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Gefesselt und geknebelt

Vorabdruck. Investitionsschutzabkommen sind ihrem Wesen nach undemokratisch und begünstigen Konzerne auf Kosten ganzer Staaten und deren Bewohner

Von Hannes Hofbauer *

In diesen Tagen erscheint im Wiener Promedia Verlag von Hannes Hofbauer das Buch »Die Diktatur des Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter«. jW veröffentlicht daraus vorab minimal gekürzt, redaktionell leicht bearbeitet und unter Verzicht auf die Fußnoten das Kapitel »Verstaatlichungsverbote: Investitionsschutzabkommen«. (jW)

Investitionsschutzabkommen gehen auf eine Initiative der »Weltbank« zurück, die bereits 1965 lanciert wurde. Das »Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten« trat im selben Jahr in Kraft. Der damalige Vorstoß der Bretton-Woods-Organisation war eine Reaktion auf die Dekolonisierungswelle auf der südlichen Halbkugel, ein erster Schritt in Richtung Kodifizierung restaurativer Kapitalinteressen. Institutionell fungierte das »International Center for Settlement of Investment Disputes« (ICSID) als Rahmen für die multilaterale Konvention zum Schutz von (privaten) Investitionen vor staatlichen Zugriffen. Im Jahr 2008 hatten 155 Staaten die Konvention ratifiziert und damit das direkt bei der Weltbank in Washington angesiedelte ICSID anerkannt. Mit Bolivien, Ecuador und Venezuela sind in den vergangenen Jahren von linken Regierungen geführte Länder ausgetreten.

Nationalem Recht entzogen

Anders als Verträge, die Investoren mit dem jeweiligen Gastland auf Basis von Fremdenrechten abschließen, bieten Investitionsschutzabkommen Unternehmen alle erdenklichen Möglichkeiten, ihre von ihnen selbst als unumstößlich betrachteten Rechte durchzusetzen. Fremdenrechtliche oder Investor-Staat-Verträge, wie sie noch in den 1960er und 1970er Jahren mehrheitlich üblich waren, unterlagen meist den Gesetzen des Gastlandes und konnten im Fall von Streitigkeiten nur über diplomatische Kanäle zwischen dem Heimatstaat des investierenden Unternehmens und dem Gastland durchgesetzt werden. Der Investor hatte kaum eine direkte rechtliche Handhabe.

Mit den »International Investment Treaties«, den Investitionsschutzabkommen, hat sich das radikal gewandelt. Nun existiert ein exterritoriales Schiedsgericht, dessen Befugnis allumfassend ist und von den Vertragsparteien im Vorfeld anerkannt wird. Investitionen und damit wirtschaftliche Tätigkeiten sind der nationalen Rechtsprechung entzogen. In den völkerrechtlich bindenden Vertrag steht der Schutz des Eigentums über allem anderen. Die allermeisten dieser Verträge werden bilateral abgeschlossen. Während multilaterale Wirtschafts- und Freihandelsabkommen wie »Nafta«, »Mercosur«, »Europäische Union«, »Gats« oder »Trips«, die ähnliche Zielsetzungen haben, zumindest formal von einer gleichberechtigten Teilnahme der Mitgliedsstaaten ausgehen, sind bilaterale Investitionsschutzabkommen – obzwar de jure für beide Seiten bindend – de facto nur zum Schutz der großen Investoren in peripheren und Schwellenländern, zunehmend aber auch in Industriestaaten gemacht.

Ende 2012 hat die Bundesrepublik Deutschland, die bereits in den 1960er Jahren erste bilaterale Investitionsschutzabkommen geschlossen hatte, mit 131 Ländern sogenannte »Investitionsförderungs- und -schutzverträge« (IFV) unterzeichnet. Auf der Homepage des »Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie« werden diese penibel aufgelistet. Das Interessante an der Liste: Vor 1989 beschränkten sich die wenigen Investitionsschutzabkommen auf afrikanische und ein paar kleinere ostasiatische Länder sowie Griechenland, Portugal und Malta, auf insgesamt 35 (gegenüber heute 131) Staaten, das damalige Who is Who wirtschaftskolonialer Begehrlichkeiten.

