Heute vor zehn Jahren: Bombenanschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam. Die Lunte wurde in Albanien gezündet
1998 zerbrach das balkanische Bündnis zwischen den USA und dem Islamischen Dschihad
Von Jürgen Elsässer *
Der 7. August 1998 war ein Tag des Schreckens für die Vereinigten
Staaten: Bombenanschläge in der kenianischen Hauptstadt Nairobi und in
der tansanischen Hauptstadt Daressalam verwandelten die dortigen
US-Botschaften in eine Trümmerwüste.
224 Tote (darunter 12 US-Bürger) und über 5000 Verletzte wurden an jenem
7. August gezählt. es war der schwerste Anschlag gegen ein westliches
Ziel seit der Sprengung einer US-Passagiermaschine über dem schottischen
Lockerbie zehn Jahre zuvor.
Bereits unmittelbar danach war klar, dass die Lunte für diese
Sprengsätze nicht auf dem schwarzen Kontinent, sondern auf dem Balkan
gezündet worden war. Die »Washington Post« etwa ging der Frage nach, »ob
die Anschläge eine Rache von Bin Ladens Organisation für die Beteiligung
der CIA an der Verhaftung von vier ihrer angeblichen Mitglieder« in
Albanien war.
»Pakt mit dem Teufel«
Die Verantwortung für die Bomben übernahm nicht Al Qaida (von der damals
noch keine Rede war), sondern die Gruppe Islamischer Dschihad von Ayman
al Zawahiri. Der Ägypter hatte zwei Jahre zuvor mit Osama bin Laden eine
gemeinsame Kriegserklärung an die USA veröffentlicht, spielte jedoch
weiter sein eigenes Spiel.
Dieses Spiel hatte ihn bis 1995 zu einem informellen Bündnis mit den USA
geführt. Schauplatz war Bosnien-Herzegowina, eine abtrünnige Republik
Jugoslawiens. Dort tobte seit 1992 ein blutiger Bürgerkrieg der
verbündeten Kroaten und Muslime auf der einen und der Serben auf der
anderen Seite. Die USA sahen, wie die übrigen NATO-Staaten, in den
Serben den Hauptfeind und schlossen gegen sie einen »Pakt mit dem
Teufel« - so der US-Balkanemissär Richard Holbrooke.
Der 1992 ins Amt gewählte US-Präsident Bill Clinton tolerierte den
Zustrom von arabischen Mudschahedin an die bosnischen Fronten und ließ
die Muslime mit Hilfe geheimer Versorgungsflüge mit den modernsten
Waffen ausrüsten. Organisator der Internationalen Dschihad-Brigaden auf
dem Balkan war kein anderer als Ayman al Zawahiri, der in Sofia ein
Verbindungsbüro errichtet hatte.
Doch nach dem gemeinsam errungenen Sieg über die Serben und dem
Friedensvertrag von Dayton im November 1995 war Washington bestrebt,
eine »drohende Machtübernahme der Mudschahedin« (Clinton) in Bosnien zu
verhindern. Zawahiris Leute wurden von den US-geführten
Besatzungstruppen verfolgt und schikaniert.
Ein Angebot
Trotz der deutlichen Abkühlung des Verhältnisses wollte Zawahiri die
verdeckte Zusammenarbeit mit Clinton fortsetzen. Die Geschichte dieses
Deals aus den Jahren 1997/98 hat Yossef Bodansky nachgezeichnet, ein
republikanischer Abgeordneter des US-Kongresses. Er arbeitete 16 Jahre -
bis 2003 - in einer Arbeitsgruppe des US-Senats »Terrorismus und
unkonventionelle Kriegführung« mit und war lange Zeit sogar deren
Vorsitzender. Im Unterschied zur politischen Führung seines Landes
kritisierte er die Balkanpolitik der USA als fahrlässige Hilfestellung
für den islamischen Terrorismus.
Folgt man der Darstellung von Bodansky, beinhaltete der Deal im Kern
einen Tausch - Bosnien gegen Ägypten: »Die Vereinigten Staaten würden
sich nicht einmischen oder eingreifen, um die Machtergreifung der
Islamisten in Ägypten zu verhindern, wenn die derzeit in Bosnien
befindlichen Mudschahedin von Angriffen auf die US-Streitkräfte dort
absähen.« Zum Ausloten der Spielräume traf sich Zawahiri im November
1997 mit dem CIA-Mittelsmann Abu-Umar al Amriki (al Amriki bedeutet »der
Amerikaner») im pakistanischen Peschawar.
