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Hip-Hop kontra Bundeswehr

Hamburger Linksjugend startet Aktion gegen Rekrutenwerbung an Schulen

Von Susann Witt-Stahl, Hamburg *

Die Linksjugend Hamburg vertreibt seit gestern unter dem Titel »Bundeswehr raus aus den Schulen!« eine Musik-CD für Schüler und Jugendliche. In den Texten geht es um die Grausamkeit militärischer Gewalt, um Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung und um posttraumatische Belastungsstörungen der Soldaten.

Mit fetzigen Beats wurden gestern am Morgen die Schüler der Oberstufe des Helene-Lange-Gymnasiums und des Kaiser-Friedrich-Ufer-Gymnasiums in Hamburg-Eimsbüttel zur ersten Stunde empfangen. »Du bist das Ziel, denn sie wissen, auf dem Arbeitsmarkt geht grad nicht viel«, warnt Hip-Hop-Performer Master Al die Schüler in seinem Rap vor den verlockenden Angeboten der Bundeswehr. »Es gibt keinen sauberen Krieg, nur Profit bestimmt das Aufmarschgebiet.«

Zwei Mitglieder der Hamburger Linksjugend, welche die Proteste organisiert hat, halten ein Transparent mit der Aufschrift »Bundeswehr raus aus den Schulen!«. Fünf ihrer Genossen verteilen Broschüren mit dem Titel »Das ist ein Befehl: Kein Werben fürs Sterben!«

Viele der Gymnasiasten bleiben stehen und greifen zu. »Es ist einfach nicht korrekt, dass die Bundeswehr in die Schulen kommt«, sagt Estelle, bevor sie zum Unterricht eilt. »Ich finde die Aktion sehr gut. Die sollte es vor jeder Schule geben«, wünscht sich Gita, die in die zehnte Klasse geht. »Krieg bedeutet immer brutale Gewalt. Wenn wir in Frieden leben wollen, müssen wir auch dafür kämpfen.« Anlass der Demonstration mit Live-Musik war die Veröffentlichung einer Gratis-CD mit »antimilitaristischem hiphop«, die auch vor der Schule verteilt wurde. Neben Master Al haben auch die Rapper Holger Burner, Albino, Chefket, Boykott und Callya dazu Titel beigesteuert. In ihren Texten geht es um die Grausamkeit militärischer Gewalt, die Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung und um posttraumatische Belastungsstörungen der Soldaten.

Notlagen ausgenutzt

Die Musiker fordern nicht nur die sofortige Beendigung aller deutscher Kriegseinsätze und der Rüstungsexporte, sondern auch die Abschaffung der Bundeswehr. Sie thematisieren den sich radikalisierenden »Klassenkampf von oben«, dem der Krieg ihrer Ansicht nach dient. Die CD ist nicht nur ein Zeichen gegen den Militarismus - es ist sozusagen ein gereimtes antikapitalistisches Manifest. Die Bundeswehr, so lautet eine zentrale These, nutze die Notlage junger Menschen aus, um sie mit dem Versprechen von Bildungs- und Karrierechancen als Kanonenfutter in die neoimperialistischen Kriege zu schicken, in die Deutschland zunehmend verwickelt sei.

»Gegen Kriegspropaganda hilft nur Aufklärung durch Kritik«, meint Linksjugend-Sprecherin Christin Bernhold. »Mit unserer Initiative wollen wir darauf aufmerksam machen, dass es den Jugendoffizieren der Bundeswehr bei ihren Schulbesuchen nicht um politische Bildung, sondern um Werbung geht.« Als Berufs- und Freiwilligenarmee müsse die Bundeswehr raffiniertere Taktiken anwenden, um Rekruten zu finden, als zu den Zeiten, in denen die Wehrpflicht noch nicht ausgesetzt war. »Wir wollen nicht, dass weitere Menschen für die Kriege der Bundesregierung sterben müssen, die im Interesse der Wirtschaft und der deutschen Großmachtpolitik geführt werden«, erklärt Bernhold, warum der Linksjugend-Protest weit über die Kritik an den PR-Maßnahmen der Bundeswehr hinausgeht.

»Ich mache aus tiefster Überzeugung mit. Antiimperialismus und Antimilitarismus sind unverzichtbare Bestandteile eines besseren Systems, das geschaffen werden muss«, begründet Master Al alias Alexis seine Teilnahme an dem Projekt, für das er keinerlei Gage erhält. Der 23-jährige Studierende der Politik- und Wirtschaftswissenschaften macht seit neun Jahren Musik.

