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Massenkiller entschärfen

Deutschland ratifiziert Konvention gegen Streumunition

Von Wolfgang Kötter *

In Berlin war Abrüstung in diesen Tagen ein angesagtes Thema. Die Bundesrepublik veranstaltete gemeinsam mit Norwegen eine zweitägige Fachkonferenz (25./26.6.) zum Thema Streumunition. Dabei ging es speziell um die Erfüllung von Artikel 3 der Konvention über das Verbot von Streumunition (Convention on Cluster Munitions), der die fristgemäße Vernichtung der Waffenbestände vorsieht. Sie ist der jüngste Abrüstungsvertrag und einer der größten Erfolge für die Internationale Koalition gegen Streumunition (Cluster Munition Coalition - CMC). Jahrelang haben die 300 Mitgliedsorganisationen aus 80 Ländern für die Ächtung einer der heimtückischsten Waffen gekämpft. Denn Streumunition tötet oder verstümmelt bis heute immer wieder Zivilisten auch noch lange nach Beendigung der Konflikte. Jetzt ist das Ziel in greifbare Nähe gerückt.

Ein Massenkiller wird beseitigt

Die Mitgliedsstaaten der Konvention verpflichten sich, Streumunition nicht einzusetzen, zu entwickeln, zu produzieren, anzuschaffen, weiterzugeben oder zu lagern. Sämtliche vorhandene Streumunition muss innerhalb von 8 Jahren zerstört und betroffene Gebiete sind innerhalb von zehn Jahren von Blindgängern zu räumen. Dabei ist darauf zu achten, dass keine gesundheitlichen Schäden auftreten und auch der Umweltschutz befolgt wird. Die Vertragsteilnehmer müssen betroffene Länder unterstützen und den Opfern helfen. Sie erhalten medizinische Versorgung und physische Rehabilitation, aber auch finanzielle, wirtschaftliche und psychologische Unterstützung.

Die Koalition hat im Rahmen einer globalen Aktionswoche in Genf ihren ersten Jahresbericht vorgelegt. Der 300-seitige Report "Banning Cluster Munitions: Government Policy and Practice" dokumentiert die steigende Zahl der Vertragsstaaten. 98 Regierungen haben das im vergangenen Dezember in der norwegischen Hauptstadt Oslo vereinbarte Abkommen bisher unterzeichnet und zehn Länder auch ratifiziert: Albanien, Irland, Laos, Mexiko, Niger, Norwegen, Österreich, Spanien, der Vatikan und Sierra Leone. 30 Ratifikationen sind nötigt, damit der Vertrag dann sechs Monate später in Kraft treten kann.

Ratifizieren und delaborieren

„Die Konvention wird dazu beitragen, dass Streumunition weiter stigmatisiert wird“, versichert Thomas Küchenmeister vom Aktionsbündnis Landmine.de, das die CMC in Deutschland vertritt. Allerdings haben wichtige Staaten wie die USA, Russland, China, Indien, Pakistan, Israel und Südkorea das Verbot nicht unterzeichnet. Der Bundestag hat dem Vertrag am 23. April zugestimmt, das entsprechende Gesetz trat am 10. Juni in Kraft. Nachdem der Bundespräsident Horst Köhler das Verbotsgesetz unterzeichnet hat, wird die Ratifikationsurkunde in den nächsten Tagen beim UN-Generalsekretär hinterlegt. Dann ist Deutschland das elfte Land, das die Konvention ratifiziert hat.

Am Reichtagsufer überreichten Bundestagsabgeordnete zum Konferenzauftakt den Gesetzestext symbolisch an die internationale Koalition. Als Kulisse wehte ein großes Banner mit der Aufschrift „Ban cluster bombs - Join the treaty“ und auf einer Original-Streubombe vom Typ BL 755 war zu lesen: „Ready for destruction“.

Die Konferenz, an der etwa 150 Abgesandte aus 84 Ländern wie auch Vertreter vom Internationalen Roten Kreuz und dem Genfer Minenräumungszentrum teilnahmen, sollte den Zeichnerstaaten, die über nennenswerte Streumunitionsbestände verfügen, eine erste Umsetzungshilfe geben. Zwei Tage lang diskutierten sie Methoden, wie sich die Lagerbestände schnell, sicher, günstig und umweltgerecht entsorgen lassen. Da in der Bundesrepublik schon vor Jahren mit der Verschrottung von Streumunition begonnen wurde, können jetzt praktische Erfahrungen an die übrigen Vertragsteilnehmer weitergegeben werden. Das Zerlegen der Munition in ungefährliche Einzelteile, die sogenannte Delaborierung, ist kompliziert und teuer. Journalisten konnten bereits im Vorfeld der Konferenz einen Eindruck davon im Spreewerk Lübben gewinnen, das auf Demilitarisierung spezialisiert ist. Bei einer Werksführung wurde Streumunition vorgeführt und auch eine Streubombe delaboriert.

