"Germans have also questions, Mr. Bush!"
Rede von Jürgen Grässlin zur Demonstration des Freiburger Friedensforums
Am Samstag, den 22. September fand auch in Freiburg eine Demonstration und Kundgebung der Friedensbewegung statt. Sie war mit 1.000 Teilnehmern gut besucht. Wir dokumentieren im Folgenden die Rede des Bundessprechers der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Jürgen Grässlin.
Liebe Freundinnen und Freunde,
elf Tage sind vergangen seit den schrecklichen Terroranschlägen auf das
World Trade Center und das Pentagon, die Schaltzentralen wirtschaftlicher und
militärischer Macht. Dies ist unsere dritte Friedensdemonstration in Freiburg,
und wie am ersten Tag möchten wir auch heute den Verletzten und den
Angehörigen der Toten unser herzliches Beileid aussprechen. Wir möchten gleichsam
betonen, dass wir diesen Terroranschlag; wie jede Form weiterer Gewaltanwendung -
zutiefst ablehnen.
Elf Tage sind vergangen. Zeit genug zum Nachdenken, über die Ursachen dieser
schrecklichen Gewaltaktion nachzudenken. Mich wundert es wenig, dass gerade
die Vereinigten Staaten Ziel dieser Terroranschläge geworden sind. Seit
Jahrzehnten haben die USA mit militärischen und monetären Mitteln Demokratien
gestürzt, Diktaturen installiert, Städte und Staaten bombardiert - Hiroshima und
Nagasaki in Japan, Vietnam, Chile, Nicaragua, Irak, Libyen, um nur einige
Beispiele von vielen Beispielen zu nennen. Wiederholt haben sie das Völkerrecht
mit Füßen getreten und Verurteilungen durch den Internationalen Gerichtshof
in Den Haag schlichtweg ignoriert.
Friedensforscher sagen uns, dass nach dem zweiten Weltkrieg Hunderttausende
von Menschen Opfer von US-Militärschlägen geworden sind. Wo blieb da der
Aufschrei der Regierungen westlicher Demokratien? Und wie kann man angesichts
dieser Politik von einem völlig unerklärlichen Schlag gegen die gesamte
zivilisierte Welt sprechen?
Elf Tage sind vergangen. Zeit genug zum Nachdenken, über das, was jetzt
geschehen muss. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag hat sich der US-Präsident
in einer Rede an die Menschen in den Vereinigten Staaten und die
Weltöffentlichkeit gewandt.
"Americans have many questions", sagte George Bush und beantwortete Fragen
in der ihm eigenen Art: "Es wird dramatische Schläge geben." Und weiter:
"Amerika sollte nicht nur eine Schlacht erwarten, sondern einen langjährigen
Feldzug, den es so noch nicht gegeben hat." Gewaltbereite Demonstranten
antworteten gestern in den Städten Pakistans: "Wenn Amerika es wagt, anzugreifen,
dann
wird der wirkliche Dschihad beginnen."
Angesichts derartig martialischer Drohungen empfinde ich Angst. Angst davor,
dass die USA militärische Vergeltung üben. Dass in islamischen Staaten
Dschihad, der heilige Krieg, ausgerufen wird und die Gewalt weiter eskaliert. Dass
wir in einen unkontrollierbaren Krieg hineinschlittern. Dass nach
konventionellen auch atomare, biologische und chemische Waffen zum Einsatz kommen.
Dass
Atomkraftwerke zum Ziel terroristischer Anschläge werden. Vor allem aber,
dass wieder unzählige unschuldige Zivilistinnen und Zivilisten, Kinder, Frauen,
alte Menschen ihr Leben lassen für Machtgelüste fanatischer Terroristen und
verblendeter Politiker und Militärs.
Um das zu verhindern protestieren wir friedlich gegen Kriegsvorbereitung und
Kriegstreiberei!
"Germans have also questions, Mr. Bush!"
Wir fragen Sie: Glauben Sie allen Ernstes, den Terrorismus besiegen zu
können, indem sie mit einem nie zuvor da gewesenen "Kreuzzug" Städte bombardieren,
ganze Landstriche verwüsten und der Weltöffentlichkeit zugleich einreden
wollen, die Demokratie zeige ihr wahres Gesicht bei der flächendeckenden
Vernichtung durch B52-Bomber?
Wie soll das Talibanregime das drohende Bombardement in Afghanistan
verhindern, wenn Sie die unmöglich einzulösende Forderung nach "vollem Zugang zu
den
Ausbildungslagern" der Terroristen erheben?
Sehen Sie nicht, dass Sie bereits jetzt Pakistan mit ihrer Forderung nach
militärischer und logistischer Unterstützung an den Rand des Bürgerkriegs
gebracht haben?
Wie viele Zivilistinnen und Zivilisten in Afghanistan, dem Irak, Libyen,
Syrien - oder wo auch immer - müssen sterben, ehe der "langjährige
Feldzug" der so genannten "zivilisierten Welt" sein Ende finden wird?
