwalt oder Prozess festgehalten. Anfangs sperrte man die Häftlinge unter freiem Himmel in Käfige, dann ließ die Bush-Administration zwei Haftanstalten nach dem Modell US-amerikanischer Hochsicherheitstrakte bauen. Für die Aburteilung wurden 2006 sogenannte Militärkommissionen installiert. In Verfahren vor diesen Sondertribunalen haben Angeklagte deutlich weniger Rechte als in Prozessen vor Zivil- oder normalen Militärgerichten. Allerdings wurden nur rund 20 Terrorverdächtige angeklagt und lediglich drei Verfahren abgeschlossen.

Immer wieder gab es Berichte über Misshandlungen und Demütigungen von Gefangenen. Ehemalige Häftlinge erzählen von Isolation, Schlägen, Schlafentzug, Elektroschocks oder »Waterboarding«, bei dem ihr Ertränken simuliert wird - mit einem Wort: Folter. Der Somalier Mohammed Saleban Bare, der im Dezember 2001 in der pakistanischen Hafenstadt Karatschi festgenommen wurde und das Lager erst vor wenigen Tagen verlassen durfte, nannte es die »Hölle auf Erden«, die einen »geistig umbringt«. Der 44-Jährige war einer von zwölf Insassen, die Ende 2009 in ihre Heimat überstellt wurden. Damit sind ein Jahr nach dem vom neuen Präsidenten verkündeten Guantanamo-Ende laut offiziellen Angaben noch immer 198 Männer aus rund 30 Ländern eingekerkert. Mehr als 100 von ihnen hat eine von Obama eingerichtete Arbeitsgruppe aus Militärs und Geheimdienstlern zur Entlassung freigegeben. Etwa 40 soll der Prozess gemacht werden.

»Gitmo«, wie das Lager in den USA genannt wird, ist das Symbol einer verheerenden Anti-Terrorpolitik der Bush-Ära. Ein »Schandfleck« für die USA, so die »New York Times«. Noch im Wahlkampf hatte Obama versprochen, Guantanamo innerhalb seiner ersten 100 Amtstage zu schließen. Doch schnell zeigten sich die juristischen Fallstricke und der massive politische Widerstand selbst in der eigenen Partei. Inzwischen kann die Regierung auch den Termin Ende Januar nicht mehr halten, obwohl sie ein Hochsicherheitsgefängnis in den USA für all jene Häftlinge gefunden hat, die nicht in andere Staaten überstellt werden können.

Wie die Menschenrechtsorganisation Human Rights First in einer Erklärung zum Jahrestag der Eröffnung betonte, sei die Schließung des Lagers eine Priorität im nationalen Sicherheitsinteresse der USA. Das Pentagon behauptet dagegen, dass rund ein Fünftel der bisher Entlassenen rückfällig geworden sei. Andy Worthington, Autor des Buches »Guantanamo Files«, hält das für unglaubwürdig und spricht von »Panikmache«. Heftigen Widerspruch von Bürgerrechtlern fand die Anordnung von Obama, dass nach dem versuchten weihnachtlichen Anschlag auf eine USA-Passagiermaschine über Detroit selbst die zur Entlassung vorgesehenen Häftlinge aus Sicherheitsgründen auf unbestimmte Zeit bleiben müssten. Das sei »unklug und ungerecht«, kritisierte etwa die ACLU. Für Gefangene, von denen Gefahren ausgingen, sollten »rechtmäßige« Verfahren gefunden werden.

Etwa 50 Gefangene, gegen die keine strafrechtlich relevanten Vorwürfe vorliegen, könnten nach Einschätzung von Amnesty International freikommen, würden sich Drittländer bereit erklären, sie dauerhaft aufzunehmen. Denn in ihren Heimatländern drohten ihnen Folter oder Verfolgung. Amnesty hat deshalb die EU-Staaten aufgefordert, aus humanitären Gründen zu einem schnellen Ende der illegalen Haft beizutragen. Hier sei auch die Bundesrepublik gefordert. Für Roger Willemsen, der ehemalige Häftlinge interviewt hat und sich seit langem für die Lagerschließung einsetzt, ist klar: Man braucht Guantanamo nicht, um Attentäter vor Gericht zu stellen. Man braucht es vielmehr, um rechtsstaatliche Verfahren verhindern zu können.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Januar 2010


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