Wer läßt nun mit den Verträgen, deren Zahl seit 1989 schier explodiert ist, was vertraglich schützen? Die groben Strukturen werden recht freimütig veröffentlicht. So existiert sogar ein »deutscher Muster-Investitionsschutzvertrag«, offensichtlich die Vorlage für die über 100 Abkommen, die das zwischenstaatliche Wirtschaftsleben bestimmen.

Sehen wir uns einmal einen solchen Investitionsschutzvertrag genauer an, z.B. jenen, der von der Republik Österreich und Rumänien 1997 erstmals ratifiziert wurde, und zwar in der Fassung vom 24. September 2010. Das Abkommen trägt den Titel »Über die gegenseitige Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen«. Bereits die Terminologie ist irreführend. Denn es ist kein nennenswertes Investment von rumänischem Kapital in Österreich bekannt. Umgekehrt hat der größte österreichische Energiekonzern »OMV« den – vor der Übernahme personell noch stärkeren – rumänischen Kraftstoffmonopolisten »Petrom« gekauft. Auch in anderen Branchen wie z.B. dem Finanzsektor, der Landwirtschaft oder im Lebensmittelbereich haben sich österreichische Investoren in Rumänien breitgemacht, nie umgekehrt. Wir lernen daraus: Investitionsschutzabkommen sind eben nicht, wie auch im deutschen Mustervertrag angeführt, zum »gegenseitigen« Schutz in Kraft, sondern sie schützen Kapital mächtiger ausländischer Konzerne vor möglichen staatlichen Eingriffen.

In Artikel 1 (»Definition«) wird der Begriff der zu schützenden »Investition« erläutert. Sie umfaßt Vermögenswerte jeglicher Art, »Eigentum an beweglichen und unbeweglichen Sachen sowie sonstige dingliche Rechte, wie Hypotheken, Zurückbehaltungsrechte, Pfandrechte, Nutzungsrechte und ähnliche Rechte«; des weiteren »Aktien, Wertpapiere«, »Ansprüche auf Geld und Leistungen«, »geistiges Eigentum«, »Konzessionen«, »wieder investierte Gewinne« etc. etc. Als »Erträge« aus diesen Investitionen werden definiert: »Gewinne, Zinsen, Kapitalzuwüchse, Dividenden, Tantiemen, Lizenzgebühren und andere Entgelte«, wobei sicherheitshalber – man kann ja nie wissen, woher das Geld alles kommt – darauf hingewiesen wird, daß diese Aufzählung »nicht ausschließlich« gemeint ist.

Privates Kapital als Heiligtum

Zur Sache geht es dann in Artikel 4 (»Entschädigung«). Hier steht der Begriff »Enteignung« im Zentrum, »er umfaßt auch eine Verstaatlichung oder jede sonstige Maßnahme mit gleicher Wirkung«. Privates Kapital ist heilig. Sollte dennoch aus irgendwelchen Gründen »im öffentlichen Interesse« einmal eine Enteignung stattfinden, beispielsweise wegen dringender infrastruktureller Maßnahmen oder weil sich das Wahlvolk gegen ökologisch oder finanziell katastrophale Investitionen ausgesprochen hat, dann ist vertraglich vorgesorgt: »Die Entschädigung muß dem Wert der Investition unmittelbar vor dem Zeitpunkt entsprechen, in dem die tatsächliche oder drohende Enteignung öffentlich bekannt wurde«. Damit ist ausgeschlossen, daß der Wert einer Kapitalanlage aus politischen Gründen sinkt, z.B. weil öffentlich über soziale, ökologische oder regionale Tragbarkeit bzw. Sinnhaftigkeit eines Investments debattiert wird. Und weiter im Text: »Die Entschädigung muß ohne ungebührliche Verzögerung geleistet werden, (…) sie muß in frei konvertierbarer Währung erfolgen und frei transferierbar sein.« Im Falle von Krieg oder bewaffneten Auseinandersetzungen darf der ausländische Investor »nicht weniger günstig behandelt werden als eigene Investoren oder Investoren dritter Staaten«.

Selbstverständlich, daß vor dieser Machtkulisse des großen Kapitals in Artikel 5 (»Transfer«) dann noch dem Gewinntransfer gehuldigt wird, und zwar »in frei konvertierbarer Währung«. Erträge, Darlehensrückzahlungen, Erlöse, Veräußerungen und Entschädigungen zählen dazu, wie gehabt, und damit in der Eile des Vertragsabschlusses nichts vergessen wird: »nicht ausschließlich«.

