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"Da wird ein verzerrtes Bild der Bundeswehr gezeichnet"

Das Militär wirbt erneut in einer Jugendzeitschrift für Abenteuerurlaub auf NATO-Stützpunkt. Ein Gespräch mit Antje Weber *


Antje Weber ist Kinderrechtsexpertin bei der Kindernothilfe und Sprecherin des Deutschen Bündnisses Kindersoldaten.


In der aktuellen Ausgabe der Jugendzeitschrift Bravo wirbt die Bundeswehr in einer ganzseitigen Anzeige für ein »Team Challenge« bei der deutschen Luftwaffe auf dem NATO-Stützpunkt Decimomannu auf Sardinien. Das »Adventure Camp« soll jungen Menschen Einblicke in das Soldatenleben geben. Warum mißfällt Ihnen das?

Weil da ein völlig verzerrtes und verharmlosendes Bild der Bundeswehr gezeichnet wird. Schöne Dinge wie Sommer, Sonne, Strand und Meer haben mit dem Alltag von Soldaten nichts zu tun. Und schon gar nicht mit den drohenden Gefahren im Kriegsgebiet: Verwundung, Traumatisierung, Tod und das Töten von Menschen. Wer beim Militär landet – und ums Anwerben junger Menschen geht es schließlich bei der Kampagne –, hat keinen Urlaub zu erwarten, sondern ziemlich schlimme Erfahrungen.

Kommt derlei bei Aktivitäten wie demnächst auf Sardinien gar nicht zur Sprache?

Wir wissen, daß sich die Bundeswehr bei ihrer Nachwuchswerbung nur sehr wenig bis gar nicht zu den Risiken des Soldatenberufs äußert. Die Mitarbeiterin einer Werbeagentur, die von der Bundeswehr für eine Werbekampagne beauftragt wurde, hat das 2011 im Fernsehen einmal so begründet: Man thematisiere Auslandseinsätze in der Werbung für die deutsche Armee so wenig, wie man das Risiko des Fettwerdens in der Reklame für Schokolade zur Sprache bringe.

Ein recht zynischer Vergleich …

In der Tat. Fragt man direkt bei der Bundeswehr nach, heißt es dagegen immer, bei der Nachwuchsanwerbung werde umfassend – auch über die Gefahren – informiert. Wir haben daran unsere Zweifel.

Schon einmal im Jahr 2012 hatte die Truppe in der Bravo für ein solches Camp geworben – und damit für Unmut gesorgt. War das der Grund für den Aussetzer im Vorjahr?

Diese Camps fanden bereits mehrfach statt. Aber es ist richtig, daß zwischenzeitlich die Kampagnen abgeschwächt waren. Es ist durchaus denkbar, daß das auf unsere und die Kritik unserer Mitstreiter zurückzuführen ist. Ein Grund mehr, sich jetzt wieder zu Wort zu melden.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) tut so, als wäre die Bundeswehr eine Friede-Freude-Eierkuchen-Veranstaltung mit Kinderbetreuung, Teilzeitarbeit und Wohlfühlstuben. Macht sich der neue Stil bei der Nachwuchsgewinnung bemerkbar?

Ob Frau von der Leyen die Wiederaufnahme der Bravo-Kampagne angestoßen hat, weiß ich nicht. Auf alle Fälle hat sie zu Jahresbeginn öffentlich bestätigt, daß die Bundeswehr auch auf die Anwerbung minderjähriger Soldatinnen und Soldaten setzt und entsprechende Einstiegsoptionen anbietet. Und sie äußerte sich überzeugt, daß dies im Einklang mit den Bestimmungen der UN-Kinderrechtskonvention steht.

Was Sie anders sehen?

Deutschland nutzt eine völkerrechtliche Lücke. Nach der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen dürfen Minderjährige gemäß einer Ausnahmeregelung in staatlichen Armeen eingesetzt werden. Zugleich hat sich Deutschland aber dazu verpflichtet, den größtmöglichen Schutz für Kinder und Jugendliche sicherzustellen, was nach unserer Sicht dem Vorgehen widerspricht. Außerdem hält die BRD auf internationalem Parkett als vermeintliches Vorbild andere Staaten dazu an, auf minderjährige Soldaten zu verzichten – praktiziert es aber im eigenen Land selbst. Jährlich melden sich zwischen 1000 und 1200 Mädchen und Jungen unter 18 Jahren freiwillig zum Dienst an der Waffe.

Die Bravo wendet sich bereits an Zehnjährige und soll sogar noch jüngere Leser haben.

Kinder in diesem Alter sind hochgradig empfänglich für Werbebotschaften, die die Wirklichkeit verfälschen. Der UN-Ausschuß für Kinderrechte hat Deutschland deshalb auch im Februar offiziell aufgefordert, jegliche Reklame bei Minderjährigen zu verbieten – und das Rekrutierungsalter auf 18 Jahre zu erhöhen.

www.­kindersoldaten.info

Interview: Ralf Wurzbacher

* Aus: junge Welt, Montag 11. August 2014


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