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Das Wetter ist bedeutsamer

Wirtschaftsminister Gabriel wirbt auf Dialogforum für Freihandelsabkommen

Von Simon Poelchau *

Die Befürworter hoffen, dass Europas Wirtschaft mit einem transatlantischen Freihandelsabkommen boomen wird. Doch Ökonomen sind da skeptisch.

Ganz eilig, die Sorgen seiner Mitmenschen zu zerstreuen, hatte es Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) am Montag nicht. Erst mit rund 20 Minuten Verspätung begann er seine Rede auf dem Dialogforum zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft in seinem Ressortsitz in Berlin. Seine wohl wichtigste Botschaft: »In Demokratien darf es keine Geheimverhandlungen geben«, so der Minister. Schließlich könne das Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der Europäischen Union nur ein Erfolg werden, wenn »offensiv« mit den Sorgen der Menschen umgegangen werde.

Schließlich ist die Kritik an der Nicht-Öffentlichkeit der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen seit deren Beginn im Juli 2013 groß. Die EU-Kommission, die auf europäischer Seite die Verhandlungen führt, hat deshalb Ende März mit einer öffentlichen Online-Konsultation begonnen. Auch die Veranstaltung im Wirtschaftsministerium, bei der auch EU-Handelskommissar Karel de Gucht und US-Handelsbeauftragter Michael Froman sprachen, sollte die transatlantischen Gespräche transparenter machen.

Für Klaus Ernst indes ist die Bezeichnung der Veranstaltung als »Dialogforum« irreführend. »Nach wie vor bleiben Verhandlungsmandat und Verhandlungsdokumente geheim«, sagt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Bundestag. Wunschlisten der Industrie würden explizit erbeten, während die Bedenken der Bevölkerung mit PR-Maßnahmen wie dieser zerstreut werden sollten.

Für die drei anwesenden Spitzenpolitikern überwogen dann auch die Vorteile, die ein Freihandelsabkommen bieten könnte. Gabriel sprach davon, dass alleine die deutschen Autobauer eine Milliarde Euro durch den Abbau von Zöllen sparen könnten. »Wir werden ein Abkommen erreichen, das viel Nutzen bringt und das die jeweiligen Werte und Prinzipien aufrechterhält«, versprach de Gucht. Froman versicherte derweil, dass umweltpolitische Standards nicht gesenkt werden würden.

Stattdessen erhofft sich die EU, dass die Wirtschaft durch das Abkommen angekurbelt wird. Um insgesamt 120 Milliarden Euro könnte das Bruttoinlandsprodukt wachsen, so die EU. »Diese Schätzungen sind sehr optimistisch«, meint dazu Gustav Horn. Der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) geht dagegen von einem maximalen Effekt von 0,05 Prozent Wirtschaftswachstum pro Jahr durch das Freihandelsabkommen aus. »Das ist nicht viel. Da ist das Wetter bedeutsamer«, so Horn gegenüber »neues deutschland«.

Der Ökonom Horn hält das Abkommen, so wie es zurzeit diskutiert wird, für »äußerst problematisch«. Gerade das geplante Investitionsschutzabkommen berge große Risiken, da erweiterte Klagerechte für die Konzerne die Regulierungsmöglichkeiten von Regierungen stark einengen könnten. Für diese sprach sich auf dem Dialogforum Michael Froman aus. »Durch TTIP können wir einen höheren Standard setzen«, so der US-Handelsbeauftragte.

In der Bundesregierung will man hingegen keine weiteren Schutzregeln für die Konzerne haben. »Unsere Auffassung ist, dass die USA und Deutschland hinreichenden Rechtsschutz vor nationalen Gerichten gewährleisten«, schrieb Wirtschaftsminister Gabriel bereits im März an de Gucht.

Ist das bereits ein Grund zum Aufatmen? »Ich hoffe, dass Gabriel diese Linie durchhalten wird«, sagt zumindest Gustav Horn.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 6. Mai 2014


Roadshow für Ladenhüter

EU und USA lobpreisen geplantes Freihandelsabkommen TTIP. Wirtschaftsminister Gabriel gegen extra Investitionsschutzklauseln **

Es ist in der Politik wie in der Wirtschaft: Will sich etwas nicht verkaufen, braucht es angeblich nur eine gute Marketingstrategie. So handeln auch die Protagonisten des geplanten Freihandelsabkommens zwischen EU und USA, »Transatlantic Trade and Investment Partnership« (TTIP). Weder Verbraucher noch Umweltschützer müßten sich wegen der Vereinbarungen Sorgen machen: »Wir werden ein Abkommen erreichen, das viel Nutzen bringt und das die jeweiligen Werte und Prinzipien aufrechterhält«, versprach EU-Handelskommissar Karel De Gucht am Montag in Berlin. Umwelt- und Verbraucherschutz würden nicht abgebaut, der Datenschutz dürfe nicht unterminiert werden. Ähnlich äußerte sich der US-Handelsbeauftragte Michael Froman. Es werde keine niedrigeren Vorgaben geben. Die umweltpolitischen Standards würden nicht gesenkt, das gelte auch für alle anderen Bereiche. Ziel sei zudem ein starker Verbraucherschutz.

Ein wenig größer wollte Sigmar Gabriel die Sache dann doch sehen: Es bestehe die Chance, mit dem TTIP Spielregeln für die ganze Weltwirtschaft vorzugeben. »Ein transatlantisches Abkommen soll und muß neue Maßstäbe für die wirtschaftliche Globalisierung setzen«, sagte der Bundeswirtschaftsminister bei dem Spitzentreffen mit Vertretern der US-Regierung und der EU-Kommission in Berlin. Laut dem Minister könnten allein die deutschen Autobauer durch den Abbau von Zöllen etwa eine Milliarde Euro sparen.

Natürlich weiß Gabriel um die mangelnde Akzeptanz des gesamten Vorhabens in der Bevölkerung. Deshalb warnte er davor, es durch Geheimniskrämerei zu gefährden. »In Demokratien darf es keine Geheimverhandlungen geben.« Einen von Kritikern geforderten Abbruch der Gespräche lehnte der Wirtschaftsminister ab. Ängste, daß Standards gesenkt würden, seien unbegründet, behauptete auch er.

EU und USA verhandeln seit Juli 2013 über das TTIP. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bis Ende 2015 einen Abschluß der Verhandlungen angekündigt.

Verbraucher- und Umweltschützer machen seit Monaten gegen das Abkommen mobil. Sie befürchten automatisch niedrigere Standards für Konsumenten, den Arbeitsschutz sowie Nachteile etwa für den Agrarsektor und den Kulturbereich. Auch wird gemutmaßt, die USA wollten Privatisierungen von Wasserversorgern, Schulen oder öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten durchsetzen. Dies wird von den Verhandlungsführern stets zurückgewiesen.

Streit gibt es auch um den »Investitionsschutz«. Gabriel sprach von einem Hauptkonfliktpunkt. Zwischen zwei hochentwickelten Rechtsstaaten brauche man keine besonderen Investitionsschutzregeln. Das sieht die US-Regierung anders. Froman pochte auf zusätzliche Vereinbarungen in dieser Hinsicht.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 6. Mai 2014


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