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Standortschließungen - wie Gemeinden in Schleswig-Holstein damit umgegangen sind

Ein Beitrag von Peer Axel Kröske aus der NDR-Reihe "Streitkräfte und Strategien"

Dr. Ulrike Bosse (Moderation):
Die Bundeswehr soll moderner werden und effizienter. Noch wird an der neuen Struktur der Bundeswehr gearbeitet, aber eines ist klar: die Truppe wird kleiner. Und das bedeutet, nicht mehr alle Bundeswehrstandorte werden gebraucht. Zwar verspricht Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg, dass die Bundeswehr weiterhin „in der Fläche präsent“ bleiben und es „keinen grundsätzlichen Kahlschlag“ geben soll. Aber es werden Standorte geschlossen werden – und für die betroffenen Gemeinden stellt sich die Frage, was sie dann tun. Schon im Jahr 2004 gab es eine ganze Reihe von Standortschließungen – wie die betroffenen Gemeinden in Schleswig-Holstein damit umgegangen sind berichtet Peer-Axel Kröske:

Manuskript: Peer Axel Kröske

Die Wogen schlugen hoch – damals 2004, als Eggebek und Olpenitz um den Erhalt ihrer Bundeswehr-Standorte kämpften. An vorderster Front: Kappelns damaliger Bürgermeister Roman Feodoria. Er suchte den Kontakt zu Entscheidungsträgern in Politik und Marine und legte Verteidigungsminister Struck seine Argumente dar:

O-Ton Feodoria
„Selbstverständlich sind sie zu beeinflussen. Die Frage ist nur, wie man die Situation im Netzwerk angeht. Was Sie brauchen, sind die Kontakte, damit Sie eine Information bekommen, wie Sie zu reagieren haben.“

1993 hatte Kappeln noch den Kampf um den Stützpunkt Olpenitz gewonnen, auch damals stand der Marinehafen vor dem Aus. Doch 2004 erhielt man andere Signale. Während Bürgermeister Feodoria noch in den Tagesthemen Interviews vor dem Standort-Tor gab, wusste er schon mehr, erzählt er heute, sechs Jahre später:

O-Ton Feodoria
„Ich wusste von Anfang an: Wir werden diesen Kampf um Olpenitz verlieren. Das wusste ich relativ früh. Aber ich brauchte die entsprechende öffentliche Aufmerksamkeit, um im Grunde auch Parallellösungen aufzubauen. Denn durch die öffentliche Aufmerksamkeit erreicht man ja auch potenzielle Investoren, die sich sonst überhaupt gar nicht melden.“

Olpenitz hat einen großen Vorteil: die phantastische Lage. Der Ostseehafen ist wie geschaffen für Tourismus und exklusives Wohnen. Und so kommt es nun auch:

Bagger buddeln im Sand auf der verbreiterten Mole, die weit in die Ostsee hineinragt. Wie an einer Perlenkette stehen hier künftig Häuser mit Meerblick rundum:

O-Ton Ley
„Also hier werden auf dem ersten Bauabschnitt, nachdem wir 700.000 Tonnen Sand verbaut haben, einschließlich 24.000 Tonnen Steine, werden wir hier im ersten Bauabschnitt 186 Häuser bauen. Man kann also sowohl auf der Mole ein freistehendes Haus haben als auch auf dem herkömmlichen Festland.“

Knut Ley agiert als Manager vor Ort für das 500-Millionen-Euro-Projekt Port Olpenitz. Auf 170 Hektar soll Nordeuropas größtes Ferienresort entstehen – 1.000 Immobilien, Häuser auf künstlich aufgeschütteten Inseln, Luxushotels, eine Marina mit 2.500 Liegeplätzen, hinzu kommen Promenade und Freizeitangebote. So etwas lässt sich heute nur genehmigen, weil eben schon vorher Bebauung vorhanden war. Insofern bietet die Konversion eine einzigartige Chance. Zwar sind erst 20 Immobilien verkauft, das Musterhaus ist aber schon fast fester Bestandteil jedes Kappeln-Sightseeings:

O-Ton Ley
„Weit über 200 Interessenten pro Tag.“

Und so machen gerade Inge und Karl-Heinz Kupka aus Lilienthal bei Bremen einen Rundgang:

O-Ton Kupka
„Wir sind nun in den Jahren, wo man dann auch irgendwo mal für den Rest des Lebens einen Platz sucht...“ / „in Wassernähe“ / „... und da ich aus der Seefahrt komme, liegt natürlich das nahe, dass man auch im Bereich der See irgendwo sich ansiedeln will.“

Sie sind keine untypischen Interessenten: Port Olpenitz fernab der Zentren eignet sich vor allem als Alterswohnsitz und Wochenendziel für wohlhabende Kunden, die mindestens 300.000 Euro in die Immobilie investieren können.

Aber wird Olpenitz wirklich zu Ende gebaut? Das fragt man sich in Kappeln angesichts der enormen Dimensionen. Bisher wurden nur drei der geplanten 500 Millionen Euro verbaut. Und dann ist es eben doch ein Projekt geworden, das Zuschüsse benötigt. Anfangs sollte es ohne gehen. Jedoch klagten Naturschutzverbände und erzwangen Auflagen, die aus Sicht der Port Olpenitz GmbH die erhofften Erlöse schmälern.

Nicht überall, wo die Marine geht, hinterlässt sie Sahnegrundstücke. Eine ganz andere Ausgangslage bot sich in Eggebek in der Nähe von Schleswig. Der Flugplatz belegt eine Riesenfläche im Niemandsland fernab der Küsten und Städte - hier waren wirklich Ideen gefragt:

O-Ton Reuter
„Eine Kommune einer Größenordnung so von Eggebek mit 2.600 Einwohnern ist einfach überfordert mit einem Projekt in der Größe von 430 Hektar.“

Das sagt Konversionsmanager Erich Reuter. Eine solche Stelle, die sich um zivile Nachnutzung von militärischen Liegenschaften kümmert, hat die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Schleswig-Flensburg Wireg extra geschaffen. Auch in Eggebek wurde damals massiv demonstriert, jedoch wie in Kappeln ohne Erfolg. Bürgermeister Reinhard Breidenbach:

O-Ton Breidenbach
„Es war einfach eine Entscheidung, die auf höchster Ebene getroffen wurde, und die hatten wir zur Kenntnis zu nehmen.“

Die Gemeinde darf auf dem Areal ein großes Gewerbegebiet ausweisen. Geknüpft ist das allerdings an Bedingungen: Die Firmen müssen sich zu 80 Prozent mit regenerativen Energien beschäftigen. Und dann war da noch ein Punkt:

O-Ton Breidenbach
„Drei große Windkraftanlagen sollten entstehen. Wenn man das über die Bevölkerung hinweg entscheiden will, stößt man mitunter auf große Widerstände.“

In einem Ort, in dem jahrzehntelang Kampfjets im Tiefflug über die Köpfe der Bewohner donnerten, sollten die Forschungswindmühlen – anderthalb Kilometer von den Wohngebieten entfernt - nicht weiter ins Gewicht fallen, sollte man meinen. Doch die Wogen schlugen hoch, das Dorf war zerstritten, es gab sogar Gewaltdrohungen. Dirk Peddinghaus, der zuvor an der Spitze der Bewegung zum Erhalt des Standortes kämpfte, erinnert sich:

O-Ton Peddinghaus
„Also das, was ich in dem Ort erfahren habe, ist, dass viele Bürger überhaupt nicht mitgenommen wurden auf dem Weg, dass es auf einmal hieß: es werden drei Riesenwindräder. Jeder hatte Bedenken, Angst ob der Dimension. Und mangelnde Information hat dann dazu geführt, dass viele Leute auf Abwehrhaltung geschaltet haben.“

Für Investoren ist solch eine Stimmung Gift. Deren Verbund fiel auseinander. Nur ein Investor von ehemals dreien blieb übrig. Der Speditionsunternehmer Hans-Peter Carstensen gab den Anstoß für einen Kompromiss: Zwei Windräder übernehmen jetzt die Nachbargemeinden. Damit bekommen nun endlich die Unternehmen, die sich zunächst nur provisorisch eingerichtet haben, nach langem Hin und Her Planungssicherheit.

