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Tödlicher Freihandel

Berlin: Protest gegen transatlantisches Abkommen TTIP. Sozialdemokraten wollen es "konstruktiv" diskutieren und juristische Sonderrechte für Konzerne "abwenden"

Von Jana Frielinghaus *

Zwei Tatsachen machen immer mehr Bürger skeptisch, wenn es um die geplante Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP zwischen der Europäischen Union und den USA geht. Erstens: Die Vereinbarung wird geheim, ohne Beteiligung der Öffentlichkeit, beraten. Zweitens: Es gibt schon zahllose bi- und multilaterale Freihandelsabkommen, bei denen das von Politik und Wirtschaft Verheißene – Wachstum, mehr Wohlstand, »Tausende Arbeitsplätze« – nicht eingetroffen ist, im Gegenteil. Nichtsdestotrotz lobte am Montag auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die »Chancen« von TTIP (siehe jW vom 6.5.). Zugleich betonte er, er halte das von den USA geforderte Sonderklagerecht für Konzerne vor privaten Schiedsgerichten gegen profitschmälernde Gesetze von Nationalstaaten für »unnötig«. Für die Befürchtungen vieler Menschen, daß TTIP weitere Entdemokratisierung, Abbau von Beschäftigtenrechten, Absenkung von Löhnen, von Standards beim Umwelt- und Verbraucherschutz bringen wird, hatte der Minister nur Spott übrig: Es gebe »eine Menge Vermutungen über das, was verhandelt wird, aber wenig Wissen«. Zur Übergabe eines Appells gegen TTIP, den Hunderttausende unterstützten, sagte Gabriel: »470000 Menschen haben gegen etwas unterschrieben, was es noch gar nicht gibt.« Man könne »den Eindruck kriegen, als ginge es um Leben und Sterben«, amüsierte er sich.

Am Dienstag empörten sich in Berlin-Mitte Aktivisten des Bündnisses »TTIP – unfairhandelbar« über Gabriels Arroganz. Die Redner auf einer Kundgebung des Zusammenschlusses von mehr als 60 Organisationen riefen dazu auf, bei der Wahl zum Europaparlament am 25. Mai nur Parteien zu wählen, die TTIP konsequent ablehnen. Zur Kundgebung am Brandenburger Tor waren Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien eingeladen, ihre Position zum Abkommen darzulegen. Gekommen war Wolfgang Tiefensee, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, Heike Hänsel (Die Linke) und Bärbel Höhn (Grüne).

Tiefensee versicherte, seine Partei wolle »keine Investor-Staats-Schiedsgerichte« und werde »versuchen, das abzuwenden«. Daß sie tatsächlich ihr Veto einlegen wird, konnte er nicht versprechen. Die SPD gehe »sehr skeptisch, aber konstruktiv in die Verhandlungen«, kündigte er an. Sie werde u.a. dafür streiten, daß im Abkommen die Normen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO festgeschrieben werden. »Definitiv« werde mit TTIP kein EU-Standard zugunsten in den USA geltender Regeln abgebaut und umgekehrt, versicherte Tiefensee.

Die Linke-Politikerin Hänsel verwies demgegenüber auf die verheerenden Erfahrungen mit bisherigen Verträgen, die EU und USA mit Entwicklungsländern geschlossen haben. Insbesondere das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA zwischen Kanada, den USA und Mexiko zeige: »Freihandel tötet.« So sei die Armutsquote in Mexiko seit dessen Inkrafttreten 1994 von 45 auf 51 Prozent gestiegen. In den USA seien in der Folge eine Million Industriearbeitsplätze abgebaut und durch Niedriglohnjobs ersetzt worden. Die mexikanische Biologin Elena Alvarez Buylla berichtete, in ihrem Land hätten durch Billigimporte von US-Mais und den daraus resultierenden Preisverfall zwei Millionen Kleinbauern ihre Existenz verloren. Zu Tausenden seien sie in die Vereinigten Staaten emigriert, wo sie für Hungerlöhne in Industrie und Landwirtschaft schuften.

Hänsel betonte, das Problem bei NAFTA und anderen Handelsverträgen sei, daß heere Grundsätze wie die ILO-Normen zwar in Präambeln formuliert seien. Diese würden aber durch Bestimmungen in den zahlreichen Nebenabkommen »untergraben«. Deshalb lehne Die Linke TTIP grundsätzlich ab. »Wir wollen ein neues Verhandlungsmandat für einen fairen Welthandel«, sagte Hänsel. Nötig seien multilaterale Gespräche »unter dem Dach der Vereinten Nationen«.

Ähnlich äußerte sich Bärbel Höhn (Grüne). Sie wies zugleich auf die von dem bereits nahezu fertigen Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, CETA, ausgehenden Gefahren hin. Die ehemalige nord­rhein-westfälische Umwelt- und Agrarministerin versprach, ihre Partei werde sowohl TTIP als auch CETA auf allen parlamentarischen Ebenen ablehnen – wenn darin weiter die Schiedsgerichtsverfahren enthalten seien, in denen Konzerne Staaten auf Schadenersatz verklagen können.

Annette Sawatzki vom Netzwerk Campact teilte unterdessen mit, inzwischen sei die Onlinepetition gegen TTIP bereits von 600000 Menschen unterzeichnet worden.

* Aus: junge welt, Mittwoch, 7. Mai 2014


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