CD kann bestellt werden

Vor vier Jahren hat Alexis angefangen, politische Texte zu dichten. »Zwar schreiben die Sieger die Geschichte, aber Rap ist der Journalismus der Straße«, erklärt er die Wirkmacht des Sprechgesangs, der bereits Ende der 1960er Jahre in den US-amerikanischen Gettos entstanden war.

Die CD mit einem umfangreichen Informationspaket kann gegen die Zahlung der Portokosten und einer Spende bei der Linksjugend in Hamburg bestellt werden. Die Songs stehen auch auf ihrer Homepage unter www.solid-hamburg.org zum kostenlosen Download zur Verfügung.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 11. April 2012

CD-Publikation „Bundeswehr raus aus den Schulen!“

Pressemitteilung, Hamburg, 10. April 2012

Gegen Kriegspropaganda hilft nur Aufklärung durch Kritik. Linksjugend ['solid] Hamburg vertreibt daher unter dem Titel „Bundeswehr raus aus den Schulen!“ ab dem heutigen 10. April 2012 eine Musik-CD für SchülerInnen, Jugendliche und alle, die politische Hip-Hop-Musik mögen und die Kriegspropaganda der Bundesregierung und Bundeswehr an Schulen ablehnen. Die Künstler Chefket, Albino, Holger Burner, Master Al, Boykott, Callya und andere transportieren mit ihrer Musik nicht nur Kritik an der Rekrutierungs- und Werbepraxis der Bundeswehr an Schulen, der Militarisierung der deutschen Gesellschaft und der deutschen Rüstungsindustrie, sondern auch an zahlreichen anderen Missständen unserer Gesellschaft.

Mit einem eigens für die CD produzierten Track zum wachsenden Problem der Bundeswehr an Schulen machen die Künstler darauf aufmerksam, dass es den Jugendoffizieren der Bundeswehr bei ihren Schulbesuchen nicht um politische Bildung geht, sondern um Werbung für die kriegerische Politik der BRD und die Rekrutierung neuer Soldaten. Bei der Release-Aktion am 10. April 2012 mit Live-Musik vor dem gemeinsamen Oberstufenhaus des Helene-Lange- und KAIFU-Gymnasiums in Hamburg fand die CD unter den Schülern großen Zuspruch.

Die komplette CD kann mitsamt einem Info-Paket zur Gegenaufklärung bei Linksjugend ['solid] Hamburg gegen Portokosten und Spenden bestellt werden. Die Songs der CD stehen aber auch im Internet auf der Homepage www.solid-hamburg . org kostenlos zum Download zur Verfügung. Die Lieder können zudem auf unserem neuen youtube-Channel gehört werden: http://bit.ly/Ib4BYU

Die Pressesprecherin der Linksjugend ['solid] Hamburg, Christin Bernhold, erklärt zur Publikation: „Die Bundeswehr rekrutiert widerrechtlich an Schulen. Wir lehnen die Schulbesuche der Bundeswehr ab. Subtile oder offene Kriegspropaganda haben an Schulen nichts zu suchen. Wir hoffen, mit der Publikation unserer CD ein wenig darüber aufklären zu können, warum sie aus den Schulen verschwinden muss.“

Zu den Hintergründen der Werbeoffensive der Bundeswehr an Schulen ergänzt sie: „Die Bundeswehr muss als Berufs- und Freiwilligenarmee ihre Rekruten anders gewinnen als zu Zeiten der Wehrpflicht. Die Bedeutung der Propaganda an der Heimatfront steigt zudem proportional zur Anzahl und Intensität der Kriegseinsätze. Wir wollen aber nicht, dass weitere Menschen für die Kriege der Bundesregierung sterben müssen, die im Interesse der Wirtschaft und der deutschen Großmachtpolitik geführt werden.“

Kontakt: Christin Bernhold
info@linksjugend-solid-hamburg.de



"Politische Inhalte über die Musik vermitteln"

Nicht nur ein Unterhaltungsangebot: Die Linksjugend verteilt Musik-CD gegen Bundeswehr-Werber an Schulen. Ein Gespräch mit Christin Bernhold **

Christin Bernhold ist Sprecherin der Linksjugend [‘solid] Hamburg.


Ihr Bundeskongreß hat vor anderthalb Wochen beschlossen, aus der Kampagne »Bundeswehr raus aus der Schule« einen Arbeitsschwerpunkt zu machen. In einem Papier dazu schreiben Sie, der Erfolg der bisherigen Arbeit sei »begrenzt« – wie muß ich das verstehen?