Verhängnisvolle Ausnahmen

"Die Vertragsstaaten müssen auf der Berliner Konferenz ihre Bestände an Streumunition offen legen, damit die Umsetzung der Konvention überhaupt verifiziert werden kann", fordert Küchenmeister von Landmine.de. Die Bundeswehr will bis 2015 440.000 Behälter mit rund 50 Millionen Submunitionen zu Kosten von mindestens 40 Millionen Euro vernichten. Trotz des Verbots ist die Entwicklung und Produktion neuer Bombentypen allerdings nicht ausgeschlossen. Entsprechend den Vertragsbestimmungen müssen zwar 95% der deutschen Bestände an Streumunition ausrangiert werden, aber Neubeschaffungen werden bereits anvisiert. Hinter dem Beharren auf den "klugen Bomben" stecken nach Ansicht der Kritiker handfeste wirtschaftliche Interessen. Die Bundeswehr habe sich bereits mit den deutschen Rüstungsunternehmen Diehl und Rheinmetall auf die Herstellung von so genannter intelligenter Streumunition im Wert von über 500 Millionen Euro geeinigt. Dass dies weiterhin erlaubt bleibt, trifft wie auch einige andere inkonsequente Regelungen zu recht auf Kritik. So sind bestimmte Arten von High-Tech-Munition vom Verbot ausgenommen, z.B. sensorengesteuerte Punktzielmunition, mit elektronischen Selbstzerstörungs- und Deaktivierungseinrichtungen ausgerüstete Streuminen wie auch Dispenserwaffen, mit denen Streumunition verschossen werden kann.

Heimtückische Massenmörder

Streumunition besteht aus Hunderten oder Tausenden kleiner Sprengkörper. Sie wird von Flugzeugen abgeworfen, kann aber auch mit Raketen oder Geschützen verschossen werden. Die mit Submunition gefüllten Mantelprojektile öffnen sich noch in der Luft und verbreiten bis zu 200 "Bomblets", deren Füllung wiederum aus Splittergeschossen oder Minen bestehen kann. Manche explodieren beim Aufprall auf gegnerische Panzer, Fahrzeuge oder auf den Erdboden, oft jedoch bleibt dies durch eine dichte Vegetation oder weichen Untergrund zunächst aus. Streumunition, verteilt innerhalb kurzer Zeit enorme Mengen an Munition über Flächen, die sich von der Größe einiger Fußballfelder bis zu mehreren Hundert Hektar erstrecken können. Mindestens 32 Länder und Regionen sind von Streumunition verseucht. Bei einer Blindgängerquote von bis zu 40 Prozent verwandelt sich Cluster-Munition dann zu Landminen, die ganze Landstriche verseuchen und willkürlich Menschen töten oder verstümmeln, die in den betroffenen Gebieten leben oder arbeiten. Etwa 100.000 Opfer hat Streumunition bis heute gefordert: 98 Prozent der registrierten Opfer stammen aus der Zivilbevölkerung, 27 Prozent davon sind Kinder.

Übereinkommen über Streumunition (Auszug aus Artikel 3)

Lagerung und Vernichtung von Lagerbeständen
(1) Jeder Vertragsstaat trennt nach Maßgabe der innerstaatlichen Vorschriften sämtliche Streumunition unter seiner Hoheitsgewalt und Kontrolle von Munition, die für einen operativen Einsatz zurückbehalten wird, und markiert sie zum Zweck der Vernichtung.
(2) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, so bald wie möglich, spätestens jedoch acht Jahre, nachdem dieses Übereinkommen für den betreffenden Vertragsstaat in Kraft getreten ist, sämtliche in Absatz 1 genannte Streumunition zu vernichten oder ihre Vernichtung sicherzustellen. Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, dafür zu sorgen, dass die Vernichtungsmethoden den geltenden internationalen Normen zum Schutz der Gesundheit und der Umwelt entsprechen ...

Quelle: http://www.parlament.gv.at/PG/DE/XXIV/I/I_00077/imfname_150007.pdf

Der Vertragstext ist hier herunterzuladen: Übereinkommen über Streumunition.




* Eine gekürzte Fassung dieses Artikels erschien unter dem Titel "Ein 'Massenkiller' wird entschärft" am 27. Juni 2009 in der Tageszeitung "Neues Deutschland"


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