Ich hege einen schrecklichen Verdacht: Mir scheint, dass Sie die zivilen
Opfer Ihrer Militärschläge billigend in Kauf nehmen. So wie auch unsere
Bundesregierung den Tod vieler Menschen im Kosovokrieg - so genannte
"Kollateralschäden" - billigend in Kauf genommen hat. Ich hege den Verdacht, dass
es der
Supermacht USA vor allem darum geht, Rache zu üben und weltweit Flagge zu zeigen.
Und ich hoffe inbrünstig, dass sich mein Verdacht nicht bewahrheitet.
Denn dann hätte sich die so genannte "zivilisierte Welt" eben auf das Niveau
der Terroristen herab begeben und demokratische Werte niedrigen Beweggründen
geopfert.
"Wir Deutschen aber haben noch mehr Fragen, Herr Schröder, Herr Fischer und
Herr Schily!"
Wir fragen Sie: Was veranlasst Sie, in blinder Gefolgschaft dem
NATO-Bündnisfall zuzustimmen?
Was veranlasst Sie, einem George Bush einen Blankoscheck für
völkerrechtswidrige Militärschläge in aller Welt auszustellen, ohne zu wissen, wo
und in
welchem Umfang sie erfolgen und gegen wen sie überhaupt gerichtet sind?
Was behindert Sie daran, humanitäre Hilfe zu leisten und militärischer
Gewalt zu entsagen?
Was veranlasst Sie als Mitglieder der Bundesregierung, in Deutschland
Freiheits- und Bürgerrechte auszuhebeln, die unsere Demokratie in vielen Jahren
und
zu Oppositionszeiten mit Ihrer Unterstützung - errungen haben?
Beginnt jetzt die innenpolitische Jagd auf bärtige Männer, auf dunkelhäutige
Frauen, auf politisch Andersdenkende, wie die friedlichen Demonstranten von
Genua?
Nein - uns geht es nicht darum, Terrorismus auch nur in einem Nebensatz zu
tolerieren oder gar zu rechtfertigen. Die tödlichen Terrorangriffe auf
Tausende von Menschen in New York und Washington sind ein Verbrechen gegen die
Menschlichkeit.
Die Schuldigen müssen gefunden, vor ein internationales Gericht gestellt und
zu lebenslanger Haft verurteilt werden. Aber die Mittel, derer wir uns
bedienen, um dieses Ziel zu erreichen, müssen rechtsstaatlich sein, Völkerrecht
und damit die Charta der Vereinten Nationen achten.
Sie reichen vom sofortigen Stopp der Rüstungsexporte über
Wirtschaftsembargos (nicht Embargos von Medikamenten und Lebensmitteln) gegen
Staaten, die
nachweislich Terroristen Zuflucht bieten, bis hin zu Maßnahmen polizeilicher
Gewalt zur Festsetzung von Gewalttätern. Der Politik steht eine breite Palette
nichtmilitärischer Mittel zur Verfügung sie muss diese nur einsetzen.
Diese nichtmilitärischen Mittel sind nicht nur humaner, sondern in der
Terrorismusbekämpfung erfolgreicher. Es ist ein Trugschluss zu glauben, das
Krebsgeschwür des Terrorismus könne wie mit einem Messer herausoperiert werden.
Die
bin Ladens dieser Welt können nicht mit Waffengewalt ausgerottet werden!
Wir, die Friedens- und Menschenrechtsbewegung, haben einen Traum, Herr Bush,
Herr Schröder, Herr Fischer, Herr Schily!
Wir träumen,
-
dass nicht wieder Terroristen, wie Osama bin Laden, von den USA
oder einem anderen Land der so genannten "zivilisierten Welt" ausgebildet
und bewaffnet werden,
-
dass die Industrienationen der so genannten "zivilisierten Welt" - allen
voran die USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien und Deutschland -
endlich ihre Rüstungsexporte einstellen und damit den Scheindemokraten,
Diktatoren und Terroristen in aller Welt die Waffen entziehen,
-
dass Armut und Hunger mit der Verwirklichung einer gerechten
Weltwirtschaftsordnung für immer verschwinden,
-
dass Kriege damit unmöglich werden und Millionen von Flüchtlingen in ihre
Heimat zurückkehren können,
-
dass Freiheits- und Bürgerrechte gestärkt werden,
-
dass Menschen aller Religionen und auch Atheisten in gegenseitiger Achtung
einträchtig miteinander leben.
Dann nämlich wird der Terrorismus in aller Welt seine Anhänger verloren
haben. Dieser Weg ist sehr weit. Aber er ist allemal kürzer als der eines
"langjährigen Feldzugs", der sich zu einem unkontrollierbaren Flächenbrand
ausdehnen
wird.
In diesem Sinne möchte ich auch Sie und Euch bitten, gerade in diesen
Vorkriegstagen aktiv für Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und die Wahrung der
Menschenrechte einzutreten.
Wir sagen "JA zur Solidarität mit den Opfern, aber NEIN zu Terror und
Krieg!"
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