Wir hatten durchaus Erfolge. Aber gemessen an unserem Etappenziel, die Bundeswehr aus Schulen, Arbeitsämtern, Unis und der Öffentlichkeit zu verbannen, haben wir noch nicht viel erreicht. Wir müssen mehr Menschen vor und in den Schulen überzeugen, daß die Bundeswehr keine politische Bildung vermittelt, sondern Propaganda, und sie leistet Rekrutierungsarbeit. Es muß Proteste geben, wenn Offiziere in die Schulen kommen.

Geht es den Streitkräften mehr um die allgemeine Imagepflege oder eher um Rekrutenwerbung?

Die Bundeswehr macht beides. Sie kann ohne Nachwuchs weder Kriege führen noch ihr Image pflegen. Sie wird aber weniger Rekruten gewinnen, wenn diese von den Kriegen und der Bundeswehr nicht zumindest ansatzweise – und sei es des Soldes wegen! – überzeugt sind. Und auch auf eine gewisse Akzeptanz an der so genannten Heimatfront ist die Armee angewiesen. Daher ist der Kampf gegen die Schulbesuche doppelt sinnvoll.

Wir wollen erstens junge Menschen davor bewahren, aus sozialer Not oder aufgrund von Falschinformationen für Staat und Kapital in andere Länder einzufallen, Zivilisten zu töten und möglicherweise im Sarg zurückzukommen. Zweitens wollen wir der Bundeswehr einen Strich durch die Rechnung machen.

Glauben Sie, daß das Militär trotz Stellenstreichungen noch intensiver in die Öffentlichkeit geht?

Das Bundeswehr-Personal wird zwar verringert, aber das spielt bei der Präsenz nur eine untergeordnete Rolle. Die Streitkräfte wollen ihre durch Standortschließungen abnehmende Vertretung in der Fläche durch neue Kontaktformen kompensieren. Dafür werden vor allem die Reservisten eingespannt, die als Vorhut für Bürgernähe agieren. Aber auch die Rolle der Jugendoffiziere und verschiedener Medien, z.B. von Youtubefilmen, wird durch die Reform eher auf- als abgewertet. So schnallt die Bundeswehr nicht den Gürtel enger, sondern es soll ihre Kriegsfähigkeit gesteigert werden. Damit dies gelingt, benötigt sie jedes Jahr viele neue Soldaten mit den entsprechenden Fähigkeiten für Auslandseinsätze.

Der Hamburger Landesverband von [‘solid] hat am gestrigen Dienstag eine CD herausgebracht, die umsonst an den Schulen verteilt wird. Was ist Sinn dieser Aktion?

Wir wollen politische Inhalte nicht nur über Flugblätter, unsere Internetseite usw. vermitteln, sondern auch über Musik. Zwei der sechs HipHop-Musiker, die wir für die Arbeit an der CD gewinnen konnten, haben extra dafür einen Song gegen die Bundeswehr an Schulen aufgenommen. Die CD enthält den Verweis auf unsere Homepage, auf der man die Tracks herunterladen kann. Man findet dort vor allem Informationen über die Hintergründe der Bundeswehr-Besuche an Schulen. Natürlich auch die Argumente dagegen. Uns ist wichtig, daß sich gerade unter Jugendlichen, für die Kriege, die von deutschem Boden ausgehen, zur politischen Normalität gehören, wieder eine antimilitaristische und antiimperialistische Kultur entwickelt. So wie in den 60er und 70er Jahren, als über Musik beißend-ironische Kritik am Vietnamkrieg verbreitet wurde, oder wie in Brechts Theaterstücken.

In einem der Songs wird dazu aufgefordert, nicht die Schule zu schwänzen, wenn der Jugendoffizier kommt – sondern?

Protest und Widerstand zu entwickeln, darauf kommt es doch an! Es gibt viele Mittel und Wege, auf die Besuche der Bundeswehr zu reagieren. Boykott ist eine Möglichkeit. Man kann aber auch Flyer verteilen, Protestbriefe an die Schulleitung und eine lokale Zeitung schreiben, eine Informationsveranstaltung über die Ursachen der Rekrutierung und die Indoktrination an Schulen ausrichten. Oder man schließt sich dem regionalen Bündnis gegen die Bundeswehr an Schulen an und organisiert eine Kundgebung.

Interview: Frank Brendle

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 11. April 2012


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