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Die Army zieht es nach Erbenheim

Protest in Wiesbaden gegen die Ansiedlung des Hauptquartiers der europäischen USA-Streitkräfte – auch beim Ostermarsch 2007

Von Hans-Gerd Öfinger *

Noch hat der US-amerikanische Kongress in Washington nicht endgültig entschieden, ob das Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Europa tatsächlich mit Mann und Maus von Heidelberg in die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden verlegt wird. Das offizielle Wiesbaden zeigt sich indes durch die Pläne geehrt und kommt den Wünschen der US Army gerne entgegen.

Dabei geht es vor allem um viel Bauland. Schon im April 2006 hatten die Amerikaner vom Magistrat der 270 000-Einwohner-Stadt die Zusage angefordert, die Flächen »so bald wie möglich« bereit zu stellen. Wenn die Bagger noch in diesem Jahr anrollen, könnten dann ab 2009 mehrere tausend Armeeangehörige umziehen.

Nachschub nach Korea, Vietnam, Irak

Die von einer »Jamaica-Koalition« aus CDU, FDP und Grünen geführte Stadtverwaltung verspricht sich von der Ansiedlung der US-Amerikaner starke Impulse für die regionale Wirtschaft. Mitte März begrüßte das Stadtparlament mit der »Jamaica«-Mehrheit in namentlicher Abstimmung den Umzug. Nur eine Stadtverordnete der Grünen scherte aus und stimmte dagegen. Die SPD-Fraktion enthielt sich geschlossen der Stimme, hatte zuvor allerdings unter gewissen Voraussetzungen Zustimmung signalisiert. Die hessische CDU-Landesregierung unter Ministerpräsident Roland Koch möchte die Soldaten »mit offenen Armen« empfangen. Einzig und allein die Linke Liste, die drei Sitzen in der Stadtverordnetenversammlung hat, lehnt das Großprojekt grundsätzlich ab – aus politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Gründen.

Formal hat die Kommune bei dieser »Landnahme« ohnehin nichts mitzubestimmen, zumal die Entscheidungsgewalt bei der Umwidmung des in Frage kommenden Geländes in Wohnfläche für Militärangehörige bei der Bundesregierung liegt. Das US-Verteidigungsministerium und der Kongress in Washington erwarten nun von Berlin grünes Licht und könnten sich dann voraussichtlich bis zur Sommerpause für Wiesbaden entscheiden.

Die zweitgrößte hessische Stadt ist seit 1945 ein wichtiger Stützpunkt der US Army. Diese übernahm zum Kriegsende Kasernen und andere Einrichtungen der Wehrmacht. Wiesbaden war wie Heidelberg von alliierten Bombenangriffen weitgehend verschont geblieben, weil beide Städte bereits frühzeitig als Hauptsitz der US-Truppen auserkoren waren.

Der örtliche Militärflughafen, die US-Airbase in Wiesbaden-Erbenheim unweit der Autobahn A 66, auch Airfield genannt, gilt als wichtiger Umschlagplatz für die Logistik der Truppe und spielte neben anderen deutschen Standorten wie Spangdahlem und Landstuhl für Versorgung und Nachschub beim Irak-Krieg eine wichtige Rolle – wie zuvor schon in den Kriegen der USA gegen Korea und Vietnam. Die deutsche Luftwaffe hatte im zweiten Weltkrieg von Erbenheim aus Angriffe auf London geflogen; Ende der 40er Jahre starteten von hier Versorgungsflüge der Berliner Luftbrücke. Das Airfield-Gelände und seine Umgebung wären nun der Ausgangspunkt für gewaltige städtebauliche Veränderungen und eine Ausdehnung der Militärfläche auf bisher weitgehend unbebautes Land.

Einer solchen Expansion stünde die direkt nebenan angesiedelte »Domäne Mechtildshausen« teilweise im Weg. Sie ist ein kommunaler, auf Ökolandwirtschaft spezialisierter Betrieb, in dem seit den 80er Jahren Jugendliche mit oder ohne Hauptschulabschluss eine fundierte Ausbildung in den unterschiedlichsten Lebensmittelberufen bekommen – und damit überhaupt eine Chance auf dem Arbeitsmarkt.

Die Domäne, ein Vorzeigeprojekt örtlicher Sozialdemokraten, das von Liberalen verächtlich als »Kolchose« bezeichnet wird, müsste vermutlich einen Großteil ihrer landwirtschaftlichen Nutzfläche abgeben. Die Wiesbadener SPD fordert daher Ersatzflächen, »damit die wirtschaftliche Existenz dieses Betriebes auch unter den besondere ökologischen Bedingungen des von der Domäne bewirtschafteten Bodens nicht gefährdet wird«.

