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Die NATO - "die größte Friedensbewegung aller Zeiten"

Rede von Verteidigungsminister Hagel auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 - Im Wortlaut


Im Folgenden dokumentieren wir die unwesentlich gekürzte Rede, die US-Verteidigungsminister Chuck Hagel am 1. Februar 2014 auf der Sicherheitskonferenz in München hielt. Die Übersetzung besorgte der Amerika-Dienst.


Rede des US-Verteidigungsministers

Vielen Dank, John [Kerry]. Botschafter Ischinger, ich danke Ihnen noch einmal für die Ausrichtung dieser wichtigen Konferenz. Es ist schön, wieder in München zu sein. Wie sie bemerkt haben, war ich schon häufig hier, und ich freue mich ganz besonders, mit meinem Freund, früheren Kollegen und jetzigen Partner im Kabinett, John Kerry, hier zu sein.

[...] Ich möchte auch unserem amerikanischen Botschafter in Deutschland, John Emerson, meine Anerkennung für seine Arbeit und seine Anstrengungen aussprechen. Wie wir alle wissen, ist die Arbeit eines Botschafters niemals und nirgends leicht, aber Botschafter Emerson hat sehr viel geleistet und wir wissen seine gute Arbeit und seine führende Rolle sehr zu schätzen.

Bei der Vorbereitung dieser Rede sah ich mir die Memoiren von Henry Stimson an, der während seiner langen und herausragenden Karriere meine Position zweimal innehatte – und zwar als Kriegsminister. Außerdem war er wie John Kerry Außenminister. In dem Buch, das ich durchgeblättert habe, stieß ich auch auf einen handgeschriebenen Brief von McGeorge Bundy. Viele von Ihnen kennen oder kannten McGeorge Bundy, haben mit ihm zusammengearbeitet, und sicher wissen Sie alle, wer er war. In diesem speziellen Fall half er Henry Stimson, seine Memoiren zu schreiben, die 1952 veröffentlicht wurden.

In Bundys Brief an einen Bewunderer beschreibt er Stimsons Erinnerungen als Geschichtsdarstellung, die es wert ist, fortgesetzt zu werden, trotz aller Hochs und Tiefs. Ich erinnere heute Morgen hier in München daran, weil diese Konferenz selbst eine Geschichtsdarstellung ist, und zwar der Geschichte der transatlantischen Partnerschaft. Und diese Geschichte ist es absolut wert, fortgesetzt zu werden. Deshalb feiern wir das fünzigjährige Bestehen dieser Konferenz.

Die transatlantische Partnerschaft war so erfolgreich, weil Diplomatie und militärische Stärke weise eingesetzt wurden. Im vergangenen Jahr haben John und ich daran gearbeitet, wieder ein gutes Gleichgewicht zwischen amerikanischer militärischer Stärke und Diplomatie herzustellen. Am Ende eines 13 Jahre andauernden Krieges sind wir und Präsident Obama uns darüber im Klaren, dass wir in Zukunft eine neue und verbesserte Partnerschaft mit unseren Freunden und Verbündeten, insbesondere hier in Europa, brauchen.

Wie die hier versammelten Experten anerkennen, brauchen wir das, was John gerade beschrieben und Botschafter Ischinger angesprochen hat, eine transatlantische Renaissance. Das Fundament unseres kollektiven Sicherheitsbündnisses mit Europa war schon immer die Zusammenarbeit im Angesicht gemeinsamer Bedrohungen. Während eines Großteils des 20. Jahrhunderts konzentrierten sich diese Bedrohungen auf Europa und die Regionen um Europa, aber heute sind die hartnäckigsten und drängendsten Sicherheitsherausforderungen für Europa und die Vereinigten Staaten global. Sie entstehen aufgrund von politischer Instabilität und gewaltsamem Extremismus im Nahen Osten und Nordafrika, gehen von gefährlichen nichtstaatlichen Akteuren, Schurkenstaaten wie Nordkorea, Cyberkriegen, demografischen Veränderungen, wirtschaftlicher Ungleichheit, Armut und Hunger aus.

