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"Bei allen Meinungsdifferenzen betrachte ich den Präsidenten der Vereinigten Staaten als meinen Freund"

Fragen und Antworten im Anschluss an die Aufsehen erregende Rede von Wladimir Putin auf der Münchner "Sicherheitskonferenz" - Das vollständige Protokoll (deutsch)

Im Folgenden dokumentieren wir den Wortlaut der Diskussion bei der Münchener "Sicherheitskonferenz" nach der Rede des russischen Präsidenten. Zunächst wurde eine Reihe von Fragen gesammelt, die Putin dann nacheinander abarbeitete - zum Teil unterbrochen von weiteren Nachfragen. Die deutsch gestellten Fragen wurden von RIA Novosti aus dem Russischen rückübersetzt.
Die Rede selbst haben wir hier dokumentiert: "Ich denke, dass für die heutige Welt das monopolare Modell nicht nur ungeeignet, sondern überhaupt unmöglich ist".



München, 10. Februar 2007

HORST TELTSCHIK: Herzlichen Dank für ihre wichtige Ansprache. Es wurden neue Themen erwähnt, darunter auch die Frage der globalen Architektur, die in den vergangenen Jahren im Hintergrund stand; die Abrüstung und Rüstungskontrolle, die Beziehungen zwischen der NATO und Russland, die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Technologien.

Es gibt noch eine ganze Reihe von Fragen und der Herr Präsident ist bereit, darauf zu antworten.

FRAGE: Sehr geehrter Herr Präsident, danke für Ihren Auftritt. Wir im Deutschen Bundestag sind davon überzeugt, dass Russland als Partner für Europa von großer Bedeutung ist und dass Sie eine wichtige Rolle spielen. Das sagte auch die Bundeskanzlerin in ihrer Rede.
Mit Blick auf meine Erfahrungen möchte ich auf zwei Punkte ihrer Ansprache eingehen. Erstens ist das die Beurteilung der NATO und ihrer Erweiterung, die Sie als eine Bedrohung für Russland einstufen. Geben Sie zu, dass es sich bei der Erweiterung um eine Selbstbestimmung der demokratischen Staaten handelt, die selber diesen Weg eingeschlagen haben? Und dass die NATO keine Staaten aufnimmt, die nicht den Wunsch dazu haben? Können Sie eingestehen, dass die Erweiterung der NATO die Ostgrenzen sicherer macht? Warum haben Sie Angst vor Demokratie? Ich bin überzeugt: Nur demokratische Staaten können der NATO beitreten. Das stabilisiert ihre Nachbarn.
Zu der Frage, was in Ihrem Land geschieht. Anna Politkowskaja wurde ermordet. Man kann sagen, dass dies viele Journalisten angeht: Ängste, das Gesetz über Nichtregierungsorganisationen - das löst Besorgnis aus.

FRAGE: Ich verstehe sehr gut Ihre Bemerkung zur Nichtweiterverbreitung. Insbesondere am Ende des Kalten Krieges haben wir einen Rückgang der Stationierung von Atomwaffen beobachtet. Doch wir haben auch die Zunahme des Terrorismus beobachtet. Kernmaterialien müssen sicher vor Terroristen geschützt werden.

FRAGE: Eine Frage, die auch an die Bundeskanzlerin gestellt wurde. Was wird mit dem Kosovo und mit Serbien? Wie stehen Sie zu Martti Ahtisaari? Wie wird Russland auf die Lösung dieses Problems einwirken?

FRAGE: Können Sie die Erfahrungen kommentieren, die die russische Armee in Tschetschenien gemacht hat? Zu Ihrer Bemerkung zur Energiewirtschaft: Sie legten in Kürze dar, was die marktwirtschaftliche Rolle der Energie in der Politik angeht. Die Europäische Union ist an einem Partnerschaftsabkommen interessiert, in dem die Prinzipien der Politik festgehalten sind. Sind Sie bereit, die Sicherheit der Energielieferungen zu garantieren und dies in dem Abkommen festzuschreiben?

