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"Schutzengel" für deutsche Einsatztruppe

Bundeswehr indoktriniert Erstkläßler. Lehrerin erklärt Kindern den Sinn des Afghanistan-Einsatzes

Von Christian Stache *

Die Bundeswehr erschließt für ihre Kriegspropaganda und die zivilmilitärische Kooperation stetig neues Terrain. Einem Bericht auf der Internetseite der Luftwaffe vom 13. Juli ist zu entnehmen, daß die Luftwaffenunterstützungsgruppe in Köln-Wahn seit 2011 mit einer Klasse der Gemeinschaftsgrundschule Bernberg in Gummersbach (Nordrhein-Westfalen) in dem Projekt »Schutzengel für Afghanistan« zusammenarbeitet. Dieses geht auf eine Initiative der Lehrerin Mechthild Sülzer zurück, die von einem Radiobeitrag über die deutschen Soldaten am Hindukusch, die zu Weihnachten nicht bei ihren Familien sein können, gerührt war. Umgehend hielt sie ihre Schüler dazu an, »Schutzengel« zu basteln – eben nicht für das kriegsgebeutelte Land und seine Bürger, sondern für »unsere« Soldaten der sogenannten ISAF-Schutztruppe. Die Engel wurden ins Camp Marmal in Masar-i-Scharif geschickt.

Die Resonanz, wird auf luftwaffe.de berichtet, sei »überwältigend« gewesen, und so begann Frau Sülzer, »aktuelle Informationen zum deutschen Einsatz am Hindukusch in den Schulalltag« ihrer neuen ersten Klasse zu integrieren. »Jeden Morgen wird seither bei Unterrichtsbeginn die aktuelle Uhrzeit im Einsatzland und das dortige Wetter verkündet.« Außerdem wird die Einsatztruppe »täglich ins morgendliche Gebet« eingeschlossen.

Im Winter 2011 schickten die Kinder Briefe und Bilder Richtung Schlachtfeld. Einen Tag vor Weihnachten konnten sie dann via »Radio Andernach«, dem hauseigenen Sender der Bundeswehr, ihre Weihnachtsgrüße sogar direkt an die Front übermitteln. Anschließend gab es für die Schüler CDs mit einem Mitschnitt der Sendung als Geschenk. Ein Oberst Richter, der die Klasse zuvor besucht hatte, soll den Kontakt nach Mayen vermittelt haben, wo das Zentrum für Operative Information der Bundeswehr stationiert ist. Dieses betreibt »Radio Andernach« und firmierte früher unter dem treffenden Namen »Zentrum für Psychologische Kriegsführung«.

Im Februar 2012 half der Gummersbacher Bundestagsabgeordnete Karl-Peter Flosbach (CDU), von den Kindern gemalte Bilder an den Staatssekretär des Verteidigungsministeriums Thomas Kossendey (CDU) auszuhändigen, damit dieser die Feldpost direkt weiterleiten konnte.

Schließlich trat die Bundeswehr im Juli an die Lehrerin heran und vereinbarte mit ihr, das Projekt »aktiv« bis 2014 zu fördern. Besuche der Schüler bei Veranstaltungen der Bundeswehr sind laut luftwaffe.de »in der Planungsphase«. Brief- und Paketsendungen der Klasse sollen künftig »durch die Zentrale Post- und Kurierstelle der Luftwaffenkaserne Wahn (…) koordiniert« werden. An einem Gottesdienst mit Militärgeistlichen sollen zwei Klassen der Bernberger Schule bereits im Juni teilgenommen haben.

Mechthild Sülzer war im Gespräch mit junge Welt zunächst sehr auskunftsfreudig. Sie scheint Kontakte zu verschiedenen politischen und militärischen Funktionsträgern zu unterhalten, u.a. zum Bundesverteidigungsministerium und direkt in die Kriegsgebiete. Ihre Aussagen über ihre Kooperation mit der Armee zog sie allerdings kurz vor der Publikation dieses Beitrags mit dem Verweis zurück, jW solle sich an die Pressestelle des Regierungspräsidenten in Köln wenden.

Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Nordrhein-Westfalen, Dorothea Schäfer, zeigte sich auf jW-Nachfrage »schockiert« von dem Projekt. Die Kooperation mit der Bundeswehr sei »bedenklich und instrumentalisiert die Grundschüler«. Markus Gross, ein Sprecher des »Netzwerks Schule ohne Bundeswehr NRW«, äußerte seine Kritik noch deutlicher: Das Projekt sei »ein erschreckendes Beispiel für die ideologische Mobilmachung an der Heimatfront«. »Die Bundeswehr verliert offensichtlich jegliche Skrupel, wenn sie schon an Erstklässler herantritt, um den Soldaten im Krieg Unterstützung vorzutäuschen. Allerdings ist dieser Schritt eigentlich nur die logische Konsequenz ihrer Rekrutierungs-, Indoktrinierungs- und Propagandastrategie, die auf eine Gesellschaft im Krieg ausgerichtet ist.«

* Aus: junge Welt, Montag, 20. August 2012


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