Und während wir diese Bedrohungen angehen, modernisieren Länder wie China und Russland rapide ihre Streitkräfte und ihre weltweit agierende Rüstungsindustrie, was unsere technologische Vorherrschaft in militärischen Partnerschaften auf der ganzen Welt infrage stellt. Die Welt wird noch komplizierter, verflochtener und in vielen Fällen wird die Explosionsgefahr weiter zunehmen. Die Herausforderungen und Entscheidungen, die vor uns liegen, werden zukunftsgerichtete Führungsstärke erfordern, ohne dabei über die Gegenwart zu stolpern. Dem Wandel gerecht zu werden, wird nicht einfach sein, aber wir müssen es schaffen, und wir müssen es gemeinsam schaffen. Unsere militärische Strategie und unsere Investitionen im Verteidigungsbereich werden deutlich machen, dass die Vereinigten Staaten in Europa einen unverzichtbaren Partner sehen, wenn es um die Bewältigung dieser Bedrohungen und Herausforderungen und um den Umgang mit neuen Chancen geht.

Das Herzstück unserer transatlantischen Verteidigungspartnerschaft wird weiterhin die NATO sein, das militärische Bündnis, das manchmal als größte Friedensbewegung aller Zeiten bezeichnet wird. In Afghanistan leisten die NATO-geführten Truppen außergewöhnliche Arbeit bei der Unterstützung der afghanischen Bevölkerung, und zwar durch die Stärkung der afghanischen Armee und Polizei, damit sie die Sicherheit ihres Landes selbst in die Hand nehmen können. Europäische Nationen haben angesichts von Opfern, Unsicherheit und Herausforderungen in Afghanistan bemerkenswerten Zusammenhalt und bemerkenswertes Engagement gezeigt.

Wenn wir nach 13 Jahren unseren Kampfeinsatz beenden, sollten wir alle sehr stolz auf das sein, was unser Bündnis erreicht hat. Mitglieder der Internationalen Schutztruppe in Afghanistan und insbesondere kleinere Länder haben sehr davon profitiert, gemeinsam mit anderen Partnern in Afghanistan ausgebildet zu werden und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Wir müssen die geschaffenen Fähigkeiten weiter ausbauen und diese intensiven und effektiven militärischen Partnerschaften weiterhin pflegen. Und die NATO muss weiter an innovativen Methoden arbeiten, um die Einsatzbereitschaft des Bündnisses aufrecht zu erhalten, während wir mit unseren hart erarbeiteten Fähigkeiten auf neue Sicherheitsherausforderungen reagieren.

Die militärischen Prioritäten der Vereinigten Staaten werden im Lichte der haushaltspolitischen Sachlage überprüft. Dabei ist klar, dass unsere Streitkräfte einen noch stärkeren strategischen Schwerpunkt auf die Zusammenarbeit mit Verbündeten und Partnern auf der ganzen Welt legen müssen. Das wird auch eines der Hauptthemen beim anstehenden vierjährlichen Verteidigungsbericht (Quadrennial Defense Review) des amerikanischen Verteidigungsministeriums sein, in dem wir unsere Verteidigungspolitik in einem sich ändernden Sicherheits- und haushaltspolitschen Umfeld darlegen werden.

Die Vereinigten Staaten werden gegenüber ihren europäischen Verbündeten auf eine engere Zusammenarbeit hinarbeiten, insbesondere wenn es darum geht, die Fähigkeiten anderer globaler Partner zu stärken. Wir arbeiten an Strategien, um globalen Gefahren begegnen zu können und gleichzeitig erhöhen wir unsere gemeinsame Einsatzfähigkeit – die gemeinsame Einsatzfähigkeit mit europäischen Streitkräften. In Zeiten knapper Haushalte hier in Europa und in den Vereinigten Staaten müssen wir alle unsere Investitionen strategischer tätigen, um militärische Fähigkeiten und die Einsatzbereitschaft zu wahren.