FRAGE: Herr Präsident, Sie haben aufrichtige Bemerkungen gemacht. Ich hoffe, Sie werden meine aufrichtige und direkte Frage verstehen. In den 1990er Jahren haben russische Experten den Iran bei der Entwicklung von Raketentechnologien tatkräftig unterstützt. Der Iran besitzt jetzt fortschrittliche Mittel- und Langstreckenraketen und kann damit Russland und einen Teil Europas angreifen. Sie arbeiten daran, diese Raketen mit nuklearen Sprengköpfen auszustatten. Ihr Land hat bei diesbezüglichen Verhandlungen mit dem Iran Anstrengungen unternommen und die Resolution des UN-Sicherheitsrats unterstützt, um diese Politik des Irans zu stoppen.
Meine Frage: Welche Schritte wird Russland - in der UNO oder anderswo - unternehmen, um diese sehr ernsthafte Entwicklung im Iran zu stoppen?

FRAGE: Ich bin überzeugt, dass die Historiker nicht eines Tages schreiben werden, dass während unserer Konferenz ein neuer Kalter Krieg erklärt wurde, obwohl sie das tun könnten. Sie haben gesagt, man soll sowohl den Iran unter Druck setzen als auch positive Impulse geben. Stimmt es, dass Russland einen verstärkten Druck in Form von Sanktionen verhindert, und zweitens, was die Waffenlieferungen angeht - das ermuntert sie, um so mehr als die Waffen im Libanon und im Gaza-Streifen gelandet sind. Was können Sie dazu sagen?

FRAGE: Ich verstehe ihre Aufrichtigkeit und hoffe, dass Sie unsere Aufrichtigkeit akzeptieren. Zuerst zur Rüstungskontrolle. Wer wünscht sich das Wettrüsten? Ich möchte betonen: Die USA entwickeln seit mehr als 20 Jahren keine neuen strategischen Waffen. Sie haben kürzlich Topol-M-Raketen getestet, die bereits in Bunkern und auf mobilen Startrampen installiert sind. Sie haben die USA wegen einseitiger Schritte kritisiert und zweimal gesagt, dass Militäraktionen nur dann legitim sind, wenn sie durch die UNO abgesegnet sind. Im Irak und in Afghanistan setzten die USA auf Beschluss der UNO das Militär ein. Im Kosovo findet die Friedensoperation heutzutage bei der Mehrheit Unterstützung.
Meine Frage: Sagen Sie, dass Russland nie Kriegshandlungen ohne Zustimmung der UNO führen wird, unabhängig davon, ob seine internationalen Interessen bedroht sind?

FRAGE: Sie haben von der Gefahr einer einpolaren Welt gesprochen, in der ein Souverän ohne Rücksprache mit dem Anderen Entscheidungen trifft. In Russland beobachten wir eine einpolare Regierung, in der sich konkurrierende Einflusszentren dem Parteikurs fügen müssen, seien es die Staatsduma oder die regionalen Regierungen, Medien oder Unternehmen oder Nichtregierungsorganisationen. Ist diese einpolare Regierung in Sachen Energiesicherheit ein zuverlässiger Partner?

WLADIMIR PUTIN: Ich danke Ihnen zunächst einmal für Ihre Fragen. Sie sind sehr interessant. Schade, dass wir wenig Zeit haben. Ich hätte gerne mit jedem von Ihnen persönlich diskutiert. Ich mag das.

Ich beginne mit der letzten Frage, betreffend die Einpolarität der russischen Regierung. Im jetzigen russischen Parlament sind die Kommunistische Partei, die Partei „Einheitliches Russland“ und die Liberaldemokratische Partei vertreten, aber auch andere politische Kräfte, die ganz unterschiedliche Anschauungen haben. Wenn Sie das nicht wissen, sollten Sie mit der Leitung der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation und dann mit dem Chef der Liberaldemokraten, Herrn Schirinowski, sprechen. Sie würden dann sofort den Unterschied merken.

Künftig wollen wir ein reifes politisches System haben, ein Mehrparteiensystem mit verantwortungsbewussten Politikern, die die Entwicklung des Landes prognostizieren und verantwortungsbewusst handeln können, und zwar nicht nur kurz vor und nach Wahlen, sondern langfristig. Das ist unser Ziel. Dieses System wird natürlich ein Mehrparteiensystem sein. Alle unsere Schritte im Inland, darunter auch die Korrektur der Wahlordnung der Staatsduma, des russischen Parlaments, sollen gerade das Mehrparteiensystem stärken.

