Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kalter Krieg oder frischer Wind?

Putin vor der Münchner Sicherheitskonferenz

Von Kai Ehlers

Recht hat er, aber hat er auch die Macht? So könnte man die überwiegende Mehrheit der Reaktionen auf den Auftritt des russischen Präsidenten vor der alljährlichen NATO-„Sicherheitskonferenz“ in München vom 10./11. Februar zusammenfassen, wo er „überraschend“ und außerhalb der üblichen diplomatischen Rücksichten das vortrug, was, wie er sagte, „ich wirklich über die Probleme der internationalen Sicherheit denke“, nämlich, dass es eine Ende haben müsse mit der US-Alleinherrschaft.

Endlich, möchte man sagen! Schockierend, meinen andere. Dabei sind die Tatsachen, die Putin vortrug nicht unbedingt neu: Die monopolare Welt, die nach dem Kalten Krieg „vorgeschlagen“ worden sei, sei nicht zustande gekommen. Der Herrschaftsanspruch der USA habe mit Demokratie nichts gemein. Amerikanische Werte würden anderen Staaten übergestülpt; die USA hätten ihre Grenzen fast in jeder Hinsicht überschritten: Militärisches Abenteurertum, ausufernde militärische Gewalt und Missachtung des Völkerrechtes hätten die Welt gefährlicher gemacht. Die Politik der USA heize das nukleare Wettrüsten an. Niemand fühle sich mehr sicher.

Neu ist lediglich Russlands kategorischer Protest gegen aktuelle NATO-Pläne, in Polen und Tschechien neue Stationen für ein europäisches Raketenabwehrsystem zu bauen.

Auch die Alternative, die Putin für das von Kanzlerin Merkel in ihrer Eintrittsrede zur Konferenz mehrfach geforderte „Zusammenrücken“, nannte, bei der sie einer weltweit agierenden NATO, der EU und dem atlantischem Bündnis eine „aufbauende“ Rolle zuschrieb, war im Kern nicht neu, nämlich die Einbindung der USA in das Konzept einer multipolaren und kooperativen Weltordnung. Das Gleiche gilt für Putins Feststellung, dass in einer solchen Ordnung nicht eine Macht allein, sondern einzig die Völkergemeinschaft, die UNO, den Einsatz von Gewalt legitimieren könne.

Neu allerdings ist das Selbstbewusstsein, mit dem Russland diese Sicht dem NATO-Bündnis vorträgt. Das mag für viele, die Russland, speziell auch Putins Politik in den Jahren seit Auflösung der Sowjetunion nur als opportunistisches Taumeln zwischen Ost und West, China und Europa usw. gesehen haben, eine überraschende Wendung sein. Tatsächlich ist Russland seit dem Amtsantritt Putins Schritt für Schritt, systematisch und erfolgreich den Weg der Wiederherstellung gegangen. Als Putin im Jahre 2000 antrat, war das Land am tiefsten Punkt seiner Selbstachtung, Zerfall seiner Staatlichkeit und Wirtschaft angekommen. Sieben Jahre Putin haben gereicht, um Russlands Selbstbewusstsein soweit wieder herzustellen, dass das Land seine historische Rolle als integrierender Faktor zwischen Asien und Europa heute in neuer Weise zu übernehmen in der Lage und bereit ist – nämlich als Impulsgeber und stabilisierender Faktor einer kooperativ organisierten Weltordnung zu wirken, die durch die aggressive Hegemonialpolitik der USA zunehmend gefährdet ist. In diesem Sinne ist Russland schon seit längerem eine heimliche Vermittlerrolle zugewachsen. Mit Putins Auftritt vor der NATO-Versammlung wird sie vor aller Augen benannt. Was Russland in die Entwicklung einer neuen Weltordnung einbringt, ist seine historische Erfahrung des Vielvölkerpluralismus, an die das heutige Russland anknüpft. Im Austausch und Kooperation mit westlichem Verständnis von Demokratie, können daraus neue Kräfte erwachsen.

