Wir sind nicht im Krieg
Für "weiche" Instrumente des Dialogs und der Vermittlung - Erklärung der großen Friedensforschungsinstitute
Presseerklärung
18. September 2001
Wir sind nicht im Krieg
Die abscheulichen internationalen Gewaltverbrechen vom 11.
September in den USA haben weltweit eine Welle von Beileids- und
Solidaritätsaktionen mit den Tausenden von Opfern, ihren Angehörigen
und den schockierten Bürgern in den USA ausgelöst. Auch in
Deutschland. Die Einfachheit, mit der Zivilflugzeuge in
Vernichtungswaffen umfunktioniert wurden, zeigt in der Tat die
Verletzbarkeit unserer Welt und jedes einzelnen.
Nach den Stunden und Tagen des Entsetzens, der Trauer und des
Mitgefühls wächst die Angst vor den unabsehbaren Folgen einer
Eskalation der Gewalt. Immer mehr Menschen bewegt die Sorge, dass
ein militärischer Gegenschlag erneut zahllose Unschuldige treffen wird
sowie langfristige politische Schäden einer weltweiten Polarisierung der
"Kulturen" und eine Militarisierung der Beziehungen in ungeahntem
Ausmaß zur Folge haben könnte.
"Die Friedensdividende ist verfallen" konnte man im Leitkommentar
einer großen deutschen Tageszeitung am 17. September lesen. In diese
Richtung deutet auch die unbedachte Rede davon, wir befänden uns in
einem Krieg. Ohne es zu wollen, macht sie sich die Sprachregelung der
Attentäter zu eigen und geht ihnen damit in die Falle. Es kommt aber
jetzt darauf an zu unterscheiden und zu verhindern, dass sich die
Kriegserklärung einiger fanatischer Krimineller an die westlichen
Demokratien in einem "Kampf der Kulturen" verallgemeinert, und sich
Huntingtons falsche und gefährliche Prognose erfüllt, wir steuerten
unweigerlich auf einen Zusammenstoß zwischen unserer
abendländischen Zivilisation und der Welt des Islam zu.
Welche Solidarität ist die richtige?
Politik und Politikberatung sind in einer völlig neuen Weise gefordert
Verantwortung zu übernehmen, gesunden Menschenverstand, ethische
Grundsätze und fachliche Expertise zu bündeln, um Antworten und
Handlungsorientierungen zu finden auf die Fragen und Konflikte, die
uns alle im Zeitalter der Globalisierung erreicht haben und die auch
einen Hintergrund für die neue Dimension des international
operierenden Terrorismus darstellen:
-
die Herausforderungen des weltpolitischen Macht- und
Wohlstandsgefälles;
- die Probleme im Umgang mit kultureller und religiöser Differenz;
- die Ursachen für die offenbar wachsende Bereitschaft vieler,
selbst das eigene Leben in den Dienst terroristischer
Organisationen zu stellen;
- die Durchsetzung des internationalen Rechts, insbesondere bei der Bekämpfung terroristischer Verbrechen.
Notwendig ist, den Terrorismus zu bekämpfen, seine Organisatoren
und Hintermänner zur Verantwortung zu ziehen und vor Gericht zu
stellen. Nicht weniger dringend sind mittel- und langfristige Strategien,
um ihm durch alternative Lebensentwürfe und -chancen das Wasser
abzugraben.
Zum Erfahrungswissen der Friedens- und Konfliktforschung gehört,
dass Vergeltung und militärische Gewaltanwendung die gefährliche
Tendenz zur Eigendynamik und Eskalation haben. Konfliktanalyse und
-vorsorge setzen dagegen auf die "weichen" Instrumente des Dialoges
und der Vermittlung sowie die Implementierung demokratischer und
sozial gerechter Strukturen.
Weder vermeintlich "klinische" militärische Schläge noch die in den
USA diskutierte Vorbereitung auf einen "langen Krieg" oder
"Kreuzzug", sondern Besonnenheit, strikte Anwendung des
Völkerrechts, verbesserte Sicherheitsvorsorge für die Bürger unter
Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien, vernünftige Ursachenanalysen
und entsprechende politische Konsequenzen sowie langfristige
Konzepte der Konfliktprävention sind jetzt gefragt.
Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre Solidarität mit den USA in
diesem Sinne auszuüben und mäßigend auf die sich abzeichnende
Kriegsstimmung in der internationalen Öffentlichkeit einzuwirken. Das
Interesse der USA an der Notwendigkeit guter Verbündeter und am
Internationalismus ist auch in unserem. Die Bündnisverpflichtung im
Rahmen der NATO muss allerdings nicht militärischer Natur sein.
Europa kann und muss mit zivilen und polizeilichen Mitteln beitragen,
die internationalen Unterstützungsnetzwerke des Terrorismus trocken
zu legen. Eine zentrale Rolle kann Europa auch im konstruktiven
Dialog und als Vermittlerin in den Konflikten im Nahen Osten und
anderen Regionen spielen, die ein Hinterland für Terroristen sind.
Wir sind nicht im Krieg!
Die Herausgeber des Friedensgutachtens:
Dr. Corinna Hauswedell (Bonn International Center for
Conversion, BICC)
Dr. Reinhard Mutz (Institut für Friedensforschung und
Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, IFSH)
Dr. Ulrich Ratsch (Forschungsstätte der Evangelischen
Studiengemeinschaft, FEST)
Dr. Bruno Schoch (Hessische Stiftung für Friedens- und
Konfliktforschung, HSFK)
Dr. Christoph Weller (Institut für Entwicklung und
Frieden, INEF)
Der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und
Konfliktforschung (AFK) unterstützt diese Erklärung.
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