Ob unsere Regierung in der Lage ist, verantwortungsbewusst in Sachen Energielieferungen vorzugehen? Natürlich! Alles, was wir bis jetzt gemacht haben und was wir jetzt machen, dient dem Zweck, unsere Beziehungen mit den Verbrauchern unserer Energieträger wie auch mit den Transitstaaten auf eine marktgerechte und transparente Grundlage zu stellen und durch langfristige Verträge abzusichern.

Mir gegenüber sitzt mein ukrainischer Kollege. Er weiß es auch: Bevor wir im vergangenen Jahr nach einer schwierigen Diskussion eine Entscheidung getroffen haben, waren unsere Energielieferungen und vor allem die Gaslieferungen nach Europa 15 Jahre lang jedes Mal darauf angewiesen, ob die Ukraine und Russland die Liefer- und Preisbedingungen für die russischen Gaslieferungen in die Ukraine vereinbaren. Erzielt man keine Einigung, gibt es kein Gas für die Europäer. Wären sie damit zufrieden? Offenbar nicht. Ungeachtet aller Skandale und Meinungskriege konnten wir mit Präsident Juschtschenko eine Einigung erzielen. Meines Erachtens hat er eine verantwortungsvolle, durchaus richtige und marktgerechte Entscheidung gefällt: Wir unterzeichneten separat einen Vertrag über die Gaslieferungen in die Ukraine und einen Vertrag über den Transit nach Europa für fünf Jahre. Man sollte uns und der Ukraine Dankeschön für diese Entscheidung sagen. Danke für Ihre Frage.

Unsere Einstellung zur Osterweiterung der NATO. Ich habe schon die Garantien erwähnt, die uns gegeben, aber nicht eingehalten wurden. Ist das normal für internationale Angelegenheiten? Die NATO ist im Gegensatz zu den Vereinten Nationen keine universelle Organisation. Sondern sie ist vor allem ein militärisch-politisches Bündnis. Die eigene Sicherheit zu gewährleisten, ist natürlich das ausschließliche Recht eines jeden souveränen Staates. Wir haben nichts dagegen. Warum soll aber bei der Erweiterung ausgerechnet die Militärinfrastruktur näher an unsere Grenzen verlegt werden? Kann uns jemand das erklären? Was hat der Ausbau der militärischen Infrastruktur mit der Abwendung der globalen Bedrohungen der Gegenwart Gemein? Die wichtigste von ihnen ist der Terrorismus, sowohl für uns als auch für die USA als auch für Europa.

Ist Russland im Kampf gegen den Terrorismus nützlich? Natürlich! Ist etwa Indien im Kampf gegen den Terrorismus nützlich? Natürlich! Doch diese beiden Staaten sind keine NATO-Staaten. Auch viele Andere gehören der NATO nicht an. Wir können gegen dieses Problem nur dann wirksam vorgehen, wenn wir unsere Anstrengungen vereinen. Mit anderen Worten: Die Erweiterung der militärischen Infrastruktur in der Nähe unserer Grenzen hat hier mit dem demokratischen Auswahlrecht einzelner Staaten nichts zu tun. Diese beiden Begriffe dürfen nicht verwechselt werden.

Ich kann nicht mehr entziffern, was ich da gekritzelt habe. Also, ich antworte daher nur auf die Fragen, die ich lesen kann. Wenn ich etwas auslasse, sollten Sie mich bitte an Ihre Fragen erinnern.

Was wird mit dem Kosovo und mit Serbien? Das wissen nur die Kosovaren und die Serben. Man soll nicht Gott spielen und für die Völker entscheiden. Wir können nur Bedingungen schaffen, den Menschen dabei helfen, ihre Probleme zu verstehen lernen. Oder als Garant von Vereinbarungen auftreten. Doch wir dürfen keine Vereinbarungen aufzwingen. Sonst treiben wir die Sache in eine Sackgasse. Wenn eines der Völker, die an diesem schwierigen Prozess teilnehmen, sich beleidigt oder erniedrigt fühlt, dann kann sich das über Jahrhunderte hinziehen. Wir werden das Problem nur in eine Sackgasse treiben.

Wir werden an diesem Grundsatz festhalten. Wenn wir merken, dass eine Partei mit der vorgeschlagenen Lösung grundsätzlich unzufrieden ist, unterstützen wir diese Lösung nicht.