Sondermüll und Dollargeschäfte

Nicht nur linke Kommunalpolitiker, sondern auch Bürgerliche wie Stadtentwicklungsdezernent Joachim Pös (FDP) sehen eine anvisierte Bebauung um die rund 1,5 Kilometer vom Airfield entfernte Siedlung Fort Biehler als ökologisch problematisch an. Hier könnten die oberen Ränge der Militärhierarchie eine Heimstatt finden. »Die Ansiedlung auf der grünen Wiese ist nicht der Weisheit letzter Schluss«, erklärt der Liberale.

Umstritten ist zudem die weitere Nutzung von rund 21 Hektar Militärgelände im Zentrum des Wiesbadener Stadtteils Mainz-Kastel, bisher als »Storage Station« bekannt. Dieses Areal hatte die Truppe im Laufe von Jahrzehnten als Sondermülldepot genutzt. Hier hat sie Chemie-Müll wie Giftgas, Phosgen und Dioxin in großen Mengen zwischengelagert. »Das wäre nach deutschen Gesetzen und Bestimmungen gar nicht zulässig gewesen«, so Hartmut Bohrer, Fraktionschef der Linken Liste im Rathaus. Lokalpolitiker im Ortsbeirat von Mainz-Kastel quer durch alle Fraktionen wollen aus diesem Gelände – nach sorgfältiger Entgiftung – einen neuen städtebaulichen Mittelpunkt ihres Viertels machen. Die aktuellen Pläne für das US-Militär könnten diese Hoffnungen zunichte machen.

Während sich die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Hessen von einem Umzug der Army einen positiven Effekt für den Arbeitsmarkt erhofft und sich über die derzeit 450 Zivilangestellten bei der US-Armee hinaus auf weiteren Bedarf an Sicherheitspersonal und Handwerkern freut, sieht die Wiesbadener Linke die erhoffte Nachfragewirkung für die regionale Wirtschaft weitaus nüchterner. Da sich das Leben der US-Militärangehörigen und Familien überwiegend in ihren abgeschirmten Militäreinrichtungen, Wohnsiedlungen und US-Geschäften und -Gastronomiebetrieben abspiele, wo sie alles auf Dollarbasis abwickelten, falle im Endeffekt so gut wie nichts für das einheimische Gewerbe ab, warnt Hartmut Bohrer. Zudem würden die hohen Kosten einer Erschließung des Baugeländes für die Amerikaner von einheimischen Steuerzahlern aufgebracht, gibt Frank Porten, Stellvertretender Ortsvorsteher in Mainz-Kastel, zu bedenken.

Aktive Kriegseinheiten

Sinnvoller wäre es nach Ansicht von Porten und Bohrer, dem Mangel an erschwinglichem Wohnraum im Rhein-Main-Ballungsgebiet entgegenzuwirken. Dieser Mangel lasse viele Familien ins Umland abwandern, die dann als Pendler die Straßen verstopften.

Bohrers Fraktionskollege Jürgen Becker beanstandet zudem, dass die geplante US-Wohnsiedlung für hohe Offiziere um das Fort Biehler als »Hochsicherheitstrakt« eingestuft, eingezäunt und rund um die Uhr von Sicherheitskräften schwer bewacht werde. Anwohner seien dann ständig »mit bewaffneten GIs und Kontrollen« konfrontiert, die Verkehrsstaus auslösten und die Lebensqualität beeinträchtigten. Und wenn die Bundesrepublik und der Militärstandort Wiesbaden in immer stärkerem Maße in völkerrechtswidrige Angriffs-Kriege hineingezogen würden, dann nehme schließlich auch die Gefahr von Anschlägen zu. Schon jetzt sind in Wiesbaden US-Einheiten stationiert, die aktiv am Irak-Krieg und maßgeblich an den Folterungen im im berüchtigten Gefängnis Abu Ghoreib beteiligt waren. Während die Folterpraxis für weltweite Empörung sorgte, bescheinigte Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) dem US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz bei dessen Besuch in Wiesbaden, die US-Soldaten erfüllten in Irak »eine wichtige und gerechte Aufgabe«.

Doch für viele Erbenheimer erscheint die US-Airbase derzeit noch als das kleinere Übel. 1981 war die Bürgerinitiative »Keine Stationierung von Kampfhubschraubern in Erbenheim« entstanden. Jürgen Becker, heute Stadtverordneter der Linken Liste, war damals SPD-Mitglied und Mitbegründer dieser Initiative und bedauert, dass der Protest inzwischen eingeschlafen sei. Dahinter steckt die auch von regionalen Medien gezielt genährte Furcht der Anwohner, dass bei einer eventuellen Aufgabe des Flugplatzes durch die US Army sofort der Frankfurter Rhein-Main-Flughafen auf der Matte stehen und hier eine Start- und Landebahn zur Bewältigung des stets anwachsenden Flugverkehrs einrichten würde. So erscheint die US Army heute lärmtechnisch verträglicher als eine zivile Nutzung. Jürgen Becker will es dabei nicht bewenden lassen und jetzt erst recht die Bürger über die Gefahren für Umwelt, Verkehr und Sicherheit direkt vor ihrer Haustüre aufklären.

* Aus: Neues Deutschland, 5. April 2007


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