Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ballern am Hindukusch

Militärische Videospiele erfreuen sich großer Beliebtheit. So ziehen die meist jungen Spieler auch immer öfter mit virtuellen Bundeswehrsoldaten aufs Schlachtfeld

Von Michael Schulze von Glaßer *

In der kommenden Woche erscheint in Deutschland der neueste Teil der Videospielserie »Medal of Honor«. Der Spieler schlüpft in dem nahezu fotorealistischen First-Person-Shooter in die Rolle eines Soldaten der US-Eliteeinheit »Tier-1«. Der elfte Teil des Spiels versetzt den User dabei in ein reales Szenario: Gekämpft wird in den kargen Höhen des afghanischen Hindukusch-Gebirges, bekämpft werden Aufständische und Taliban. Das Spiel sorgte bereits bei seiner Präsentation im August auf der Videospielmesse Gamescom in Köln für Furore: Im Mehrspielermodus kann man auch in die Rolle der Taliban schlüpfen, um dann die NATO-Truppen zu bekämpfen. »Es ist widerwärtig, so ein Spiel auf den Markt zu bringen, während in Afghanistan Menschen sterben«, empörte sich der Sprecher des Bundeswehrverbands damals im Focus. Trotz Kritik mehrerer in Afghanistan tätiger NATO-Staaten hielt Hersteller Electronic Arts aus Redwood im US-Bundesstaat Kalifornien an dem Mehrspielermodus mit Taliban fest. Die Entwicklung von »Medal of Honor« wurde von US-Elitesoldaten unterstützt, und auch die deutschen Militärs scheinen sonst nichts gegen solche Spiele zu haben. Ganz im Gegenteil war die Bundeswehr auf der Gamescom in Köln mit einem großen Messestand samt Feldjägermotorrad aktiv auf Rekrutensuche.

Zwar ist die Bundeswehr - im Gegensatz zur US-Armee, deren aufwendige Videospielserie »America's Army« laut Eigenaussage das effektivste Werkzeug zur Nachwuchsrekrutierung ist - kaum auf dem Gamessektor aktiv, dennoch wird sie immer öfter in Spielen dargestellt. Für das 2001 erschienene 3D-Ego-Shooter-Kriegsspiel »Operation Flashpoint« (Bohemia Interactive) entwickelten einige deutsche Spieler beispielsweise eine Bundeswehr-Modifikation (kurz Bw-MOD). Nach dem kostenlosen Download und der Installation konnten die Spieler nicht nur mit den standardmäßigen US-amerikanischen- und sowjetischen Militärvehikeln und Soldaten in den Krieg ziehen, sondern auch mit deutschen Leopard-Panzern und Soldaten der Bundeswehr. Im Sommer 2009 folgte mit »Armed Assault 2« ein Nachfolger des Kriegsspiels mit dem prägnanten Untertitel »Die ultimative Militärsimulation«. Für das sich erfolgreich verkaufende Spiel entwickelten Benutzer aus Deutschland abermals einen kostenlosen Bw-MOD. Nahezu fotorealistisch können die User mit deutschen Panzern und Gewehren virtuelle 3D-Schlachten im vom Wind aus Bits und Bytes wogenden Gras austragen. Dieser kostenlose Werbeeffekt für die Bundeswehr wird von keiner professionellen und offiziellen Armee-Werbung begleitet, es gibt keine Aufforderung, seine Daten für eine etwaige Rekrutierung bereitzustellen. Es gebe zwar durchaus Kontakte zur Bundeswehr, eine direkte Unterstützung durch das deutsche Militär finde aber nicht statt, teilten die Bw-MOD-Entwickler auf Nachfrage mit. Mit der »Armed Assault 2«-Erweiterung »Operation Arrowhead« kamen im Sommer 2010 auch erstmals offiziell deutsche Soldaten im Spiel vor; gespielt werden können nun Angehörige der Geheimeinheit »Kommando Spezialkräfte« (KSK).