Ich habe nicht ganz verstanden, was sie mit Erfahrungen unserer Armee in Tschetschenien meinen. Die Erfahrungen sind wenig angenehm, aber groß. Wenn Sie nach der Situation in Tschetschenien fragen, kann ich Ihnen sagen, dass dort ein Parlament und ein Präsident gewählt wurden und eine Regierung besteht. Alle Macht- und Verwaltungsorgane wurden gebildet. In diese Arbeit sind so gut wie alle politischen Kräfte in Tschetschenien einbezogen. Zum Beispiel sitzt der ehemalige Verteidigungsminister der Regierung Maschadow nun im tschetschenischen Parlament. Wir haben eine ganze Reihe von Entscheidungen getroffen, die den ehemaligen Kämpfern die Rückkehr zu einem normalen Leben und einigen sogar in die Politik ermöglicht haben. In Tschetschenien benutzen wir heutzutage wirtschaftliche und politische Hebel, während sich um die Gewährleistung der Sicherheit das tschetschenische Volk selbst kümmert. Die Sicherheitskräfte, die dort gebildet wurden, bestehen nämlich fast zu 100 Prozent aus Einheimischen, aus Tschetschenen.

Was die Frage zum Libanon angeht, habe ich sie auch nicht ganz verstanden. Wir haben unsere Bautruppen nach Libanon geschickt, um die Brücken und Infrastruktur wiederherzustellen, die während des Konfliktes mit Israel zerstört worden waren. Bewacht wurden die Bauleute von tschetschenischen Einheiten. Wir gingen davon aus, dass unsere Armeeangehörigen in von Moslems bewohnten Gebieten eingesetzt werden, und es wäre sinnvoll, wenn das Sicherheitskontingent ebenfalls aus Moslems besteht. Wir haben uns nicht geirrt. Die örtliche Bevölkerung hat unsere Bautruppen sehr herzlich empfangen.

Jetzt zum Energieabkommen mit der Europäischen Union. Wir haben schon mehrmals gesagt, wir haben nichts gegen die Koordinierung der Prinzipien unserer Beziehungen mit der Europäischen Union in der Energiewirtschaft. Die Prinzipien, wie sie in der Energiecharta enthalten sind, sind im Großen und Ganzen akzeptabel. Doch die Charta selbst passt uns nicht ganz. Denn sie wird weder von uns noch von unseren europäischen Partnern erfüllt. Man denke allein an den Markt für Kernmaterial, von dem wir ausgeschlossen bleiben.

Es gibt auch andere Aspekte, auf die ich jetzt nicht eingehen will. Was die Grundregeln angeht, wir machen bereits von ihnen Gebrauch, unter anderem auch in der Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen. Erinnert sei an das Geschäft zwischen Gasprom und BASF. Das war im Grunde ein Austausch von Aktiva. Wir sind bereit, auch künftig auf diese Weise zu verfahren. In jedem konkreten Fall wollen wir jedoch ganz genau wissen, was wir geben und was unsere Partner im Gegenzug geben; wir müssen unabhängige internationale Experten hinzuziehen und erst dann eine Entscheidung treffen. Wir sind dazu bereit. Das Gleiche haben wir neulich gemeinsam mit unserem italienischen Partner gemacht, mit der Firma ENI. Wir unterzeichneten einen Liefervertrag bis 2035, in dem, soviel ich weiß, auch von einem Austausch von Aktiva die Rede ist. Ein ähnliches Geschäft ziehen wir mit unseren ukrainischen Freunden in Erwägung.

Ob diese Grundsätze in dem künftigen Grundlagenabkommen zwischen Russland und der EU Niederschlag finden müssen, das kann man unterschiedlich sehen. Ich schätze, wir müssen das nicht tun. Denn unsere Beziehungen mit der EU sind nicht auf die Energiewirtschaft beschränkt. Es gibt weitere wichtige und interessante Kooperationsbereiche, wie Landwirtschaft, Hochtechnologien oder Verkehr. Wir können doch nicht das alles in das Rahmenabkommen aufnehmen. Oder möchten Sie nur das aufnehmen, was Sie brauchen, wobei das, was wir brauchen, ausgeklammert wird? Wollen wir lieber aufrichtig miteinander diskutieren und gegenseitig vorteilhafte Entscheidungen treffen.