Die Frage ist nicht nur, wie viel Geld wir ausgeben, sondern auch, wie wir es abgestimmt ausgeben. Es geht nicht nur um gemeinsame Lasten, sondern auch um gemeinsame Chancen. Das US-Verteidigungsministerium wird sich um eine enge Verzahnung mit den unterschiedlichen und ganz individuellen Stärken und Fähigkeiten unserer Verbündeten bemühen, von der Ausbildung heimischer Sicherheitskräfte bis hin zu anspruchsvolleren Kampfeinsätzen. Wir setzen uns mit vielversprechenden neuen Initiativen auseinander, darunter auch mit dem deutschen Framework Nations Concept, das der NATO dabei helfen könnte, effizienter und effektiver zu planen und zu investieren.

In Afrika sind die amerikanischen Streitkräfte und ihre europäischen Verbündeten bereits heute Partner bei der Bekämpfung gewalttätiger Extremisten, und sie arbeiten Seite an Seite mit unseren Diplomaten, um humanitäre Katastrophen zu verhindern. In Mali und in der Zentralafrikanischen Republik stellen die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Partner spezielle Fähigkeiten wie Lufttransport und Betankung zur Verfügung. Wir sind dort im Einsatz, um französische Truppen zu unterstützen, die die Mission leiten. Die Vereinigten Staaten haben die führende Rolle und die Arbeit Frankreichs unterstützt. Außerdem begrüßen wir den jüngsten Vorschlag von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, den deutschen Beitrag in beiden Ländern zu erhöhen.

Wir alle müssen eng mit den afrikanischen Ländern zusammenarbeiten, um ihnen dabei zu helfen, ihre Sicherheitskräfte und Institutionen zu stärken. Ein verstärkt auf Zusammenarbeit setzender Ansatz bei der Bewältigung globaler Sicherheitsherausforderungen wird es erforderlich machen, dass das Militär verschiedener Länder nicht nur operativ, sondern auch auf strategischer Ebene kooperiert. Wir arbeiten mit den beiden Verbündeten Großbritannien und Australien zusammen. Das Militär unserer drei Staaten vertieft die Zusammenarbeit in ganz unterschiedlichen Bereichen wie beispielsweise der Weiterentwicklung der Streitkräfte und der Truppenpräsenz.

Ein Beispiel: Die Vereinigten Staaten sind Großbritannien dabei behilflich, die Fähigkeiten des Landes im Bereich der Flugzeugträger wieder zu stärken. Das wird zu einer verbesserten Interoperabilität unserer neuen F-35-Kampfjets führen und allgemein unserer gemeinsamen Fähigkeit Macht zu projizieren, zu Gute kommen. Und letztes Jahr wurde ein australischer Offizier stellvertretender Kommandeur des US-Heeres in der Pazifikregion. Dies trägt dazu bei, unsere Truppen strategisch stärker mit denen unserer Verbündeten und Partner in der Region zu vernetzen.

Wir sind der Auffassung, dass diese Kooperationsformen Modellcharakter haben – sie können Vorbild für eine größere Interoperabilität mit anderen Verbündeten und Partnern sein, auch mit der NATO insgesamt, und dies wird Auswirkungen auf die strategische Planung der Vereinigten Staaten und zukünftige Investitionen haben. Die Pflege und der Ausbau dieser Kooperationsprojekte wird gemeinsames Engagement sowie gemeinsame Investitionen auf beiden Seiten des Atlantiks erfordern. Dazu gehören auch die Zusagen der Vereinigten Staaten zu einer starken militärischen Präsenz in Europa.

