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Deutschlands "gutmütige" Hegemonie

USA zügeln in München Ansprüche des Gastgebers

Von Hans Voss *

Auch wenn Russland und der Westen in einigen globalen Sicherheitsfragen über Kreuz liegen, wird doch weiter auf Kooperation Wert gelegt. Russland bleibt im Spiel, weil es unverzichtbar ist. Deutschlands Rolle wurde von den USA-Politikern relativiert.

München ist zur Normalität zurückgekehrt. Die Demonstranten haben ihre Banner eingerollt. Die sicherheitspolitischen Spitzen aus 60 Ländern haben die bayerische Hauptstadt wieder verlassen. Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen. Sind die Kriegsgefahren gewachsen, so wie es die Protestierer vermuten? Oder hat es Schritte zur Deeskalation von Spannungen gegeben, wie es aus dem vornehmen Hotel »Bayerischer Hof« zu vernehmen war?

Natürlich sind in den Beratungen alle relevanten sicherheitspolitischen Fragen angesprochen worden: die Gewaltexzesse in Syrien, das iranische Atomprogramm, der geplante Abzug der NATO-Streitkräfte aus Afghanistan bis zum Ende des Jahres 2014, die Schaffung eines Raketenabwehrsystems seitens der NATO in Europa. Wie nicht anders zu erwarten war, wurden die jeweiligen Positionen bekräftigt. Beobachter vor Ort vermuten jedoch, dass die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Vorgehens gegenüber Syrien und Iran gewachsen ist. Die russischen Einwände schwächten sich ab. Dieser Erwartung steht aber entgegen, dass gerade in der Zeit der Münchener Sicherheitskonferenz Russland und mit ihm China im UNO-Sicherheitsrat eine Resolution zu Fall brachten, in welcher eine einseitige Schuldzuweisung an die Adresse Assads festgeschrieben werden sollte. Gewis-sermaßen eine Begründung für eine auswärtige Intervention.

Neuland betrat die Münchener Sicherheitskonferenz allerdings auf einem anderen Gebiet. Der Vorsitzende der Konferenz, Botschafter Wolfgang Ischinger aus Deutschland, hatte in diversen Interviews die These vertreten, dass sich aus den veränderten internationalen Umständen (Deutschlands Führung bei der Bewältigung der Euro-Krise, stärkere Ausrichtung der US-Sicherheitspolitik auf den fernöstlichen und pazifischen Raum) eine umfassendere deutsche Verantwortung in Europa ergebe. Er sprach von einer »gutmütigen« Hegemonie, die die Bundesrepublik anstreben solle. Dieser These folgend hatte Ischinger die erste Gesprächsrunde auf der Konferenz der künftigen deutschen Rolle im internationalen Sicherheitsgefüge gewidmet.

Ihr Ergebnis wie auch das Auftreten von Außenministerin Hillary Clinton und Verteidigungsminister Leon Panetta aus den USA dürften jedoch die deutschen Höhenflieger in ihrem Eifer gezügelt haben. Insbesondere die US-amerikanischen Regierungsvertreter betonten mit großem Nachdruck, dass trotz veränderten geopolitischen Prioritäten Europa weiter der Schwerpunkt der US-Sicherheitspolitik bleiben werde. Panetta kündigte demonstrativ an, dass die USA eine Sondereinheit zur Abwehr nuklearer Gefahren nach Europa entsenden werden.

Und noch in einem weiteren Bereich erfolgten Klarstellungen. Im Umfeld der Münchener Sicherheitskonferenz war immer häufiger die Behauptung aufgestellt worden, dass nach einer Periode der Entspannung in den Beziehungen der NATO zu Russland seit geraumer Zeit eine Abkühlung zu beobachten sei. Schuld sei das abweichende russische Vorgehen im Nahen und Mittleren Osten, vor allem aber der Streit um das NATO-Raketenabwehrsystem. Russland werfe der NATO vor, Zusagen nicht eingehalten zu haben.

Auf der Münchener Sicherheitskonferenz spielte das Raketenthema nur eine marginale Rolle. Außenminister Sergej Lawrow streifte es nur am Rande seiner Ausführungen. Er ordnete das Streben nach einem einheitlichen Abwehrsystem in das allgemeine russische Bemühen ein, auf ein Sicherheitssystem hinzuarbeiten, das allen Teilnehmern gleiche Sicherheit garantieren soll. Kritik an der Haltung der NATO äußerte er nicht. Die Vertreter der US-Administration machten ihrerseits gleichfalls keine Anstalten, Gräben zu vertiefen. Sie bekundeten ihr Interesse an der Ausgestaltung einer strategischen Partnerschaft mit Russland.

So haben sich mit der diesjährigen Münchener Sicherheitskonferenz die Gewichte nicht verschoben. Die USA bleiben mit ihren Hauptkräften in Europa und denken nicht daran, europäischen Partnern einen erweiterten politischen Spielraum einzuräumen. Allerdings verlangen sie größere materielle Leistungen von ihren Verbündeten. Russland bleibt im Spiel. Es wird zwar mit einer gewissen Zurückhaltung behandelt, ist jedoch für die Aufrechterhaltung der internationalen Sicherheit unverzichtbar. Gradmesser des Zustandes wird sein, ob Russland der Einladung folgen wird, an der NATO-Gipfelkonferenz im Mai in Chicago teilzunehmen. Dann ist ja bereits der nächste russische Präsident im Amt ...

* Aus: neues deutschland, 6. Februar 2012


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