Die nächste Frage: „In den 1990er Jahren hat Russland dem Iran bei der Entwicklung von Raketentechnik geholfen. Jetzt wollen die Iraner diese Raketen mit nuklearen Sprengköpfen ausstatten. Sie besitzen Raketen, die bis Europa reichen. Wie wird Russland an das iranische Atomprogramm herangehen?“.

Erstens habe ich keine Angaben, dass Russland in den 90er Jahren dem Iran bei der Entwicklung von Raketentechnologien geholfen hat. Dort waren nämlich andere Staaten sehr aktiv. Die Technologien wurden über verschiedene Kanäle übermittelt. Wir haben Beweise dafür. Ich habe sie seinerzeit unmittelbar dem Präsidenten der Vereinigten Staaten übergeben. Die Technologien fließen sowohl aus Europa als auch aus asiatischen Staaten.

Russland hat damit also nicht zu tun, das können Sie mir glauben. Russland hat die geringste Beziehung dazu, wenn es überhaupt eine hat. Ich habe in jener Zeit noch in Sankt Petersburg gearbeitet. Aber wir haben uns damit nicht befasst, können Sie mir glauben. Aber es ist möglich, dass dort auf der geschäftlichen Ebene etwas geschah. Wir beschäftigten uns nur mit der Ausbildung von Spezialisten an Hochschulen und so weiter. Auf Bitte unserer amerikanischen Partner haben wir darauf hart reagiert. Schnell und hart. Von Seiten unserer Partner, darunter auch der europäischen, haben wir jedoch keine solche Reaktion beobachtet. Mehr noch: Aus den Vereinigten Staaten werden auch heute noch Kriegstechnik und Spezialausrüstung geliefert. Vom Pentagon werden Ersatzteile für Flugzeuge F-14 geliefert. In den USA werden meines Wissens diesbezüglich Ermittlungen geführt. Trotz der laufenden Ermittlung wurden dieselben Ersatzteile, die an der Grenze gestoppt und zurückgeschickt worden waren, nach einiger Zeit nach meinen Angaben, die auch ungenau sein können, erneut an der Grenze gestoppt. Sie waren sogar mit dem Vermerk „wichtige Beweismittel“ versehen.

Es ist schwer, diesen Zustrom zu stoppen. Wir müssen gemeinsam handeln.

Nun dazu, dass Iran Raketen haben soll, die Europa bedrohen würden. Sie irren sich. Heute hat Iran - hier sind Herr Gates, der diese Information bestimmt besser kennt, sowie unser Verteidigungsminister - Raketen mit einer Reichweite von 2.000 Kilometern.

SERGEJ IWANOW: 1.600 bis 1.700 Kilometer.

WLADIMIR PUTIN: 1.600 bis 1.700 Kilometer. Das ist alles. Nun schätzen Sie mal, wie weit es von der Grenze Irans bis München ist. Solche Raketen hat Iran nicht. Sie beabsichtigen erst, Raketen mit einer Reichweite von 2.400 Kilometern zu entwickeln. Dabei ist nicht klar, ob das für sie technologisch machbar ist. Aber 4.000, 5.000 oder 6.000 Kilometer - ich denke, dazu ist einfach eine andere Wirtschaft erforderlich. Das ist insofern überhaupt wenig wahrscheinlich. Iran bedroht Europa also nicht. Und dass sie angeblich vorhaben, nukleare Gefechtsköpfe zu montieren - solche Informationen haben wir nicht.

Nordkorea hat aber einen nuklearen Sprengsatz getestet. Die Iraner sagen uns dauernd, ihr Nuklearprogramm sei friedlich. Ich stimme Ihnen aber darin zu, dass die internationale Völkergemeinschaft über den Charakter und die Qualität der Nuklearprogramme Irans besorgt ist. Herr El Baradei hat diese Besorgnisse, ich glaube, in sechs oder sieben Punkten formuliert. Hier bin ich mit Ihnen solidarisch. Und ich verstehe nicht, warum die iranische Seite auf diese Besorgnisse und auf El Baradeis Vorschlag bis jetzt nicht positiv und konstruktiv reagiert hat, um diese Besorgnisse zu beseitigen. Wie auch Ihnen - mir ist das auch nicht verständlich.

