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CETA- und TTIP-Verhandlungen: EU gibt Standards preis

BUND weist auf Gefahren von CETA und TTIP hin: Vorsorgeprinzip über Bord geworfen, Spuren von nicht zugelassenen, gentechnisch veränderten Organismen in Lebensmitteln möglich

Von Claudia Wrobel *

Offiziell sind die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Canada-EU Trade Agreement/CETA) abgeschlossen. Doch viele gesellschaftliche Gruppen sind unzufrieden mit dem Vertragstext, der in Hinterzimmern ohne Rücksprache mit oder geschweige denn Partizipation von Nichtregierungsorganisationen ausgeklüngelt wurde. Am Mittwoch machte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Berlin darauf aufmerksam, daß auch europäische Umweltschutzstandards dem Freihandel zum Opfer fallen sollen. So zeigte sich der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger erfreut, daß die »überfällige Grundsatzdiskussion an Intensität« zugenommen habe. Nun dürfe man allerdings nicht bei einzelnen Verbesserungen eines schlechten Systems stehenbleiben, mahnte er an. »Es geht bei CETA nicht um den Abbau von Zöllen, sondern um Deregulierung zugunsten von Konzernen auf beiden Seiten des Atlantiks.« Das Abkommen bedeute einen »Rückfall in vordemokratische Zeiten« und sei deshalb nicht zustimmungsfähig.

Die Auswirkungen von CETA auf die europäischen Bürger werden weitreichend sein, da so gut wie kein Lebensbereich aus dem Vertrag ausgenommen ist. Es betrifft Produkte und Handelsverordnungen ebenso wie den Dienstleistungssektor. Noch umfassender, weil es einen größeren Markt betrifft, dürften allerdings die Konsequenzen eines Freihandelsabkommens zwischen den USA und der EU (Transatlantic Trade and Investment Partnership/TTIP) sein. Die Partner wollen damit die größte Freihandelszone der Welt schaffen. CETA gilt gemeinhin als Blaupause für TTIP.

Und diese Vorlage verheißt nichts Gutes: Die Gentechnikexpertin des BUND, Heike Moldenhauer, erläuterte, daß die Zulassung gentechnisch veränderter Organismen künftig für die Konzerne einfacher werde, da laut CETA fortan ein »wissenschaftsbasiertes« Verfahren Anwendung finden werde. Das bedeute, daß eine Behörde erst regulierend einschreiten könne, wenn bereits nachweislich Schäden eingetreten seien. Die Beweislast liege bei den Zulassungsbehörden. Das widerspreche dem bisherigen »Vorsorgeprinzip« der EU, nach dem der Hersteller vor der Zulassung eines Produkts dessen Unschädlichkeit beweisen müsse.

Außerdem habe Kanada durchgesetzt, daß Produkte künftig Spuren von nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Organismen enthalten dürfen (»low-level-presence«). Bisher galt bei Lebensmitteln eine »Null-Toleranz-Richtlinie« der EU. »Die Agrar-Lobby übt seit Jahren Druck aus, daß diese Grenze endlich fällt«, sagte Moldenhauer, deshalb gelte sie auch schon längst nicht mehr für Tierfutter.

Des weiteren gelten »gesetzgeberische Aktivitäten« laut Vertragstext als »Handelshemmnisse«. So gebe es in der EU wenigstens Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Organismen, erläuterte Moldenhauer, auch wenn diese unzureichend seien. »In Kanada kann der Hersteller sich selbst die Unbedenklichkeit seines eigenen Produktes attestieren.« Dadurch dauere die Zulassung manchmal nur ein Jahr oder weniger. »Die EU-Kommission hat die hier geltenden Standards nicht verteidigt, sondern im Gegenteil alles preisgegeben«, kritisierte sie. Da dies die Vorlage für TTIP sei, ist sie sich sicher, daß die »Pflöcke nun eingeschlagen« sind und sich auch in den Verhandlungen mit den USA die Standards nach unten entwickeln werden.

Der BUND fordert die neuzubesetzende EU-Kommission deshalb auf, das ausgehandelte Vertragswerk nicht zu unterzeichnen und die Verhandlungen für TTIP in eine andere Richtung zu lenken. Hoffnungsvoll ist Weiger allerdings nicht, da diese Kommission noch wirtschaftsfreundlicher sei als die bisherige.

Wie sehr die Kommission sich den Wünschen der Bürger verwehrt, zeigt die Antwort der neuen Handelskommissarin Cecilia Malmström an das Europaparlament, zu den Visionen für den Arbeitsbereich. Sven Giegold, Mitglied der Grünen-Fraktion im Europaparlament, machte darauf aufmerksam, daß Malmström in einer ersten Antwort zu Thema TTIP in der vergangenen Woche Schiedsgerichte, vor denen Konzerne Staaten verklagen können, noch ausgeschlossen hatte. Doch am Wochenende ruderte sie zurück und sandte eine »Korrektur«. Dieser Text besage lediglich, daß sie das »Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz in den Kontext einbeziehen werde«.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 2. Oktober 2014


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