Wer nun glaubt, daß im Streitfall nationale Gerichte (des Heimatlandes oder des Gastlandes des Investors) über den Wert von Investitionen, Rechtmäßigkeiten, Entschädigungen oder ähnliches entscheiden, irrt. In Artikel 8 steht klipp und klar, was in letzter Instanz passiert, so sich die streitenden Parteien nicht »innerhalb von drei Monaten« einigen: »Die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen dem Investor und einer Vertragspartei (…) wird vom Internationalen Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, welches (…) am 18. März 1965 in Washington zur Unterzeichnung aufgelegt wurde«, getätigt. Mithin ist das mit der »Weltbank« assoziierte »International Center for Settlement of Investment Disputes« (ICSID) für Streitschlichtungen zuständig.

Anders als bei früher üblichen Verträgen muss bei tatsächlich oder vermeintlich gebrochenen »Investitionsschutzabkommen« nicht der nationale Instanzenweg – weder im Heimatland noch im Gastland – ausgeschöpft werden. Das investorenfreundliche ICSID übernimmt sofort das Ruder, was sich auch in den Entscheidungen niederschlägt. Eine UN-Statistik aus dem Jahr 2012 zeigt auf, daß in 70 Prozent aller Fälle, die verhandelt wurden, für das Unternehmen und gegen den Staat entschieden wurde.

Noch Ende der 1990er Jahre ist der Versuch, ein internationales, für alle Staaten gültiges Investitionsregime zu errichten, gescheitert. Das bis 1998 verhandelte »Multilateral Agreement on Investment« (MAI), damals als OECD-Projekt hoch im Kurs, wiewohl auch einer starken Kritik durch Globalisierungsgegner ausgesetzt, mußte nicht zuletzt wegen des Widerstands aus Frankreich, das seine Kulturpolitik den Gefahren einer US-Hegemonie ausgesetzt sah, storniert werden. Die seither weltweit über 3000 abgeschlossenen Investitionsschutzabkommen kompensieren die MAI-Idee auf bilateraler Basis.

Strukturelle Asymmetrie

Investitionsschutzabkommen stehen von ihrer Struktur her dem demokratischen Prinzip entgegen. Sie sind in der Regel mindestens zehn Jahre gültig, verlängern sich meist automatisch und leisten damit Versprechen an Investoren, ohne daß ein späterer parlamentarisch-demokratischer Meinungsbildungsprozeß das Investment kritisch betrachten könnte. In Ländern der europäischen Peripherie, ganz zu schweigen von afrikanischen und kleineren südostasiatischen Ländern, führt dieses bilaterale Investitionsregime dazu, daß jede neue Regierung die Versprechen der Unantastbarkeit sämtlicher ausländischen Investitionen erneuern muß. Allein die Androhung einer Klage durch einen investierenden Konzern reicht in der Regel aus, geplante Gesetzesänderungen, die das Investment teurer machen würden, abzublasen oder zu verwässern. »Regulatory chill« nennt sich dieser ständige Druck, der auf politischen Entscheidungsträgern im Angesicht abgesicherter Investoren lastet. Der Politologin Pia Eberhardt von der lobbykritischen Organisation »Corporate Europe Observatory« zufolge liegt das Problem im strukturell asymmetrischen Recht der Investitionsschutzabkommen begründet. Vor dem Weltbank-Regulator können nur Investoren gegen Staaten, nicht umgekehrt Staaten gegen Investoren klagen. Der Schutz in den Abkommen gilt nur dem Kapital, nicht der Politik oder dem öffentlichen Interesse. Tatsächlich liegt darin ein antidemokratischer Wesenskern der bilateralen Verträge, die zwar zwischen Staaten abgeschlossen, aber nur von Investoren in Anspruch genommen werden können.