Es war nicht das erste Treffen der beiden Männer. »In den achtziger
Jahren verhandelte Abu-Umar al Amriki offen für die CIA mit
verschiedenen arabisch-islamistischen Kampf- und Terrorbewegungen,
darunter auch die von Azzam, Bin Laden und Zawahiri, die damals den
afghanischen Dschihad führten,« schreibt Bodansky. Unter anderem hätten
die beiden schon damals über die Zukunft Ägyptens und Zawahiris Rolle in
einer künftigen islamistischen Regierung gesprochen.
Anfang Dezember 1997 hieß es in der Kairoer Regierungszeitung »Al
Jumhurriya«: »Eine Quelle im Sicherheitsdienst wartet mit neuen
Informationen auf, wie ausländische Kräfte sich des terroristischen
Faktors bedienen. (...) Diese Quelle spricht von einem Treffen zwischen
einem Vertreter eines westlichen Nachrichtendienstes und Ayman al
Zawahiri, dem Führer der Al Dschihad Organisation, in einem Camp im
pakistanischen Peschawar an der Grenze zu Afghanistan.«
Zu Beginn des Jahres 1998 häuften sich ähnliche Artikel in der
ägyptischen Presse. Das Oppositionsblatt »Al Shab«, das
nationalistischen Kreisen im Militär nahesteht, beschuldigte die
Clinton-Regierung, »einen organisierten Plan begonnen zu haben, Ägypten
an allen Fronten zu belagern«.
Doch der Deal zwischen Zawahiri und Al Amriki platzte. Die
Clinton-Administration war genauso wenig einheitlich wie die
verschiedenen US-Geheimdienste, und während eine Fraktion die verdeckten
Gespräche mit den Dschihadisten begonnen hatte, eröffneten andere
bereits eine neue Front: Zum Jahreswechsel 1997/98 spitzte sich der
Streit mit Irak erneut zu. Die USA zogen eine größere Streitmacht
zusammen, nachdem die UN-Waffeninspekteure, infiltriert von US-Spionen,
eine Verhandlungskrise provoziert hatten. Krieg lag in der Luft - zum
ersten Mal seit der Operation »Desert Storm« im Jahre 1991.
Rückschlag in Tirana
Im Sommer 1998 schlugen die USA und ihre Verbündeten gegen Al Zawahiris
Leute in Tirana los. Vier Dschihadisten wurden festgenommen, obwohl sie
in Albanien legal lebten und bisher nichts gegen sie vorlag, und unter
Missachtung aller Rechtsgrundsätze nach Ägypten ausgeliefert. Später
gaben die Männer an, sie seien noch auf albanischem Boden unter anderem
mit Elektroschocks gefoltert worden. Der albanische Geheimdienst, an
dessen Spitze der Zawahiri-Freund Bashkim Gazidede zwischenzeitlich auf
US-Druck zurückgetreten und nach Syrien geflohen war, ließ die
Schmutzarbeit von eigens eingeflogenen ägyptischen Beamten machen. Die
Festnahmen selbst - da keine Haftbefehle vorlagen, muss man eher von
Kidnapping sprechen - hatten US-Geheimdienstleute vorgenommen.
Am 5. August schwor Zawahiris Islamischer Dschihad Rache an den
Vereinigten Staaten für die Festnahme, Folterung und mögliche Exekution
seiner drei in Albanien festgenommenen Gefolgsleute. Am 6. August traf
eine gleichlautende Erklärung der Gruppe im AFP-Büro Kairo und bei der
arabischen Tageszeitung »Hayat« in London ein. Am 7. August explodierten
die Bomben in Nairobi und Daressalam.
1999 wurde die Verbindung zwischen dem Balkan und den Terroranschlägen
in Ostafrika zur Gewissheit. In einem Prozess in Kairo gegen 107
Fundamentalisten, die in der Presse als »Albanien-Rückkehrer« bezeichnet
wurden, erklärte der Chef der Tirana-Zelle, Ibrahim al Naggar: »Ich
bekenne mich zum Nairobi-Anschlag, denn die Botschaft dort war das
größte Spionagenest zur Beobachtung islamistischer Bewegungen in der
Region.«
Ein Buch des Autors zum Thema - »Wie der Dschihad nach Europa kam« -
erscheint im September 2008 in einer Neuausgabe im Verlag Kai Homilius.
* Aus: Neues Deutschland, 7. August 2008
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