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Informelle Zirkel

Wer verhandelt da mit wem über was? Neue Studie über die Netzwerke hinter TTIP erschienen

Von Dieter Boris *

Im Kontext der Auseinandersetzungen um das »Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen« (TTIP) sind die Beziehungen zwischen den USA und Europa, bzw. der Bundesrepublik Deutschland, noch einmal stärker ins Blickfeld gerückt. Seit über einem Jahr gelangen regelmäßig atemberaubende Nachrichten aus dem »Land der unbegrenzten Möglichkeiten« zu uns: Die extreme Ausspähpraxis der NSA, die tagtäglich sichtbaren Folgen eines tiefsitzenden Rassismus, die allwöchentlichen Konsequenzen eines paranoiden Waffenbesitzwahns, zuletzt die Enthüllungen über die systematische Folterpraxis des CIA – all dies und andere Zumutungen von jenseits des Nordatlantiks führen in der Regel zu kurzfristiger, meist geheuchelter Empörung des hiesigen politischen Führungspersonals. Viele Medien befürchten allerdings vorrangig die Gefahr eines wachsenden »Antiamerikanismus« (ein plumpes Totschlagargument, das leider bis in die Linke hinein verbreitet ist). Das aber die willentliche Subordination unter das mit Abstand militärisch stärkste Land »des Westens« und der NATO aus ökonomisch-politischen Erwägungen letztlich »alternativlos« sei, wird von den meisten unserer Politiker gebetsmühlenartig wiederholt und auch weitgehend von der Bevölkerung akzeptiert.

Dieser breite Konsens des außenpolitischen Führungspersonals hat sich nicht im Selbstlauf entwickelt. Die beständige Arbeit von zahllosen Denkfabriken oder informellen Zirkeln wirkt seit über 60 Jahren. Meistens im Hintergrund wirkend, haben sie sich sukzessive vermehrt. Sie hatten einen bedeutenden Anteil daran, dass sich bundesrepublikanische »Eliten« aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien den US-Interessen unterordnen.

Dies ist der Gegenstand der neuen Untersuchung von Hermann Ploppa, der schon durch Fallstudien zu ähnlichen Themen bekannt ist. Der Autor zeichnet die Entstehung, Arbeitsweise, personelle Besetzung und Wirkungsweise einer großen Anzahl einschlägiger Gremien nach. Darunter ist der Anfang der 20er Jahre in den USA gegründete Council on Foreign Relations (Rat für auswärtige Beziehungen). Er bildete in seiner wirtschaftsnahen und elitären Ausrichtung die Vorlage für die seit den 40er und 50er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland gegründeten Gremien, die mit leicht variierender Zusammensetzung und Aufgabenformulierung entstanden: Atlantik-Brücke, American Council on Germany, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Stiftung Wissenschaft und Politik, Bilderberg-Konferenz sowie die Körber- und die Bertelsmann-Stiftung gehörten dazu. Letztere rief wiederum eine ganze Zahl von Lobbyorganisationen oder Thinktanks (Denkfabriken) ins Leben, die dem Ausbau der transatlantischen Beziehungen dienen sollten.

Kernthese der Studie Ploppas ist, dass diese Gremien sich im Laufe der Zeit vervielfacht haben. Ihr Einfluss auf die Politik im allgemeinen und die Außenpolitik im besonderen ist größer geworden, und diese Lobby agiert mit ihrer »Beratungstätigkeit« im großen Stil im halbdunkel, jenseits der Öffentlichkeit. Daher entbehrt sie jeglicher demokratischer Legitimation. Vor diesem Hintergrund schließlich stellen die bis vor kurzem gänzlich geheim abgelaufenen Verhandlungen zum TTIP-Abkommen gewissermaßen den Höhepunkt der bisherigen Entwicklung dar.

Ploppa fördert viele interessante Informationen und Zusammenhänge zutage, wobei die Analyse der breit angelegten und offenkundig sehr wirksamen »Tätigkeit« der Bertelsmann-Stiftung besonders gut gelungen zu sein scheint.

Die manchmal etwas saloppe und pauschalisierende Ausdrucksweise des Autors, z. B. »Deutschland, Frankreich und Großbritannien waren nur noch ein Aschehaufen«, wirkt gelegentlich ebenso störend wie eine zuweilen personalisierende Politikbetrachtung: »Der Afghanistan-Krieg, in den Zbigniew Brzezinski Gorbatschows Amtsvorgänger Breschnew gelockt hatte.«

Durch die investigative Sichtweise bedingt, treten bei Ploppa die Dimensionen »Politik und Verbrechen«, die zahlreichen personellen Überschneidungen, die Wühlarbeit der Geheimdienste etc. stark in den Vordergrund. Dagegen werden sozio-ökonomische Zwänge und Debatten, sozialstrukturelle Determinanten von Politik usw. in den Hintergrund verschoben. Gleichwohl ist die materialreiche und informative Studie eine gute historische Ergänzung zur nun angelaufenen Diskussion über TTIP. Das über weite Strecken eingängig geschriebene Buch von Hermann Ploppa sollte innerhalb der Linken breit rezipiert und diskutiert werden.

Hermann Ploppa: Die Macher hinter den Kulissen. Wie transatlantische Netzwerke heimlich die Demokratie unterwandern. Nomen Verlag, Frankfurt am Main, 200 Seiten, 14,90 Euro

* Aus: junge Welt, Montag, 16. Februar 2015


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