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Obamas Schlag gegen die Bürgerrechte

Weiter ohne Anklage unbegrenzte Haft für Guantánamo-Gefangene

Von Alexander Bahar *

Die Obama-Regierung will die Praxis fortsetzen, »gefährliche« Terrorverdächtige ohne Anklage oder Verfahren unbegrenzt zu inhaftieren. Wie zuvor die Bush-Regierung will sie sich dabei auf die »Authorization for Use of Military Force« (AUMF) stützen, die der Kongreß mit den Stimmen von Republikanern und Demokraten nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verabschiedet hat. Dies gab das US-Justizministerium vergangene Woche bekannt. Diese Praxis würde laut offiziellen Quellen etwa 50 Guantánamo-Gefangene betreffen. Weitere 65 sollen in Hochsicherheitsgefängnisse auf US-Territorium verlegt und entweder vor Militär- oder vor Zivilgerichten angeklagt werden.

Die Ankündigung der Regierung bedeutet eine Abkehr von der Position, die US-Präsident Obama in seiner Rede in den National Archives in Washington am 22. Mai dieses Jahres vertreten hatte. Obama hatte damals gesagt er, er wolle sich im Kongreß für eine gesetzliche Regelung der unbegrenzten Inhaftierung einsetzen, die, wie er behauptete, die einzige Möglichkeit darstelle, jene Guantánamo-Häftlinge in Schach zu halten, die man als zu »gefährlich« erachte, um sie vor zivilen Gerichten anzuklagen.

Nun hingegen erklärte ein Sprecher des Justizministeriums, die Regierung suche »gegenwärtig keine zusätzliche Autorisierung«, werde sich aber »auf die Autorität berufen«, die ihr der Kongreß bereits durch die AUMF »verliehen« habe. Tatsächlich hatte der Kongreß die Regierung damals mit umfassenden Vollmachten zur Kriegführung ausgestattet, allerdings lediglich in bezug auf die beabsichtigte Invasion in Afghanistan.

Obamas Entscheidung, Zuflucht bei der AUMF zu suchen, ist nur ein Vorwand, um Anhörungen und eine öffentliche Kontroverse zu vermeiden, die ein Gesetzgebungsverfahren im Kongreß unweigerlich zur Folge hätte. Indem sie einfach ihre exekutive Gewalt ausspielt und jede öffentliche Debatte im Keim zu ersticken sucht, führt die Obama-Regierung einen neuen massiven Schlag gegen die Bürgerrechte. Mit diesem Vorgehen habe die Regierung »einen für sie vorteilhaften und intellektuell unehrenhaften Weg« gewählt, urteilte denn auch die Washington Post in ihrem Editorial vom Sonntag.

Zwar verlautete, die Entscheidung der Regierung betreffe nur etwa 50 derzeitige Guantánamo-Gefangene. Da jedoch verschiedene US-Gerichte entschieden haben, die AUMF erlaube dem Präsidenten, jede Person ohne Anklage oder Verfahren zu inhaftieren, die er zu einem Mitglied oder Unterstützer von Al-Qaida oder den Taliban erklärt hat, gibt es keinen Grund anzunehmen, die Regierung ließe sich daran hindern, neue Terrorverdächtige in unbegrenzte Haft nehmen zu lassen.

Sprecher verschiedener Bürgerrechtsgruppen begrüßten die Ankündigung der Regierung. Ein Gesetz, so meinen sie, würde eine weit zerstörerische Wirkung auf demokratische Rechte haben als die pure Geltendmachung exekutiver Macht. Demgegenüber machte Rechtsanwalt Jonathan Hafetz von der American Civil Liberties Union klar: »In Wahrheit reklamiert Obama für sich die gleichen zentralen Befugnisse wie Bush: das Recht, überall in der Welt Personen festzunehmen und ihnen unter dem Vorwand des globalen ›Kriegs gegen den Terror‹ einen fairen Prozeß zu verweigern.«

Tatsächlich bedeutet die Entscheidung der Obama-Regierung eine weitere Aushebelung der Habeas-Corpus-Akte. Dieses seit dem Mittelalter geltende Recht auf Haftprüfung durch ein ordentliches Gericht stellt so etwas wie das Rückgrat bürgerlicher und demokratischer Rechte dar und ist in der US-amerikanischen Verfassung, der Bill of Rights, verankert.

Mittlerweile haben mehr als 200 Gefangene Anträge auf Haftprüfung nach dem Habeas Corpus Act eingereicht. Einer von dem Rechtsanwalt David H. Remes erarbeiteten Statistik zufolge hat die US-Regierung von den bislang 38 vor Distriktgerichten durchgeführten Überprüfungsverfahren 30 verloren, wobei die Richter häufig einen Mangel an Beweisen für eine Inhaftierung feststellten. Dennoch werden 20 dieser Gefangenen weiterhin in Guantánamo festgehalten, angeblich, weil sich kein Land findet, das sie aufnehmen will. Erst am Samstag hat das US-Justizministerium angekündigt, drei Guantánamo-Häftlinge nach Irland und in den Jemen auszufliegen. Derweilen haben führende Regierungsbeamte am Freitag erstmals offen eingeräumt, daß die von Obama versprochene Schließung des Sonderlagers bis spätestens Januar 2010 wohl nicht mehr realistisch ist.

* Aus: junge Welt, 30. September 2009


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