Meist geht es bei den Verfahren vor dem Washingtoner Schiedsgericht nicht einmal um Fragen der Enteignung, sondern um potentielle Gewinneinbußen im Zuge politischer Entscheidungen, wie z.B. beim geplanten Ausstieg aus einer als gefährlich erkannten Technologie oder bei gesundheitspolitischen, patentrechtlichen und umweltpolitischen Maßnahmen. Durchgesetzte Entscheide, die den Unternehmen Schadensersatz zusprechen, können für Staaten extrem teuer werden. So ist ein Fall aus Ecuador bekannt, in dem der US-Konzern »Occidental« für das Aufkündigen eines Ölfördervertrages vom Washingtoner Schiedsgericht im Herbst 2012 1,75 Milliarden Dollar Entschädigung zugesprochen bekam. Quito mußte dafür tief in den Etat eingreifen. Doch selbst im – seltenen Fall – der Zurückweisung einer Investorenklage bleiben die freigesprochenen Staaten auf ihren Anwalts- und Verfahrenskosten sitzen. Das kam z.B. den Philippinen teuer zu stehen, als die Klage des deutschen Flughafenbetreibers »Fraport« über eine Entschädigung von 350 Millionen Euro wegen eines gescheiterten Projekts am Flughafen Manila zwar abgeschmettert wurde, die Prozeßkosten von 58 Millionen Euro jedoch vom philippinischen Staat gedeckt werden mußten.

Auch Industrienationen betroffen

Doch die Investitionsschutzabkommen betreffen mittlerweile nicht nur mehr Peripherie- und Schwellenländer. Längst kämpfen auch starke Industriestandorte gegen die rechtlichen Freibriefe für Investoren. Dies war z.B. der Fall in der Stadt Hamburg, die sich nach einem demokratisch per Wahlentscheid herbeigeführten Meinungsumschwung in Sachen Energiepolitik mit einer Schadenersatzforderung in Milliardenhöhe durch den schwedischen Energieriesen »Vattenfall« konfrontiert sah. Nach einem Koalitionswechsel 2008 wollten die nun mitregierenden Grünen strengere Umweltschutzauflagen für das Kohlekraftwerk im Stadtteil Moorburg erlassen. In den neuen Richtlinien zum Entzug des Kühlwassers aus der Elbe sah der schwedische Energiekonzern »Vattenfall« einen Bruch des Investitionsschutzabkommens und zog vor das internationale Schiedsgericht. Die Klagesumme von 1,2 Milliarden Euro schreckte die deutsche Bundesregierung als Beklagte. Das Kohlekraftwerk ging mit weniger strengen Auflagen ans Netz, der Hamburger Senat erfuhr von der Entscheidung aus den Medien, die Bürger protestierten – vergeblich. Der ehemalige Staatsrat der Umweltbehörde Hamburg, Christian Maaß, zeigte sich verwundert: »Es ist eine ziemlich absurde Situation«, meinte er gegenüber dem ARD-Magazin Monitor: »Wenn man wie ich über Jahre Umweltrecht studiert hat und angewendet hat, die Rechtsprechung kennt, denkt man, man weiß so ziemlich genau, um was es geht (…). Und dann werden Sie auf einmal vor ein Schiedsgericht gezerrt, wo drei Leute – von denen einer jeweils auch von den Parteien benannt wird – auf einmal darüber entscheiden sollen, ob das, was Sie rechtmäßig gemacht haben, rechtmäßig ist oder nicht.« Den Sonderschutz des Investors genießt »Vattenfall« auch im Fall der Atommeiler Krümmel und Brunsbüttel. Die bereits vor längerer Zeit politisch beschlossene Schließung der beiden AKWs aus den 1970er Jahren will sich »Vattenfall« nicht bieten lassen und sieht darin eine Beeinträchtigung seiner Investitionen. Die Klagesumme beträgt 3,7 Milliarden Euro. Am 31. Mai 2012 hat »Vattenfall« die Bundesrepublik Deutschland vor das seltsame Tribunal gezerrt, bis zum Hauptverfahren dürften mehrere Jahre vergehen, vor Anfang 2016 rechnet niemand damit. Allein um das erste Prozeßjahr finanzieren zu können, veranschlagte die Bundesregierung im Haushalt den Betrag von 2,5 Millionen Euro.

