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Entwicklungsländer große Verlierer

TTIP-Handelsabkommen könnte in Afrika Hunger verschärfen

Von Rolf-Henning Hintze *

Mehr als 715000 Unterschriften gegen die geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA der EU mit den USA bzw. Kanada hat das Bündnis »TTIP unfairhandelbar« gesammelt und am Donnerstag in Berlin symbolisch den EU-Spitzenkandidaten überreicht. Die zusammengeschlossenen rund 60 Organisationen hatten im letzten Herbst drei verschiedene Aufrufe gestartet. Protestieren wollen sie gegen »Hinterzimmer-Gemauschel von EU-Kommission, US-Regierung und transatlantischen Lobbyverbänden«, so Steffen Stierle (ATTAC) stellvertretend für das gesamte Bündnis.

Doch nicht nur die Rechte der Verbraucher in Europa würden mit den Verträgen verletzt. Am gravierendsten wären die Folgen für die sogenannten Entwicklungsländer. So hat das Münchner Ifo-Institut in einer Studie, die seit Monaten von der Bertelsmann-Stiftung verbreitet wird, vorausgesagt, daß diese Staaten durch das TTIP-Abkommen empfindliche Nachteile zu erwarten hätten.

In der 50 Seiten langen Studie des Instituts heißt es: »Diese verlieren durch den verstärkten Wettbewerb auf dem EU- oder US-Markt dramatisch an Marktanteilen.« Alternative Handelspartner mit ähnlichem Potential seien »geographisch relativ weit entfernt«. Dies sei vor allem für Länder in Nord- und Westafrika ein Problem, die traditionell intensiv mit Europa handelten. Die Liste der Verlierer wird laut Ifo-Studie von der Elfenbeinküste und Guinea angeführt. Ihre Exporte in die EU würden von Gütern aus den USA verdrängt.

In der Studie wurden nicht allein die Auswirkungen des TTIP-Abkommens untersucht, sondern auch ein denkbarer Vertrag (»Zollszenario«), der sich allein auf den Abbau der rund 3,5 Prozent betragenden Zölle zwischen beiden Wirtschaftsblöcken beschränken würde. Bei einer »tiefen Liberalisierung« durch das Transatlantic Trade and Investment Partnership jedenfalls wäre für eine Reihe afrikanischer Länder ein deutlicher Rückgang des Pro-Kopf-Einkommens die Folge.

Wer mit den Verhältnissen in Afrika nicht näher vertraut ist, ahnt wahrscheinlich nicht, daß die Verluste durch das TTIP-Abkommen für die Mehrheit der Bevölkerung in den genannten Ländern eine soziale Katastrophe bedeuten würden. Ein Großteil der Bevölkerung dort befindet sich schon jetzt im Überlebenskampf, Hunger, Mangel an sauberem Trinkwasser und Elektrizität sind Alltag. Oft fehlt auch die medizinische Versorgung. Bei einem noch geringeren Pro-Kopf-Einkommen würde z.B. die ohnehin hohe Kindersterblichkeit steigen. Nach jüngsten Zahlen sterben jährlich weltweit 2,9 Millionen Kinder, bevor sie vier Wochen alt werden.

Das Ifo-Institut zeigt sich andererseits fasziniert von vermeintlichen Gewinnaussichten: »Für die Welt insgesamt bedeutet die tiefe Liberalisierung zwischen EU und USA einen Anstieg des durchschnittlichen realen Einkommens um 3,27 Prozent.«

* Aus: junge Welt, Samstag, 24. Mai 2014

715.000 Überschriften kurz vor Maybrit Illners Talkshow "Wie geht's, Europa?" an Spitzenkandidat_innen für das EU-Parlament übergeben

Pünktlich vor den Europawahlen haben wir die Spitzenkandidat_innen für das Europaparlament am 22. Mai daran erinnert, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht einverstanden sind mit den derzeitigen Verhandlungen über die Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Mehr als deutlich wurde das durch 715.000 Unterschriften, die das Bündnis "TTIP unfairhandelbar" seit letztem Herbst gesammelt und den Kandidat_innen heute kurz vor der ZDF-Talkshow "Wie geht's, Europa" in Berlin Mitte symbolisch überreicht hat. Zum Vergleich für die Größenordnung: Die Stadt Frankfurt am Main hat aktuell rund 685.000 Einwohner_innen. Gesammelt wurden die Unterschriften online und auf der Straße auf zahlreichen Papierlisten.

Kein politisches Projekt der vergangenen Jahre ist auf annähernd so viel Widerstand wie TTIP gestoßen. Für die Hinterzimmer-Absprachen von EU-Kommission, US-Regierung und transatlantischen Lobbyverbänden gibt es kaum einen Ansatz einer demokratischen Legitimation. Attac fordert, die Verhandlungen sofort abzubrechen.

Karl Bär vom Umweltinstitut München erläuterte anlässlich der Übergabe: "Durch eine transatlantische Freihandelszone könnten mit krebserregenden Wachstumshormonen wie Ractopamin produzierte Fleisch- und Milchprodukte auf den Tellern in Europa landen. Auch dem Import von genmanipulierten Mais-, Raps- und Sojapflanzen und mit Chlor desinfiziertem Fleisch könnte damit Tür und Tor geöffnet werden. Das wäre eine Gefahr für die Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher und das Todesurteil für die kleinbäuerliche Landwirtschaft in Europa."

"Was Menschen nützt, aber Konzerne stört, steht in den TTIP-Verhandlungen auf der Abschussliste: Bankenregulierung und Umweltauflagen, Kulturförderung und öffentliche Dienste, Arbeitnehmerrechte oder auch der Datenschutz. Bürger_innen können durch TTIP nur verlieren – diese Einsicht eint den Widerstand gegen dieses Abkommen auf beiden Seiten des Atlantiks. Die Proteste werden auch nach der Wahl weitergehen, bis die Verhandlungen gestoppt sind", sagte Annette Sawatzki vom Kampagnennetzwerk Campact.

Michael Efler von Mehr Demokratie ergänzte: "Bei zahlreichen Aktionen und Infoständen auf der Straße konnten wir erfahren, dass die Menschen sich Sorgen um den Zustand der Demokratie machen. Besonders die intransparenten Verhandlungen und die Sonderklagerechte für Konzerne vor privaten Schiedsgerichten sorgen für großes Unverständnis und auch Unmut."

In dem Bündnis "TTIP unfairhandelbar" haben sich über 60 zivilgesellschaftliche Organisationen zusammengeschlossen. Seit letztem Herbst wurden insgesamt drei verschiedene Aufrufe gestartet: Campact hat dabei 485.365 Unterschriften gesammelt, das Umweltinstitut München 123.222 und in einem separaten Aufruf des gesamten Bündnisses kamen noch einmal 106.222 Unterschriften zusammen (Stand 21.5.).

Quelle: attac.de




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