Was werden wir tun? Ich denke, dass wir alle Geduld üben und vorsichtig arbeiten müssen. Ja, richtig, indem wir auch Stimuli schaffen und der iranischen Führung zeigen, dass eine Zusammenarbeit mit der internationalen Völkergemeinschaft viel besser ist als eine Konfrontation.

Nun also zu den Waffenlieferungen an Iran. Wissen Sie, es wird viel mehr geredet als geliefert. Unsere militärtechnische Zusammenarbeit mit Iran ist minimal. Einfach minimal. Ich weiß nicht, was es für Zahlen dafür gibt. Überhaupt machen unsere Rüstungslieferungen in die Nahostregion einen Bruchteil der Lieferungen anderer Länder, einschließlich der Vereinigten Staaten, aus. Wir liefern einfach unvergleichbar weniger. Vor kurzem haben wir Luftabwehrsysteme dorthin geliefert, das stimmt, mit einer Reichweite von ungefähr 30 bis 50 Kilometern. Das stimmt. Wozu haben wir das getan? Das kann ich erklären. Wir haben das getan, damit sich Iran nicht in die Enge getrieben fühlt. Damit es sich nicht in irgendeiner feindlichen Umgebung fühlt und sieht, dass es einen Kanal nach außen hat, damit es sieht, dass es Freunde hat, denen man vertrauen kann. Wir rechnen sehr damit, dass auch die iranische Seite unsere Signale verstehen und hören wird.

Zu unseren Waffen im Libanon und im Gaza-Streifen. Vom Gaza-Streifen habe ich überhaupt nicht gehört, dass unsere Waffen dort präsent sind. Ich habe so etwas nicht gesehen. Die Kalaschnikow-MPi ja, das ist überhaupt die verbreitetste Schusswaffe in der Welt. Die gibt es wohl überall. Sicherlich gibt es die Kalaschnikow-MPi auch noch in Deutschland, jedenfalls sind sie dort noch nicht vernichtet worden. Das ist hundertprozentig.

Im Libanon - das stimmt, ja. Dort wurden wirklich Kisten gesehen, in die unsere Panzerabwehrsysteme verpackt werden. Das ist richtig. Unsere israelischen Partner haben mir das sofort mitgeteilt. Wir haben eine eingehende Untersuchung vorgenommen, was dort geschehen ist, und festgestellt, dass diese Systeme auf dem libanesischen Territorium zurückgelassen wurden, als die syrische Armee von dort wegging. Wir haben eine entsprechende Arbeit mit unseren syrischen Partnern geführt und unsere weitere Zusammenarbeit auf dem Gebiet des militärtechnischen Zusammenwirkens mit Syrien von obligatorischen Bedingungen abhängig gemacht, die es ausschließen, dass Waffen in die Hände jener gelangen, für die sie nicht bestimmt sind. Ein solches System wurde entwickelt. Unter anderem haben wir eventuelle Inspektionen von Waffendepots zu einer für die russischen Spezialisten bequemen Zeit vereinbart. Inspektionen von Depots nach Lieferungen unserer Systeme an Syrien.

FRAGE: „Die USA entwickeln keine strategischen Waffen, während Russland das tut. Wird Russland in Zukunft Gewalt ohne UNO-Sanktionen anwenden? Russland entwickelt strategische Waffensysteme.“

WLADIMIR PUTIN: Eine herrliche, hervorragende Frage! Ich bin Ihnen dafür sehr dankbar. Das bietet mir die Möglichkeit, das Wesen der Ereignisse zu zeigen. Welchem Umstand haben wir es in den zurückliegenden Jahrzehnten zu verdanken, wenn wir schon davon sprechen, dass es eine Konfrontation gegeben hat und es in der Periode der Konfrontation zwischen beiden Supermächten und beiden Systemen dennoch nicht zu einem großen Krieg gekommen ist? Wir sind dem Kräftegleichgewicht zwischen diesen beiden Supermächten verpflichtet. Es gab ein Gleichgewicht und die Angst vor gegenseitiger Vernichtung. Die eine Seite hatte in letzter Zeit Angst, einen Schritt zu viel ohne Rücksprache mit der anderen Seite zu unternehmen. Das war ein zerbrechlicher Frieden, der natürlich mit einer gewissen Angst verbunden war. Er war aber recht zuverlässig, wie es sich herausstellt. Jetzt aber erscheint er nicht mehr so zuverlässig.