Seit dem Ende des Kalten Krieges haben die Vereinigten Staaten ihr Verteidigungsdispositiv kontinuierlich an neue strategische Realitäten auf der ganzen Welt angepasst. Nach dem Ende unseres längsten Krieges wird die Struktur unserer Streitkräfte reduziert, und es wird und es muss Anpassungen bei unserem Verteidigungsdispositiv geben, um neuen Herausforderungen zu begegnen. Ein Beispiel: Um auf eine erhöhte Bedrohung für unsere diplomatischen Vertretungen in Nordafrika und dem Nahen Osten reagieren zu können, sind wir eine Partnerschaft mit Spanien eingegangen. US-Marines sind in Moron stationiert und andere Truppen in der gesamten Region wurden in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Diese Truppen versetzen uns nicht nur in die Lage, auf Krisen zu reagieren oder bei laufenden Einsätzen Unterstützung zu leisten, sondern sie erweitern auch unseren diplomatischen Handlungsspielraum. Angesichts der jüngsten Gewaltausbrüche im Südsudan ermöglichte es die schnelle Verfügbarkeit von in der Nähe stationierten Truppen den amerikanischen Diplomaten, im Land zu bleiben, um dabei zu helfen, einen Waffenstillstand auszuhandeln.

Unser Verteidigungsdispositiv wird entscheidend durch die europäische Raketenabwehr zum Schutz vor möglichen ballistischen Raketen des Irans gestärkt. Die letzten beiden Tage über war ich in Polen, wo ich die Zusage der Vereinigten Staaten erneuert habe, dort Teile des Systems zur Raketenabwehr zu stationieren. Wie sie wissen, ist das die dritte Phase des Stufenplans zur europäischen Raketenabwehr. Gestern Nachmittag wurde die USS Donald Cook von den Vereinigten Staaten nach Rota in Spanien verlegt, wo sie in den nächsten zwei Jahren noch von drei weiteren Zerstörern verstärkt werden wird, die ebenfalls zur Raketenabwehr eingesetzt werden können.

Trotz des eingeschränkten haushaltspolitischen Spielraumes wird der Haushalt, den wir im nächsten Monat vorlegen werden, unsere Investitionen in die europäische Raketenabwehr umfassend absichern. Unser Engagement in Europa bleibt bestehen. Bei unseren Werten und Interessen gibt es auch weiterhin eine sehr große Schnittmenge. Prinzipien, aber auch Pragmatismus sichern unsere transatlantische Verbundenheit.

1947, als Zweifel am zukünftigen Wert der transatlantischen Partnerschaft weit verbreitet waren, wies Henry Stimson darauf hin, dass die Vereinigten Staaten sich erst dann von Europa abwenden könnten, wenn sich Amerika von allen Prinzipien verabschiedet hat, auf die es sich beruft. Er trug dazu bei, die Amerikaner zu überzeugen, dass in der Außenpolitik der Vereinigten Staaten kein Platz für widerwilliges oder eingeschränktes Engagement ist. Um es mit seinen Worten zu sagen: „Die Außenpolitik ist heute zutiefst innenpolitisch“. Die Amerikaner wissen nur zu gut, wie weise Stimsons Warnung ist. Wir wissen auch um die Verantwortung, die wir gemeinsam mit ihnen allen tragen.

Wie Präsident Obama den Amerikanern in seiner Rede zur Lage der Nation diese Woche gesagt hat, bleibt unser Bündnis mit Europa das stärkste, das es weltweit je gab. Ich bin zutiefst optimistisch, dass diejenigen, die in fünfzig Jahren in unsere Fußstapfen getreten sein werden, auch allen Grund haben werden, das erfolgreichste und effektivste Sicherheitsbündnis der Geschichte zu feiern. Aber wie wir alle wissen, erfordert das weiterhin entschiedene und visionäre Gestaltungsarbeit, Aufmerksamkeit, Ressourcen und entschlossenes Engagement.

2064 wird es immer noch eine Sicherheitskonferenz geben ebenso wie ein starkes, dauerhaftes transatlantisches Bündnis. Vielen Dank.

* Originaltext: Secretary of Defense Speech at the Munich Security Conference
Herausgeber: US-Botschaft Berlin, Abteilung für öffentliche Angelegenheiten; http://blogs.usembassy.gov/amerikadienst/



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