Auch im First-Person-Shooter »Terrorist Takedown 2« (2009) der Firma »City Interactive« gehören Bundeswehrsoldaten zu den Hauptdarstellern. Das Szenario hätten sich Militärpropagandisten nicht besser ausdenken können: »Journalisten entführt! Zwei Tage nach der Geiselnahme. Die Regierung beginnt, mit den Terroristen über die Freilassung der Journalisten zu verhandeln. Aber die Forderungen der Entführer scheinen unerfüllbar! Als Soldat einer Spezialeinheit ist es Ihre Aufgabe, die Geiseln aus den Händen der Terroristen zu befreien und sie lebend zurückzubringen....« Die Einheit heißt im Spiel »Spezialkräfte Kommando« und ist klar an das KSK angelehnt. Die Spielszenen simulieren Schauplätze in Afghanistan: kleine Dörfer und Märkte, öde und dürre Landschaften sowie kahle Berge. Verfolgen die deutschen Soldaten im Spiel nur edle Motive, werden dem Spieler die arabischen Zivilisten als hinterlistig präsentiert: Ein Informant schlägt die Spielfigur des Users in einem Level kurzerhand von hinten bewußtlos und stellt sich danach als Kollaborateur der Terroristen heraus. Die Darstellung der Bundeswehr in Spielen hat für die Armee also nicht nur einen positiven Werbeeffekt, sondern produziert dazu noch für Militär und Politik nützliche Feinbilder.

* Michael Schulze von Glaßer hat im PapyRossa-Verlag gerade das Buch »An der Heimatfront. Öffentlichkeitsarbeit und Nachwuchswerbung der Bundeswehr« (200 Seiten, 16,00 Euro) veröffentlicht.

Aus: junge Welt, 8. Oktober 2010



Spiel, Spaß, Spannung: Die Bundeswehr im Internet

Von Michael Schulze von Glaßer **

Web-2.0-Internetdienste wie Facebook, Twitter, Flickr, YouTube und Co. werden immer populärer. Gerade junge Leute tummeln sich in den Social-Media-Netzwerken. Im Sommer 2010 waren 2.0-Internetdienste daher Thema eines mehrtägigen Symposiums der »Akademie für Information und Kommunikation« (AIK) der Bundeswehr in Strausberg bei Berlin. Zahlreiche Experten von zivilen Medien und Internetdiensten erklärten den Militärs, wie sich heutzutage im Internet werben läßt - sowohl um neue Rekruten als auch für ein besseres Image.

Nach dem Symposium startete die Bundeswehr ihren eigenen YouTube-Premium-Kanal. Mit den Kurzfilmen »wird den Bürgerinnen und Bürgern 'aus erster Hand' ein umfassendes, realistisches und vor allem transparentes Bild über den Alltag der Bundeswehr ermöglicht«, verspricht die Truppe. »Die Einsatzwirklichkeit« der deutschen Soldaten bilde dabei einen besonderen Schwerpunkt. So sind auch Videos des Kriegseinsatzes in Afghanistan zu finden - natürlich aber keine, die die Bundeswehr negativ dastehen lassen. Pikant: Der YouTube-Kanal der Armee wird vom Fernsehsender BundeswehrTV (BwTV) gemanagt. Zahlreiche online verfügbare Videos wurden von diesem erstellt. Dabei ist Regierungsfernsehen in Deutschland verboten - weshalb BwTV auch nur in Kasernen der Bundeswehr über spezielle Empfangsgeräte gesehen werden kann.

Zeitgleich mit dem Video- ging auch ein öffentliches Bildportal der Bundeswehr beim Internetfotodienst Flickr online. Über 10.000 Aufnahmen von Militärfahrzeugen, Bundeswehrveranstaltungen und aktuellen Einsätzen können angesehen und heruntergeladen werden. Unter der Rubrik »Classix« finden sich auch Fotos von den Anfängen der Armee. Dabei sind die Bilder nicht nur für Privatleute: das Portal bietet »Presse- und Medienvertretern [die] Gelegenheit, auf aktuelles und autorisiertes Bildmaterial der Bundeswehr zuzugreifen«, wirbt die Armee.

