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"Es zeigt sich: Die Strategie ist perfide"

Freihandelsabkommen ist laut Linkspartei eine Gefahr für Demokratie wie Verbraucher- und Umweltschutz. Ein Gespräch mit Klaus Ernst


Klaus Ernst ist stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag.


Zur Zeit findet im US-amerikanischen Arlington (Virginia) die fünfte Verhandlungsrunde für ein Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen der EU und den USA statt. Die Verhandlungen sind geheim, Details sind der Öffentlichkeit nicht bekannt. Warum diese Geheimniskrämerei?

EU-Handelskommissar Karel De Gucht argumentiert, daß man zur Stärkung der eigenen Position dem Verhandlungspartner nicht sofort alle Karten offenlegen darf. Das ist angesichts des NSA-Skandals ein lächerlicher Einwand. Ich bin mir sicher, daß die US-Seite detailliert über die europäische Verhandlungsposition Bescheid weiß.

Nur die Menschen nicht, denen soll offensichtlich etwas gegen ihren Willen untergejubelt werden. US-Chefunterhändler Froman verteidigte die Geheimhaltung jüngst mit den Worten, das würde schon immer so gemacht. Es braucht also noch einiges an öffentlichem Druck, damit die Verantwortlichen wirklich anfangen umzudenken.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) selbst hat Transparenz bei den TTIP-Verhandlungen zur Schlüsselfrage für das Zustandekommen des Freihandelsabkommens erklärt. Welche Aktivitäten erwarten Sie nun von der Regierung?

Ich erwarte, daß Taten folgen. Jeder weiß, daß in der EU nichts gegen den Willen Deutschlands geschieht. Dennoch ist das Verhandlungsmandat noch immer nicht veröffentlicht worden. Wie ernst es Gabriel mit der Forderung nach Transparenz ist, wird sich demnächst an seinem Umgang mit den Vertragstexten des europäisch-kanadischen Wirtschaftsabkommens CETA zeigen. Es gilt als Blaupause für das TTIP und ist nahezu fertig verhandelt. Vor der Paraphierung der Vertragstexte bekommen die Mitgliedstaaten diese zur Durchsicht. Das ist der Moment, wo Gabriel dem Bundestag und der breiten Öffentlichkeit Zugang gewähren muß. Ein entsprechender Antrag der Linksfraktion wird am heutigen Donnerstag im Plenum verhandelt. Ich bin gespannt, wie sich die große Koalition dazu verhält.

Kritiker des Abkommens fürchten eine Verschlechterung des Verbraucherschutzes. Inwiefern sind diese Ängste berechtigt?

Angesichts immer größer werdenden Widerstandes kann es sich die EU-Kommission zwar nicht leisten, Hormonfleisch, Chlorhühnchen und Genfood auf den europäischen Markt zu lassen. Doch das ausdrückliche Ziel des Abkommens lautet, »unnötige regulatorische Handelshemmnisse« zu beseitigen. Die Frage ist, welche sind unnötig, und wer entscheidet das?

EU und USA haben unterschiedliche Traditionen. In Europa gilt das Vorsorge-Prinzip: Nur was unbedenklich ist, wird zugelassen. In den USA hingegen darf eine Ware so lange auf den Markt, wie nicht ihre Schädlichkeit nachgewiesen ist. Ich sehe nicht, wie das in der Praxis geregelt werden kann, ohne daß Standards unterlaufen werden. Für kommende Vorhaben sieht das Abkommen einen Regulierungsrat vor, der diese vorab auf Übereinstimmung mit dem TTIP prüfen soll. Details sind noch nicht bekannt. Ein Vorschlag ist, daß europäische und amerikanische Unternehmen mit am Tisch sitzen und etwa über zukünftige Verbraucherschutzvorhaben mitentscheiden.