Fürwahr: Die Vereinigten Staaten entwickeln angeblich keine Offensivwaffen. Jedenfalls weiß die Öffentlichkeit nichts davon. Dabei entwickeln sie diese ganz bestimmt. Wir werden jetzt aber nicht danach fragen. Wir wissen, dass die Entwicklung im Gange ist. Wir tun aber so, als ob wir das nicht wissen. Was wissen wir aber? Wir wissen, dass in den Vereinigten Staaten aktiv an einem Raketenabwehrsystem gearbeitet wird und dass es bereits der Bestimmung übergeben wird. Heute ist es zwar uneffektiv und wir wissen nicht genau, ob es überhaupt einmal effektiv sein wird. Theoretisch aber wird es gerade zu diesem Zweck entwickelt. Das bedeutet, dass wir hypothetisch davon ausgehen, dass einmal der Zeitpunkt kommen wird, wo die eventuelle Bedrohung durch unsere Nuklearkräfte, durch die heutigen Nuklearkräfte Russlands, völlig neutralisiert wird. Wenn dem aber so ist, so bedeutet das, dass das Kräftegleichgewicht absolut zerstört wird und dass bei einer der Seiten das Gefühl einer völligen Sicherheit entstehen wird, was ihr Handlungsfreiheit geben würde, und zwar nicht nur in lokalen, sondern vielleicht bereits auch in globalen Konflikten.

Jetzt führen wir bloß eine Diskussion. Ich möchte niemanden einer Aggressivität verdächtigen. Das System der Beziehungen ist aber wie Mathematik. Es kennt keine persönliche Dimension. Und wir müssen natürlich darauf reagieren. Wie? Entweder müssen wir ein Raketenabwehrsystem aufbauen, das viele Milliarden kosten würde, oder angesichts unserer heutigen wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten eine asymmetrische Antwort geben. Damit das alle verstehen: Das Raketenabwehrsystem ist zwar da, gegenüber Russland ist es aber sinnlos, weil wir Waffen haben, die es leicht überwinden. Diesen Weg werden wir auch gehen. Das kommt uns billiger. Das ist aber in keiner Weise gegen die Vereinigten Staaten gerichtet.

Wenn Sie sagen, dass das Raketenabwehrsystem nicht gegen uns gerichtet ist, so sind auch unsere neuen Waffen nicht gegen Sie gerichtet. Ich bin damit völlig einverstanden. Hier bin ich mit meinem Kollegen und Freund völlig einverstanden - ich, wissen Sie, habe keine Angst, dieses Wort zu gebrauchen, denn bei allen Meinungsdifferenzen betrachte ich den Präsidenten der Vereinigten Staaten als meinen Freund. Er ist ein anständiger Mensch, und ich weiß, dass er in den Vereinigten Staaten für alles verantwortlich gemacht wird, was in der internationalen Arena und innerhalb des Landes geschieht. Also, wenn wir miteinander sprechen, sagt er: „Ich gehe davon aus, dass Russland und die USA nie mehr Gegner oder Feinde werden.“ Ich bin mit ihm einverstanden. Aber ich wiederhole noch einmal: Das ist diese Symmetrie bzw. Asymmetrie. Nichts Persönliches, reine Kalkulation.

Jetzt zu der Frage, ob Russland militärische Gewalt ohne UNO-Sanktionen anwenden wird oder nicht. Wir werden stets strikt im Rahmen des Völkerrechts agieren. Von meiner Basis-Ausbildung her bin ich immerhin Jurist, insofern erlaube ich mir, sowohl mich selbst als auch meine Kollegen daran zu erinnern, dass für Friedensoperationen gemäß der UNO-Charta Sanktionen der Organisation der Vereinten Nationen und des UN-Sicherheitsrates erforderlich sind. Das ist im Falle von Friedensoperationen. In der UNO-Charta gibt es auch einen Artikel über das Recht auf Selbstverteidigung. Da sind keine Sanktionen mehr nötig.

Gut. Was habe ich vergessen?