Auch beim Mikroblogdienst Twitter ist die Bundeswehr aktiv und postet die Überschriften ihrer Artikel ihrer offiziellen bundeswehr.de-Website. Neben den neuen Web-2.0-Portalen betreibt die deutsche Armee gleich zwei Rekrutierungswebsites: Unter www.treff.bundeswehr.de sollen sich Kinder und Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren über die Armee informieren. Monatlich verzeichnete das Portal 107000 Besucher. Dies liegt neben den gebotenen Informationen auch am Entertainmentangebot auf der für Jugendliche ansprechend gestalteten Website: Onlinespiele, Handy-Logos, Bildschirm-Hintergründe. Zudem gibt es eine mittlerweile über 30.000 Mitglieder zählende Online-Community. Die jungen Mitglieder haben Zugang zu Internetforen, in denen über die Bundeswehr informiert wird, können Videos von Militärfahrzeugen ansehen und an Community-Treffen in Kasernen teilnehmen. Für junge Erwachsene bis zum Alter von 25 Jahren hat das Personalamt der Bundeswehr die Website www.bundeswehr-karriere.de ins Leben gerufen. 2009 verzeichnete sie monatlich 155.000 Zugriffe.

In Zukunft wird die Bundeswehr ihre Internet-Aktivitäten wohl noch ausweiten. Über das weltweite Netz kostenlos konsumierbare Videospiele sind ein effektives Rekrutierungswerkzeug für Armeen - ein Werkzeug, das von der Bundeswehr bisher kaum genutzt wird. Ebenso wie viele Web-2.0-Dienste: Die Bundeswehr dürfte sich zukünftig wohl auch in Schüler- und StudiVZ, Facebook usw. drängen. Schon heute haben einige Gliederungen wie beispielsweise das »Regionalkommando Nord« der Bundeswehr in Nordafghanistan einen eigenen Auftritt in dem Portal.

** Aus: junge Welt, 8. Oktober 2010

Spielende Rekrutierung: America's Army

Am 4. Juli 2002 erschien die erste Version des von der US-Armee herausgegebenen, finanzierten und von zivilen Softwarefirmen entwickelten Ballerspiels »America's Army«. Bis 2006 verzeichnete die Army acht Millionen registrierte User. An einem normalen Tag tummeln sich etwa 30000 Spieler auf den Servern des US-Militärs, um über das Internet vernetzt mit anderen Spielern in die Schlacht zu ziehen. Durch die Registrierung vor Spielbeginn ist es der Armee möglich, den meist jungen Spielern Werbung zuzuschicken oder sie sogar zuhause zu besuchen.

Waffen wurden für das Spiel originalgetreu am Computer nachgebaut und selbst deren Verschleiß beachtet, so daß das Kriegsgerät auch untauglich werden kann. Beim Schießen müssen die User auf die Atmung ihres virtuellen Ichs achten, um kurz nach dem Ausatmen eine ruhige Hand zu haben und genauer zu treffen. Fast alles ist realistisch - bis auf den Schaden, den die Waffen anrichten. Mit der Darstellung von Blut wird gespart, ebenso mit Rufen und Todesschreien verwundeter Personen. Im Spiel stehen sich zwei Teams auf einer von vielen zur Auswahl gestellten Karten gegenüber. Ziel ist es, die Gegner zu töten. Dabei sehen sich die Spieler beider Teams selbst als US-Soldaten, das jeweils andere Team wird als arabische Terroristen dargestellt, so daß im Endeffekt niemand die Aufständischen selbst spielt, diese aber für die User immer die Feinde verkörpern. Die meisten Karten sind an Schauplätze in Afghanistan und im Irak angelehnt.

Dem Spieler werden bei »America's Army« schon früh allerlei militärische Fertigkeiten beigebracht. So gibt es strikte Hierarchien und Befehlsstrukturen, die mit Hilfe von »Honor«-Punkten dargestellt werden. Je mehr »Ehrenpunkte« ein Spieler hat, um so höher sein virtueller Rang, was es ihm ermöglicht, anderen Spielern Befehle zu erteilen. Die »Honor«-Punkte setzen sich zusammen aus Loyalität, Pflicht, Respekt, selbstlosem Dienst, Ehre, Integrität und Mut. »Heilt« man die Verwundung eines Soldaten im eigenen Team, gibt dies Punkte ebenso wie für das Töten von Feinden. Bei Befehlsmißachtung oder Verstoß gegen die »Rules of Engagement«, beispielsweise durch Verletzen oder Töten von Teammitgliedern oder Zivilisten, gibt es Punktabzug. Für grobe oder zu häufige Verstöße können User sogar für das Spiel gesperrt werden. Die mittlerweile drei Versionen des Kriegsspiels sind kostenlos im Internet auf den Websites des US-Army erhältlich. Unverbindliche Altersfreigabe: 13 Jahre.
(msvg)




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