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Für eine umfassende Anti-Terror-Strategie

UN-Generalsekretär Kofi Annan legt einen Bericht vor. Vorschläge in fünf Handlungsfeldern

Von Wolfgang Kötter

Im New Yorker Hauptsitz der Vereinten Nationen berät die Vollversammlung heute (11.5.) über ein gemeinsames Konzept der 191 Mitgliedstaaten gegen den internationalen Terrorismus. Generalsekretär Kofi Annan hat dafür bereits Anfang des Monats mit seinem 32-seitigen Bericht "Vereint gegen den Terrorismus" eine inhaltliche Grundlage geliefert. Der Terrorismus ist eine Bedrohung für alle Staaten und Völker, gleichzeitig richtet er sich auch gegen die Grundwerte der UNO: Friedliche Konfliktlösung, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Schutz von Zivilisten sowie gegenseitiger Respekt für unterschiedlichen Glauben und verschiedene Kulturen. Notwendig ist deshalb eine umfassende Strategie für die gesamte Welt, die sich aber strikt im Rahmen des nationalen und internationalen Rechts bewegen muss. Gleichzeitig kommt es darauf an, sich auch den sozio-ökonomischen, politischen, religiösen und ethnischen Ursachen für Protesthaltungen und Frustration zuzuwenden, durch die der Terrorismus regelrecht gezüchtet wird.

Annan unterbreitet Vorschläge in fünf Handlungsfeldern. Erstens müssten desillusionierte Gruppen daran gehindert werden, Zuflucht zum Terrorismus zur Erreichung ihrer Ziele zu suchen. Dabei könnte eine "Konvention gegen den Internationalen Terrorismus" wirksam helfen. Ihr Zustandekommen scheitert jedoch seit Jahren daran, dass die Diplomaten darüber streiten, was Terrorismus eigentlich ist. Mit Hinblick auf den Definitionsdisput macht der UNO-Chef deutlich, dass er jede Handlung für einen terroristischen Akt hält, wenn dadurch Zivilisten getötet oder verletzt werden, wenn unschuldige Menschen eingeschüchtert und Regierungen oder internationale Organisationen dazu gezwungen werden sollen, etwas zu tun oder zu unterlassen. Auch das in der Charta verbriefte Recht auf Selbstbestimmung bedeutet nicht das Recht auf Terror.

Eine zweite Aufgabe besteht darin, den Terroristen die logistischen und materiellen Möglichkeiten für Anschläge zu verweigern. Dafür muss unterbunden werden, dass sie ungehindert umherreisen können, finanzielle Unterstützung erhalten und Zerstörungsmittel, vor allem aber Massenvernichtungswaffen erwerben. Besonders bedrohlich erscheinen gegenwärtig die Entwicklungen in den Biowissenschaften. In Zehntausenden Labors können demnächst „Designerviren“ hergestellt werden, die tödliche Infektionskrankheiten quer über den ganzen Erdball verbreiten. Um den terroristischen Missbrauch der Gentechnik zu verhindern, wird ein Forum vorgeschlagen, das Regierungen, Industriebetriebe, Wissenschaftler, Gesundheitsexperten und Sicherheitsbeamte zusammenbringt, um sicherzustellen, dass die Fortschritte der Gentechnik ausschließlich zum Wohle der Menschheit eingesetzt werden. Anlass zur Sorge bietet ebenfalls die zunehmende Nutzung des Internets zur Kommunikation, für die Rekrutierung des Terroristennachwuchses und zu Propagandazwecken.

Eine dritte wichtige Herausforderung besteht darin, Staaten davon abzuhalten, dass sie Terrorgruppen Hilfe gewähren. Stärker noch als bisher sollte der Sicherheitsrat Sanktionen gegen diejenigen Staaten verhängen, die Terroristen Unterschlupf gewähren oder sie unterstützen.

Viertens ist es notwendig, die Fähigkeiten der Staaten zur Terrorismusverhütung weiter auszubauen. Weil Terroristen bevorzugt schwache, zerfallende Staaten als Rückzugsräume nutzen, um Gefolgsleute auszubilden oder anzuwerben, und sich dort vor drohender Verhaftung zu verstecken, müssen die Kapazitäten und die Eigenverantwortung dieser Staaten gestärkt werden. So könnten z.B. zusätzliche Rechtsberater, Polizei- und Sicherheitskräfte eine verantwortungsvolle Regierungsführung und die öffentliche Ordnung stabilisieren. Schließlich und nicht zuletzt gilt es, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen. Terrorismus sieht Annan als einen direkten Angriff auf diese zentralen Werte und deshalb dürften sie nicht geopfert werden. Die Wahrung der Menschenrechte gehe nicht nur mit einer erfolgreichen Anti-Terror-Strategie einher, sondern sie sei eines ihrer wesentlichen Elemente. Dies gilt für Terroropfer ebenso wie für Terrorverdächtige und alle von den Folgen des Terrors Betroffenen. Wie ausdrücklich an die Adresse der USA gerichtet, warnt der UNO-Generalsekretär deshalb: "Jede Strategie, die die Menschenrechte beeinträchtigt, spielt den Terroristen direkt in die Hände."

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat der UNO-Sicherheitsrat fast 20 Anti-Terror-Resolutionen verabschiedet, darunter:
  • Verpflichtung aller UNO-Mitgliedstaaten, gegen Terroristen vorzugehen und ihnen die finanzielle und logistische Basis zu entziehen. Konten terroristischer Vereinigungen sollen eingefroren und Grenzkontrollen intensiviert werden. Ein Anti-Terror-Komitee wird die Einhaltung der Auflagen überwachen. (Resolution 1373, September 2001);
  • Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, verhängte Sanktionen gegen Terroristen strikter zu gestalten. Der Sicherheitsrat verlangt außerdem eine bessere Zusammenarbeit der Regierungen mit den Vereinten Nationen. (Resolutionen 1455 und 1456, Januar 2003);
  • Verpflichtung der Mitgliedstaaten, juristisch gegen den Zugang von Terroristen zu atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen vorzugehen. (Resolution 1540, April 2004);
  • Sanktionen gegen Terrororganisationen und deren Unterstützer werden verschärft. Die internationale Gemeinschaft muss gegen jeden vorgehen, der Terroristen rekrutiert, Unterschlupf gewährt oder Waffen verkauft. Den Mitgliedstaaten wird verboten, Terroristen durch ihr Hoheitsgebiet reisen zu lassen, deren Konten müssen eingefroren und jeglicher Geldverkehr verhindert werden. (Resolution 1617, Juli 2005);
  • Verpflichtung der Mitgliedstaaten, nationale Rechtsgrundlagen gegen jegliche Unterstützung terroristischer Aktivitäten zu schaffen und international bei der Terrorbekämpfung zu kooperieren. (Resolution 1624, September 2005).
* Dieser Beitrag erschien - leicht gekürzt - in: Neues Deutschland, 11. Mai 2006 ("Annan wirbt für umfassende Anti-Terrorstrategie")

Hier geht es zum Bericht des Generalsekretärs:
Vereint gegen den Terrorismus: Empfehlungen für eine weltweite Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus
Bericht des Generalsekretärs (A 60/825), pdf-Datei

Annans Bericht im englischen Original:
Uniting against terrorism: recommendations for a global counter-terrorism strategy
Report of the Secretary-General, 27 April 2006 (pdf)


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