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"Wenn wir über die Mittel und Fähigkeiten verfügen, dann haben wir auch eine Verantwortung, uns zu engagieren"

Dokumentiert: Rede der Bundesministerin der Verteidigung Dr. Ursula von der Leyen bei der 50. Münchner Sicherheitskonferenz *

Meine Damen und Herren,

diese Jubiläumskonferenz ist ein Grund zur Freude, denn sie zeigt den Erfolg dieses einzigartigen Formats. Es gibt aber neben dieser Freude auch einen Grund zum kurzen Innehalten, denn dies ist die erste Münchner Sicherheitskonferenz ohne Ewald-Heinrich von Kleist.

Kleist hat mit dieser Konferenz etwas Einmaliges und Innovatives geschaffen, das auch nach einem halben Jahrhundert noch lebendig und aktuell ist. Er war und ist für uns in Deutschland ein Vorbild. Ewald-Heinrich von Kleist war nicht nur Angehöriger des deutschen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus.

Er zog auch eine wesentliche Lehre aus der deutschen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts: Die Staaten Nordamerikas und Europas mussten Partner und Freunde werden, um so gemeinsam für Frieden, Demokratie und Freiheit einzutreten. Dies war für ihn der entscheidende Beweggrund, diese Konferenz ins Leben zu rufen.

Unsere Zeiten sind gänzlich anders. In Europa herrscht Frieden und Stabilität und die meisten europäischen Staaten haben Teile ihrer Souveränität an die Europäische Gemeinschaft abgegeben. Aber Frieden, Freiheit, Sicherheit und Recht sind keine Selbstverständlichkeit. Umso mehr stehen wir Deutschen fest zu unseren Verpflichtungen gegenüber den Vereinten Nationen, unserem transatlantischen Bündnis und der Europäischen Union.

Meine Damen und Herren,

an die NATO und ihre Partner stellt der ISAF-Einsatz und sein Übergang zu Resolute Support große Anforderungen. Mit einer Dauer von über einem Jahrzehnt hat dieser Einsatz neben den vielfältigen militärischen und politischen Herausforderungen und aller Pein auch einen großen Modernisierungsschub im Bündnis mit sich gebracht, sowohl politisch als auch militärisch.

Bei meinem ersten Besuch unserer Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan unmittelbar vor Weihnachten war ich zutiefst beeindruckt vom Niveau und der Intensität der Zusammenarbeit innerhalb der ISAF-Staaten. Ich erfuhr, wie 16 Staaten – NATO-Partner, Nicht-NATO-Staaten, Soldatinnen und Soldaten aus Europa, Amerika und Asien – erfolgreich unter einem gemeinsamen Kommando im Norden Afghanistans operierten. Neben Deutschland als Rahmennation und bedeutendem Truppensteller bringen unsere Partner Infanteriekräfte, Luftunterstützung sowie andere hochspezialisierte Fähigkeiten ein.

Andere engagieren sich im Rahmen von Ausbildung, Training und Beratung für die afghanischen Streitkräfte, oder leisten ihren Dienst in Sanitätstruppenteilen. Ich habe miterlebt, wie intelligent unsere Streitkräfte ihre Fähigkeiten und ihre Ressourcen bündeln und Kräfte zusammenführen. Mit vielen im Regional Command North vertretenen Partnernationen haben wir uns bereits dahingehend verständigt, unsere Zusammenarbeit über ISAF hinaus im Rahmen der Mission Resolute Support fortzuführen.

In diesem Zusammenhang ist Deutschland bereit, sich auch weiterhin im Norden des Landes als Leitnation zu engagieren, bei der Unterstützung Afghanistans auf seinem Weg hin zu Stabilität und Frieden. Präsident Karzai muss jedoch bereit sein, die notwendigen Vereinbarungen zu treffen. Er ist jetzt am Zug.

Meine Damen und Herren,

multinationale Zusammenarbeit in ihrer besten Ausprägung ist nicht auf Afghanistan beschränkt. Sie war bereits ein Erfolgsrezept über einen Zeitraum von fast 20 Jahren bei unseren Balkan-Einsätzen, und sie ist an der Tagesordnung auf unseren Schiffen am Horn von Afrika. Wenn wir also daraus Tag für Tag lernen, dass Vertrauen, Effektivität und pragmatische Lösungen bei unseren Auslandseinsätzen möglich sind, warum sollte es denn nicht möglich sein, diese gelebte Praxis auf die strategische und politische Ebene zu übertragen? Warum sollten wir unsere Fähigkeiten- und Streitkräfteplanung nicht auch aus einem gemeinsamen Blickwinkel betrachten? Ich weiß, dass diese Idee an sich nicht neu ist. Aber die Finanzkrise und die demographische Entwicklung zwingen viele unserer Partner inzwischen, weitgehende Verteidigungsreformen und Budgetkürzungen einzuleiten. Mir scheint, dass wir schon zu viel Zeit auf die nationale Nabelschau verwendet haben statt unseren Fokus auf die gemeinsame europäische Perspektive zu richten. Wenn wir Europäer ein ernsthafter sicherheitspolitischer Akteur bleiben wollen, müssen wir gemeinsam planen und handeln. Die europäischen Staaten sollten sich darauf einstellen, einen angemessenen Anteil der transatlantischen Lasten zu übernehmen – abgestimmt, im Konsens und effizient.

