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"Umgarnungsattacken werden sicher noch aggressiver"

Wahlbetrug der Grünen in Rheinland-Pfalz: Rekrutenwerber der Bundeswehr dürfen jetzt doch in die Schulen. Ein Gespräch mit Achim Müller *


Achim Müller ist Mitglied der Kampagne »Schulfrei für die Bundeswehr – Friedensbildung statt Militarisierung« in Rheinland-Pfalz.

Aus »Schulfrei für die Bundeswehr« wird vorerst nichts in Rheinland-Pfalz. Der im Vorjahr abgeschlossene Kooperationsvertrag des Landes mit der deutschen Armee hat auch unter der neuen Landesregierung von SPD und Grünen Bestand. Was folgt daraus für Ihre Kampagne?

Wir machen solange weiter, bis diese Kooperation beendet ist. Unser ursprüngliches Ziel war es, die Parteien vor der Landtagswahl zu einer klaren Position gegen die Vereinbarung zu bewegen. Das ist uns nur zum Teil geglückt. Also müssen wir dranbleiben, auch auf lange Sicht. Deshalb wollen wir die Kampagne als Initiative fortsetzen.

Was sagen Sie dazu, daß ausgerechnet die Grünen der Truppe die Tür zur Schule aufhalten?

Wir sind natürlich enttäuscht, wie leicht sich die Grünen diesen Punkt haben abkaufen lassen. Im Wahlkampf hat sich die Partei noch mit großer Entschiedenheit gegen die Kooperation ausgesprochen. Dasselbe galt auch für den Ausbau des US-Stützpunktes in Ramstein samt Militärkrankenhaus – für beides gab es nun im Koalitionsvertrag grünes Licht. Insofern haben die Grünen ihre friedenspolitischen Ansprüche über Bord geworfen.

Immerhin sollen künftig auch Vertreter von Friedens- und zivilgesellschaftlichen Gruppen gleichberechtigten Zugang zu den Schulen erhalten. Ist das kein Fortschritt?

Das ist nur ein Feigenblatt, mit dem die Präsenz der Bundeswehr legitimiert wird. Nach dem Landesschulgesetz soll zum gewaltfreien Zusammenleben und zur Idee der Völkergemeinschaft erzogen werden. Deshalb haben Friedensgruppen ohnehin Zugang zu den Schulen, es braucht dafür keine Kooperationsvereinbarung. Dazu kommt, daß die Bundeswehr viel größere materielle und personelle Ressourcen hat, um ihre Botschaften breitenwirksam loszuwerden. Außerdem kann sie viel stärker an die technischen Interessen gerade der männlichen Schüler anknüpfen, etwa durch Präsentation von Militärgerät oder Kriegssimulationen. Dem können zivile Initiativen wenig entgegensetzen – von einem gleichberechtigten Zugang kann also keine Rede sein.

Wie weit geht inzwischen die Kontaktpflege zwischen Bundeswehr und Schulen?

Bereits 2009, also noch vor der Kooperation, haben die Wehrdienstberater in Rheinland-Pfalz zwecks Direktrekrutierung rund 9000 Schüler erreicht. Die Jugendoffiziere betreiben dagegen eine eher indirekte Werbung, indem sie im Unterricht oder zu diversen Anlässen ihre sicherheitspolitische Sichtweise zum Beispiel im Planspiel »Pol&iS« verkaufen. Stark im Kommen sind Berufsinformationsmessen, auf denen sich die Armee als vermeintlich normaler Arbeitgeber präsentiert. Dazu tritt sie verstärkt als Ausrichter von Sport- und Musikveranstaltungen in Erscheinung. Neu ist außerdem, daß sie laut Kooperationsvertrag direkt in die Lehrerausbildung eingebunden wird.

Sie sind selbst Lehrer. Was halten die Lehrer- und die Schülerschaft von all dem?

Es ist leider so, daß der Großteil der Kollegen ein wohlwollendes Desinteresse an den Tag legt. Wer kein bekennender Antimilitarist ist, unternimmt in der Regel nichts gegen das Treiben. Es gibt aber auch Fälle, die zuversichtlich stimmen: Die Käthe-Kollwitz-Schule im hessischen Offenbach hat sich unlängst per Schulkonferenzbeschluß gegen eine Bundeswehrpräsenz ausgesprochen. Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), auf Bundes- und Länderebene, wendet sich entschieden gegen den wachsenden Einfluß der Armee an den Schulen.

Was ist mit den Schülern?

Auch bei ihnen herrscht eher Gleichgültigkeit vor, insofern besteht noch kein ausgeprägtes Interesse am Arbeitgeber Bundeswehr. Wir fürchten aber, daß das Potential des Kooperationsvertrags unter anderem aufgrund der prekären Ausbildungsplatzsituation bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist und die Umgarnungsattacken noch aggressiver werden. Erschwert wird Gegenwehr auch dadurch, daß man oft – wenn überhaupt – erst nachträglich von den Aktivitäten erfährt. Wir wollen deshalb ein »Frühwarnsystem« aufbauen. Auf diesem Wege sollen uns militärkritische Schüler und Lehrer rechtzeitig über bevorstehende Termine informieren können. Und dann treten wir unterstützend in Aktion.

Interview: Ralf Wurzbacher

* Aus: junge Welt, 30. Mai 2011


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