Die Rede des russischen Präsidenten schafft keine neuen Tatsachen – sie ist jedoch Ausdruck einer gewandelten Wirklichkeit: Sie zeigt zum einen, dass dem US-Anspruch auf Alleinherrschaft inzwischen Grenzen erwachsen sind. Russland ist nicht mehr der hilflose Spielball westlicher, insbesondere US-amerikanischer Interessen, der es unter Jelzins Präsidentschaft geworden war: Russische Staatlichkeit, russische Wirtschaft, russisches Selbstbewusstsein ist als Ergebnis der autoritären Modernisierung unter Putins Führung wiederhergestellt, ohne dabei im Sowjetverhältnisse zurückzufallen. Seine Energie-Ressourcen geben Russland eine explodierende Finanzkraft. Mit Russland muss wieder gerechnet werden. Eine weitere Ausdehnung der NATO – ohne Rücksprache und ohne Einbeziehung Russlands - wird Moskau nicht hinnehmen.

Neben den beiden alten Supermächten, die sich heute in neuer Weise gegenüberstehen, sind zudem eine Reihe neuer Machtzentren entstanden. Das beginnt mit der EU, die ihre Bündnisoptionen nicht mehr nur atlantisch definiert. Dazu kommen die neuen Mächte China, Indien, Iran und die Entwicklung der südamerikanischen Staaten, die zu gleichgewichtigen Partnern in der globalen Wirtschaft und Politik herangewachsen sind. Sie sind weder klein zu halten noch aus dem Weg zu bomben, sondern müssen als Mitspieler im „global play“ bei Strafe des gemeinsamen Untergangs als Partner auf Augenhöhe akzeptiert werden. Ihre gleichberechtigte Einbeziehung in die WTO, in die G8, aber auch die UN, selbst die Verwandlung der NATO in ein weltweites Militärbündnis ist unvermeidlich, wenn diese Institutionen nicht zu Instrumenten eines neuen kalten, tendenziell gar heißen Krieges der zur Zeit noch herrschenden Industrieländer gegen den Rest der Welt werden sollen.

Das scheinen auch die westlichen Politiker zu verstehen: Der neue Verteidigungsminister der USA, Robert Gates, der bei seinem Amtsantritt die Forderungen nach weiterer Aufrüstung mit der Unberechenbarkeit Russlands und Chinas begründete, erklärte nach der Putin-Rede, ein Kalter Krieg sei genug gewesen und ließ sich vom russischen Verteidigungsminister Iwanow zu Abrüstungsgesprächen nach Moskau einladen.

Der NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer zeigte sich zwar „enttäuscht“ von Russland; zugleich will man sich beim nächsten Treffen des NATO-Russland-Rates in Sevilla jedoch darüber verständigen, wie die militärtechnische Zusammenarbeit zwischen Russland und der NATO weiter gefestigt werden könne. Die deutschen Politiker können Putins Kritik am Alleingang Russlands in ihrer Mehrheit sogar „verstehen“. Kanzlerin Merkel sicherte Präsident Putin nach seiner Rede noch einmal ausdrücklich die deutsche Bereitschaft zum Dialog zu.

All dies macht deutlich, dass Putins Auftritt nicht die Rache eines Beleidigten ist, der „austeilt, nachdem er viel einstecken musste“, nicht als Provokation, auch nicht als Imageaufwertung für den bevorstehenden russischen Wahlkampf zu verstehen ist, wie manche Kommentatoren meinen, obwohl der innenpolitische Zuspruch nicht übersehen werden sollte. Putin fordert vielmehr nicht weniger als den Eintritt in eine neue Runde der internationalen Kooperation, die den neu gewachsenen globalen Kräfteverhältnissen entspricht. Wenn allerdings eine Zeitung wie die deutsche FAZ die zurückhaltenden Reaktionen der USA, der EU, insbesondere aber der deutschen Politiker in die Nähe eines Appeasement und damit Putin in die Nähe Hitlers rückt, dann wird deutlich, wie viel noch für die Verwirklichung einer solchen Perspektive getan werden muss.


Zu anderen Berichten von der Sicherheitskonferenz

Zur Russland-Seite

Zurück zur Homepage