Einen »unfaßbaren Vorgang« nennt das der frühere österreichische Finanzstaatssekretär und sozialdemokratische Nationalratsabgeordnete Christoph Matznetter. Er sieht in den Investitionsschutzabkommen insgesamt eine große Gefahr: »Kapital will nur mehr dorthin gehen, wo es Investitionsschutzabkommen gibt«, meint er im Gespräch. Und weiter: »Gleichzeitig wird gegen Maßnahmen, die in einem Land demokratisch beschlossen werden – ich denke z.B. an den Atomausstieg in Deutschland –, von ausländischen Konzernen auf Basis des Investitionsschutzabkommens geklagt. Vor einem Schiedsgericht wird dann eine Schadensforderung von Milliarden Euro erhoben, um eine autonome Entscheidung der deutschen Bevölkerung, repräsentiert durch den Bundestag, zu revidieren. Das ist eigentlich ein unfaßbarer Vorgang. Wir erleben das in den Bereichen bis hin zur Wasserversorgung in Lateinamerika; auch lebensnotwendige Güter sind von solchen Investitionsschutzabkommen betroffen. Damit werden demokratische Strukturen ausgehöhlt und aufgehoben.« Nichtsdestotrotz ist die deutsche und EU-europäische Politik dabei, den Investitionsschutz weiter auszubauen. So ruft z.B. der sogenannte »arabische Frühling« neue Investoren aus EU-Europa auf den Plan, die ihre Profite sicher und von weiteren möglichen politischen Revirements möglichst unbeeinflußt sprudeln sehen wollen.

Schutz für Spekulanten

Investitionsschutz gilt im übrigen auch für die Spekulationssphäre, sogar im Zusammenhang mit Staatsanleihen. Im August 2013 erregte der Spruch eines US-Gerichts großes Aufsehen in der Börsenwelt, der den Hedgefonds »NML Capital« und »Aurelius« umgerechnet 1,1 Milliarden Euro zusprach. Die Geschichte hatte fünfzehn Jahre zuvor begonnen, als die beiden Geldverwerter argentinische Staatsanleihen kauften und auf schnellen und hohen Gewinn hofften. Der Staatspleite und dem totalen Zusammenbruch des Finanzsystems zur Jahreswende 2001/02 folgte unter dem linksorientierten Postperonisten Nestor Kirchner ein Schuldenschnitt. Die Finanzwelt war ob der »Dreistigkeit«, Investoren über die Klinge springen zu lassen, empört. Jahrelange Klagen beschäftigten Dutzende von Anwaltsbüros. Die Hedgefonds wollten ihr verspieltes Geld zurück. Immerhin, es ging um keine Kleinigkeit. Mit über 100 Milliarden US-Dollar stand Argentinien bei ausländischen Banken in der Kreide, es war die bis dahin größte Staatspleite. Der Rechtsstreit eskalierte, als einer der Hedgefonds die Beschlagnahme eines argentinischen Schiffes, das auf hoher See vor der Küste Afrikas unterwegs war, durchsetzte. Am 23. August 2013 brummte dann ein US-Gericht Buenos Aires eine Strafe von 1,1 Milliarden Euro auf, welche an die klagenden Hedgefonds auszuzahlen sei. Mitte Juni 2014 wies der Oberste Gerichtshof der USA die Berufung Argentiniens ab. Das Land wurde aufgefordert, unverzüglich 1,5 Milliarden US-Dollar an den Hedgefonds »NML Capital« auszuzahlen. Buenos Aires erklärte daraufhin seine Zahlungsunfähigkeit. Seitdem müßte eigentlich das Verb »spekulieren« einen Bedeutungswandel erfahren, denn das Risiko beim Ankauf von Staatsanleihen kann mit guten Anwälten ausgeschaltet werden. Bereits im Vorfeld des Urteilsspruches zum argentinischen Schuldenschnitt hatte die griechische Regierung Ende 2012 einen Teil ihrer Staatsanleihen von Hedgefonds zurückgekauft. Sie bot dafür mehr, als diese zum damaligen Zeitpunkt »wert« waren, um einen ähnlichen Richterspruch abzuwehren.

Das 2013 in die Wege geleitete und in den kommenden Jahren zu verhandelnde »Transatlantische Freihandelsabkommen« (TTIP) zwischen EU-Europa und den USA könnte vor diesem Hintergrund zum Schutzschild für Investoren dies- und jenseits des Atlantik werden. Auf Kosten politischer Interventionsmöglichkeiten.

Hannes Hofbauer: Die Diktatur des Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter, Promedia Verlag Wien 2014, 240 Seiten, 17,90 Euro

* Aus: junge Welt, Mittwoch 1. Oktober 2014


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