Vor diesem Hintergrund hat mein Vorgänger, Thomas de Maizière, das sogenannte Rahmennationenkonzept auf den Weg gebracht – die europäische Antwort auf ein europäisches Problem. Es richtet sich an Gruppen von Staaten – größere und kleinere – die sich freiwillig zusammenschließen, um an der gemeinsamen Entwicklung von Kräftedispositiven und Fähigkeiten sowie an gemeinsamer Ausbildung und Übungen zu arbeiten. Die Bildung derartiger Gruppen wird durch eine Rahmennation koordiniert. Dieser Ansatz ist dazu geeignet, sowohl NATO als auch die EU zu stärken. Das Konzept leistet einen Beitrag zur Bewältigung des Ungleichgewichtes bei der Lastenteilung, sowohl in Bezug auf die Vereinigten Staaten als auch innerhalb Europas. Deutschland ist bereit, als Rahmennation oder als beteiligte Nation seinen Beitrag zu leisten. Ich bin entschlossen, das Rahmennationenkonzept in den kommenden Wochen und Monaten gemeinsam mit gleichgesinnten Verbündeten und Partnern voranzubringen.

Meine Damen und Herren,

in der Zwischenzeit wird die Welt jedoch nicht auf die Realisierung von Initiativen warten, wie vielversprechend sie auch mit Blick auf die Zukunft sein mögen. Sie als Zuhörer brauchen gewiss keinen Blick in das Programm der Konferenz zu werfen, um sich der Krisen und Konflikte bewusst zu werden, denen wir heute ins Auge schauen: der schreckliche Krieg in Syrien, die immer noch bedrückende Lage in Lybien, die sich verschlechternde Lage in einigen Teilen unseres Nachbarkontinents Afrika. Und ich bin mir vollkommen der Tatsache bewusst, dass diese Aufzählung in keiner Weise erschöpfend ist. Hier in München wurden die Auswirkungen der Globalisierung in den vergangenen Jahren ausgiebig diskutiert.

Es liegt auf der Hand: Diese Krisen und Konflikte betreffen uns unmittelbar. Diese Krisen und Konflikte betreffen jeden, der sich verantwortlich fühlt für internationale Stabilität. Und diese Krisen und Konflikte appellieren an unser humanitäres Gewissen, nicht diejenigen im Stich zu lassen, die am meisten leiden. Daher ist Abwarten keine Option. Wenn wir über die Mittel und Fähigkeiten verfügen, dann haben wir auch eine Verantwortung, uns zu engagieren. Verstehen Sie mich nicht falsch: Dies bedeutet nicht, dass wir dazu tendieren sollten, unser ganzes militärisches Spektrum einzusetzen – auf keinen Fall. Und dies bedeutet genauso wenig, dass wir kurzfristige Erfolge erwarten dürfen. Aber es bedeutet, dass wir die Verpflichtung und die Verantwortung haben, unseren Beitrag zu einer schrittweisen Lösung der aktuellen Krisen und Konflikte erbringen. Gleichgültigkeit ist für ein Land wie Deutschland keine Option, weder aus sicherheitspolitischer noch aus humanitärer Sicht.

Als eine bedeutende Volkswirtschaft und als ein Land von erheblicher Größe haben wir ein starkes Interesse an internationalem Frieden und Stabilität. Vor diesem Hintergrund nimmt die Bundesregierung ihre internationale Verantwortung wahr. Wir haben zum Beispiel angeboten, die Zerstörung der Reste chemischer Kampfstoffe aus Syrien zu unterstützen. Wir sind bereit, unseren Beitrag in Mali zu verstärken. Und wir sind bereit, den bevorstehenden Einsatz der Europäischen Union in der Zentralafrikanischen Republik zu unterstützen, wenn dies angezeigt und erforderlich ist.

Dennoch kann eine langfristige Stabilität nur durch den Wiederaufbau funktionierender staatlicher Strukturen erzielt werden. Weder die NATO noch die EU - erst recht nicht Einzelstaaten - können alleine nachhaltig Krisen wie die in Afrika lösen. Es ist daher entscheidend, verlässliche Partner vor Ort – seien dies regionale Organisationen oder Staaten – in die Lage zu versetzen, selbst für ihre eigene Sicherheit zu sorgen. Dies muss umfassend erreicht werden, durch Ausbildung, Beratung, Hilfeleistung und, falls erforderlich, Ausstattung. Zu diesem Zweck müssen die Staaten Europas lernen, mit einer Stimme zu sprechen.

Ich werde mich entschieden für die weitere Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen EU und NATO einsetzen.

Meine Damen und Herren,

Deutschland ist stark in Europa, aber vor allem ist Deutschland stark durch Europa und durch die NATO. Wir werden dies nie vergessen. Für viele Deutsche und für die Bundeswehr war Ewald-Heinrich von Kleist ein Vorbild für eine mutige und aufrechte Haltung. Er war bereit auch unter Gefahr für Leib und Leben, der Tyrannei der Nationalsozialisten die Stirn zu bieten. Gleichgültigkeit war für Ewald-Heinrich von Kleist keine Option. Dieses Vermächtnis werden wir immer in Ehren halten.

* München, 31. Januar 2014
Quelle: Website des Verteidigungsministeriums; www.bmvg.de



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