Es zeigt sich: Die Strategie ist perfide. Über zunächst harmlos wirkende formale Verfahren sollen Unternehmen weitreichenden Einfluß auf die Ausgestaltung der Gesetze bekommen. Dazu gehört auch und vor allem das geplante Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS). Dahinter versteckt sich dem Juristen und Journalisten Heribert Prantl zufolge »einer der gefährlichsten Angriffe auf die demokratischen Rechts- und Sozialstaaten, die es je gegeben hat«. Staaten können so von Konzernen auf Schadensersatz verklagt werden, wenn die nationale Gesetzgebung deren Gewinne schmälert.

Ihre Fraktion lehnt das TTIP ab. Welche Folgen hätte es, wenn das Freihandelsabkommen tatsächlich gestoppt würde?

Die Linke lehnt TTIP und CETA unmißverständlich ab. Wir sehen in TTIP keinerlei Grundlage, progressive Spielregeln für die Weltwirtschaft zu schaffen. Ein Verhandlungsstopp wäre ein starkes Zeichen für die Demokratie. Die versprochenen wirtschaftlichen Vorteile, die, wenn überhaupt, minimal sind, stehen in keinem Verhältnis zu den Gefahren für Demokratie, Verbraucher- und Umweltschutz. Aktuell muß es darum gehen, CETA zu stoppen, um TTIP zu verhindern. Dafür braucht es ein breites parlamentarisches und außerparlamentarisches Bündnis.

Interview: Markus Bernhardt

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 22. Mai 2014


Zynische Verhandlungsführung

Die Akademie der Künste diskutierte über das geplante Freihandelsabkommen ­zwischen USA und EU

Von Ben Mendelson **


Geht es um die derzeit laufenden Verhandlungen zum geplanten Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen den USA und der EU, wird von kritischen Stimmen meist das drohende Aufweichen von Verbraucherschutzkriterien angemahnt. Oder es geht um den planten »Investitutionsschutz«, der es Konzernen ermöglichen soll, Staaten wegen profithemmender Umstände vor geheimen Schiedsgerichten zu verklagen. Daß daneben praktisch der gesammte Kulturbereich in seiner Substanz gefährdet ist, spielt in der öffentlichen Diskussion bislang eine geringe Rolle.

Insofern ist es auch ein politisches Signal, daß die Akademie der Künste und der Deutsche Kulturrat unter dem Titel »Verteidigt die Kultur! Das Freihandelsabkommen« am Dienstag abend zur Podiumsdiskussion in den Akademie-Plenarsaal am Pariser Platz einluden.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und Maurice Gourdault-Montagne, Botschafter der Republik Frankreich, befürworteten das Freihandelsabkommen, während Akademiepräsident Klaus Staeck den »Siegeszug des Neoliberalismus« befürchtete. »Die Amerikaner bewegen sich in diesen Verhandlungen keinen Zentimeter«, zitierte er einen Informanten.

Staeck mißtraut der Zusage, die audiovisuellen Medien seien aus dem Abkommen ausgeklammert. Verena Metze-Mangold, Vizepräsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission, ergänzte, der Kulturbegriff sei im digitalen Zeitalter mit »audiovisuell« nicht vollständig erfaßt – und damit nicht vor demn TTIP geschützt.

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, befürchtete, daß alle Subventionen für Theater und Oper auf dem Spiel stünden. Die Häuser müßten dann geschlossen werden. Gerhard Pfennig von der Initiative Urheberrecht erklärte die jüngsten Versuche der Verhandlungsführer, mit einem 40 Seiten langen Fragebogen Transparenz zu schaffen, für »Zynismus«.

Daß Kultur keine Ware ist, betonte Hans-Jürgen Urban, Vorstandsmitglied der IG Metall, und ergänzte: »Arbeit ist es auch nicht, Arbeitskraft schon gar nicht«. Auch der gesetzliche Mindestlohn wäre vom Investitionsschutz betroffen, meinte Urban. Statt Deregulierung, wie sie das TTIP vorsieht, brauche man gute Regulierung und Transparenz. Beim Freihandelsabkommen gehe es um die Frage: »Demokratie oder Kapitalismus?« – und das Freihandelsabkommen sei überwiegend kapitalistisch geprägt, so Urban.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 22. Mai 2014


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