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Kein bisschen Frieden

Auf Messe oder in der Schule – Werbung um Rekruten in NRW weckt Widerstand

Marcus Meier *

Bisher ohne Schusswaffeneinsatz ausgetragen wird an Rhein und Ruhr der Konflikt um die Rekrutierung neuer Soldaten. »Kein Werben fürs Sterben«, fordern Friedensaktivisten. Partei- und Oliv-Grüne wehren sich mit robusten Mitteln.

An der Heimatfront, Frontabschnitt Bochum, Fußgängerzone. Alles beginnt friedlich. Drei Männer gehobenen Alters verteilen spinatgrüne Säfte in Pappbechern, schließlich wollen die Grünen-Politiker Ratsherr Helmut Orzschig-Tauchert, Kreisverbands-Geschäftsführer Peter Borgmann und der Bochumer Bundestagsabgeordnete Frithjof Schmidt mit Bürgern ins Gespräch kommen.

Doch da naht der Feind in Gestalt zweier Aktivisten des Bochumer Friedensplenums. Auch sie nutzen diesen Freitag vor der Bundestagswahl, um auf eine ihrer zentralen Forderungen hinzuweisen: Die Antimilitaristen wollen den »Arbeitgeber« Bundeswehr von der Berufsbildungsmesse »Mittleres Ruhrgebiet« verbannt sehen. »Kein Werben fürs Sterben«, so lautet ihr Motto.

Und nicht nur ihres. Immer wieder finden in Nordrhein-Westfalen Aktionen gegen Rekrutierungsmaßnahmen der Bundeswehr statt. Feministinnen blockierten Mitte September in Dortmund den Eingang eines Bundeswehrtrucks, der mit Hüpfburg und Torwand auch die ganz Kleinen für die Truppe zu begeistern suchte. Das brachte dem halben Dutzend Frauen (»Unsere Kinder KRIEGt ihr nicht!«) Ermittlungsverfahren ein – wegen Hausfriedensbruchs.

Das Bündnis »Schule ohne Bundeswehr NRW« will derweil Bundeswehroffiziere aus dem Unterricht verbannen. Zwar gilt unter Rot-Grün im einwohnerstärksten Bundesland die Regel: Wenn die Schule denn einen der bestens geschulten Propaganda-Soldaten einlädt, dann muss ihm ein Friedensbewegter zur Seite gesetzt werden.

»Doch das ist Augenwischerei«, moniert Bündnissprecher Joachim Schramm. Meist komme der Offizier alleine. Denn Schulzeit sei Arbeitszeit, und die Bewegung arbeite, im Gegensatz zur Truppe, ehrenamtlich. Eine neue Kampagne unterstützt nun Schulen, die sich als »bundeswehrfrei« deklarieren wollen.

Seit dem Ende der Wehrpflicht heißen die Kreisämter zur Beschaffung des Wehrersatzes nicht mehr Kreiswehrersatzämter, sondern »Karrierecenter«. Um frisches Kanonenfutter wirbt die Truppe im Internet, in Schulen, in den Jobcentern der Arbeitslosenbürokratie. Auf Europas größter Computerspielmesse, der Kölner Gamescom, fuhr sie Panzer auf in der Hoffnung, hier auf Pubertierende zu treffen, die auch mal mit echten Vernichtungswaffen spielen wollen. Aktivisten verteilten Flugblätter: »Krieg ist blutiger Ernst, hier hören Spiel und Spaß auf!«

In Bochum beschäftigte der Konflikt um Militärs auf der jährlichen Berufsbildungsmesse bereits mehrfach den Stadtrat. Erst wurde die Bundeswehr auf außerparlamentarischen Druck hin offiziell ausgeladen, dann teilweise wieder eingeladen, was zuletzt mit erneutem Ratsbeschluss bestätigt wurde. Auch die Grünen stimmten dafür. Und behaupteten, dass die Bundeswehr »nur« für »zivile Berufe« werben dürfe. Das ist schlicht eine Lüge. Im Messekatalog wird ausdrücklich »die Bereitschaft zu Auslandseinsätzen« als Karrierekriterium benannt.

Zurück zur Szene in Bochums Fußgängerzone. »Kinder für die Bundeswehr. Für Kriege weltweit«, steht auf dem Transparent, mit dem sich die beiden Friedensforum-Aktivisten durchaus provokant vor dem grünen Wahlkampfstand postieren. Darunter ist das Logo der grünen Partei zu erkennen. Weswegen deren Ratsherr Orzschig-Tauchert der bedruckten Stofffahne plötzlich mit einer Schere zu Leibe rückt. Sein Parteifreund Peter Borgmann zerrt an dem Protestmittel. »Ihr habt unser Emblem geklaut!«, brüllt der Grünen-Geschäftsführer. »Das ist Selbstjustiz!«, entgegnen die Friedensaktivisten. Der Kampf um das Transparent droht in offene Gewalt umzuschlagen.

Mühsam kann Frithjof Schmidt seine Parteifreunde zur Räson rufen, hält ihre zur Faust geballten Hände fest. Ein robuster Blauhelmeinsatz. Dann wendet sich der Außenpolitiker den beiden Antimilitaristen zu: »Seht ihr, ich schaffe überall Frieden!«

* Aus: neues deutschland, Samstag, 28. September 2013


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