Beispiele für Erfolge und Misserfolge bei der Konversion finden sich noch zahlreiche in der Region. Auf der anderen Seite des Eggebeker Stützpunktes in Tarp standen Kasernen in gutem Zustand, die jetzt abgerissen werden. Hier wurden Chancen vertan, der politische Wille habe gefehlt, sagt Konversionsmanager Reuter:

O-Ton Reuter
„Also in Tarp hätte es meiner Meinung nach die Möglichkeit gegeben, eine Rettungsleitstelle zu etablieren, wie auch letztendlich den Zusammenschluss der Außenstellen des Amtes für ländliche Räume. Es ist schade, dass man diese Entscheidung nicht getroffen hat.“

Langsam aber stetig geht es im Flensburger Außenbezirk Weiche voran. Entkernte Kasernengebäude haben sich in Reihenhäuser verwandelt, neue Baugebiete wachsen. Flensburg-Sonwik mit Promenade und Lofts direkt an der Förde gilt als Vorzeigeprojekt.

Rückschläge trotz attraktiver Lage am Wasser müssen die Planer in Schleswig verkraften. Hier wollen die Investoren ein Thermalbad errichten, das aber Zuschüsse benötigt und der Stadt zur Dauerlast werden könnte:

O-Ton Reuter
„Mit der Therme kommt das Hotel und mit dem Hotel kommt eben auch die Ferienhaussiedlung.“

Im kleinen Munitionsdepot Süderlügum in Nordfriesland, an der Grenze zu Dänemark, wird jetzt passenderweise kommerzielles Feuerwerk zwischengelagert. Doch dieses Glück hat nicht jeder. So bauen Maurer am zweiten Eggebeker Standort inzwischen die alten Bunker um, damit Fledermäuse dort einziehen können:

O-Ton Bindseil
„Ich setz hier Stein auf Stein und lass die Fugen für die Fledermäuse, dass sie da rein fliegen können.“

O-Ton Hause
„Wir werden wahrscheinlich im Winter hier konstant etwa vier Grad haben. Und das ist genau die Temperatur, die Fledermäuse brauchen. Da ist ja ein Erdbunker praktisch. Und das sind dann Idealbedingungen für die Fledermäuse.“

Immerhin profitiert die örtliche Bauwirtschaft vom EU-Zuschuss für das Naturprojekt.

So verschieden sie sind - insgesamt fangen die neu gefundenen Lösungen nur selten den Verlust an Arbeitsplätzen auf. Das wirkt sich auf die örtliche Wirtschaft aus, allerdings oft auch nicht so stark, wie zunächst befürchtet. Noch einmal Eggebeks Bürgermeister Breidenbach:

O-Ton Breidenbach
„Viele sind hiergeblieben und die Dienstposten der Bundeswehr sind in die Nähe verlagert worden. Insofern war das nicht so dramatisch.“

Lohnen sich also überhaupt Proteste an den jetzt gefährdeten Standorten? Kappelns Ex-Bürgermeister Feodoria ist skeptisch:

O-Ton Feodoria
„Wenn man jetzt die eine Seite gegen die andere aufhetzt, wie das 1993 noch gewesen ist, da ging es um eine politische Entscheidung. Um die geht es heute nicht mehr. Sie haben überhaupt keine Möglichkeit, wenn sie nicht um den Gestaltungsspielraum der Politik wissen.“

Die Konsequenz für die Kommunen: Frühzeitig Kontakte suchen, sich informieren und im Falle des Falles Alternativen auf den Weg bringen. Runde Tische, Machbarkeitsstudien, Präsenz auf Messen und frühe Gespräche mit der Landesregierung können dabei helfen.

Aus: NDR Info; STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN; 9. Oktober 2010; www.ndrinfo.de


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