FRAGE: In meiner Frage ging es um eine Multipolarität in Russland selbst und darum, was die Einstellung der internationalen Völkergemeinschaft gegenüber Russland betrifft, wo es diese Prinzipien nicht einhält: Morde an Journalisten, Ängste, Furcht, Fehlen der Freiheit, nichtstaatliche Organisationen…

WLADIMIR PUTIN: Ich werde ein paar Worte dazu sagen. Es gab ja noch irgendeine andere Frage, diese Frage habe ich im Prinzip beantwortet, als ich über die Zusammensetzung des russischen Parlaments sprach. Schauen Sie, wer dort vertreten ist und welche politischen Ansichten die Menschen, die leitende Positionen im Parlament bekleiden, und die legitimen Parteien vertreten.

Was die nichtstaatlichen Organisationen anbelangt, so arbeiten sie in Russland aktiv. Ja, wir haben ein neues Registriersystem für sie eingeführt. Es unterscheidet sich wenig von den Systemen in anderen Ländern. Von den nichtstaatlichen Organisationen selbst haben wir vorerst keine Bemerkungen dazu bekommen. Wir haben praktisch niemandem die Registrierung verweigert. Es gibt zwei oder drei Fälle zu rein formellen Bedingungen, und diese nichtstaatlichen Organisationen arbeiten daran, bestimmte Passagen in ihren Statuten usw. zu korrigieren. Bei substantiellen und wesentlichen Momenten wurde niemand abgelehnt. Alle arbeiten denkbar aktiv und werden das auch weiterhin tun.

Was beunruhigt uns? Ich kann das sagen und denke, das ist für alle verständlich: Wenn diese nichtstaatlichen Organisationen im Grunde genommen von ausländischen Regierungen finanziert werden, so betrachten wir das als ein Instrument ausländischer Staaten bei der Realisierung einer Politik gegenüber unserem Land. Das ist erstens. Und zweitens: In allen Ländern gibt es bestimmte Regeln für die Finanzierung beispielsweise von Wahlkampagnen. Über die nichtstaatlichen Organisationen erfolgt die Finanzierung aus Regierungsquellen anderer Länder. Wie kann das gehen? Ist das etwa eine normale Demokratie? Das ist eine latente, vor der Gesellschaft verborgene Finanzierung. Was ist daran demokratisch? Können Sie mir das sagen? Nein. Das können Sie nicht. Und das werden Sie niemals können. Weil das keine Demokratie ist, sondern eine Beeinflussung des einen Staates durch einen anderen.

Wir sind aber daran interessiert, dass sich die zivile Gesellschaft innerhalb von Russland selbst entwickelt, dass sie die Behörden rügt und kritisiert und der Macht hilft, deren Fehler zu finden und die Politik im Interesse der Menschen zu korrigieren. Daran sind wir zweifelsohne interessiert und wir werden die zivile Gesellschaft und die nichtstaatlichen Organisationen unterstützen.

Was Ängste und Ähnliches anbelangt. Wissen Sie, wir haben heute weniger Ängste als in vielen anderen Ländern. Weil wir die Situation in der Wirtschaft und im Bereich des Wohlstands der Menschen in den letzten Jahren radikal verändert haben. Wir haben noch sehr viele Probleme. Wir haben noch sehr viele ungelöste Probleme. Darunter auch Probleme, die mit der Armut verbunden sind. Und ich werde Ihnen sagen, dass die Ängste hauptsächlich diesen Ursprung haben.

Was die Journalisten anbelangt, so ist das wirklich ein großes und kompliziertes Problem. Journalisten kommen übrigens nicht nur bei uns in Russland, sondern auch in anderen Ländern ums Leben. Wo sind besonders viele Journalisten ums Leben gekommen? Sie sind doch ein Fachmann und können sicherlich sagen, in welchem Land beispielsweise im zurückliegenden Jahr oder in den letzten anderthalb Jahren besonders viele Journalisten ums Leben gekommen sind. Im Irak sind besonders viele Journalisten ums Leben gekommen.

Was die Tragödien in unserem Land anbelangt, so werden wir zweifelsohne beharrlich gegen solche Erscheinungen ankämpfen und die Täter hart bestrafen, die versuchen, das Vertrauen gegenüber Russland zu untergraben und unser politisches System ins Wanken zu bringen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 14. Februar 2007 ("Analysen und Kommentare")


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