Social Military Media
Hintergrund. Wie die Bundeswehr versucht, den Diskursraum Internet zu erobern
Von Peer Heinelt *
Bellizisten haben es hierzulande wahrlich nicht leicht: Allen
propagandistischen Bemühungen zum Trotz lehnt der überwiegende Teil der
deutschen Bevölkerung den Krieg in Afghanistan nach wie vor rundheraus
ab. Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr (SoWi) stöhnt
über eine »postheroische Gesellschaft«, die aufgrund der Erfahrungen mit
deutschen Kriegen den ehrenhaften Soldatentod für Volk und Vaterland
nicht mehr zu schätzen wisse. Oberst a. D. Roderich Kiesewetter,
CDU-Wehrexperte und stellvertretender Präsident des
Reservistenverbandes, formuliert etwas schnodderiger:
»Sicherheitspolitik ist kein sexy Thema«.
Für außerordentlich sexy hingegen halten Leute seines Schlages
sogenannte Social-Media-Internetdienste wie Facebook, Twitter, Flickr,
YouTube und Co. Wie die genannten Web-2.0-Plattformen in die Propaganda
der deutschen Streitkräfte eingebunden werden können, war denn auch
Thema eines mehrtägigen Symposiums, das die »Akademie für Information
und Kommunikation« (AIK) der Bundeswehr Ende Juni auf ihrem »Campus
Strausberg« bei Berlin veranstaltete. Von militärpolitischer Propaganda
war bei dieser Gelegenheit selbstverständlich nicht die Rede, sondern
von »bürgernaher Kommunikation im digitalen Zeitalter« - schließlich
spricht man bei der AIK auch nicht mehr von »Psychologischer
Kampfführung« oder »Psychologischer Verteidigung« wie vor 1990.
Zahlreiche zivile Experten auf dem Gebiet der »Neuen Medien« leisteten
dem Ruf der AIK bereitwillig Folge; vertreten waren hochrangige Manager
der IT-Branche, Wissenschaftler der Technischen Universität Ilmenau und
des Berliner Fraunhofer-Instituts für Offene Kommunikationssysteme
(FOKUS) ebenso wie Chefredakteure privater und öffentlich-rechtlicher
Medien. Bereitwillig diskutierten sie mit den anwesenden Repräsentanten
der Bundeswehr und des Verteidigungsministeriums die Entwicklung der
deutschen »Medienlandschaft« und die Frage, welche Bedeutung dem
Internet als »Leitmedium der modernen Informations- und
Wissensgesellschaft« zukomme. Thomas Mickeleit, »Director of
Communications« der Microsoft Deutschland GmbH, informierte über
Möglichkeiten zur Integration von Social-Media-Diensten in jedwede Form
der »Unternehmenskommunikation«, während seine Kollegin Anke Domscheit,
zuständig für die Beziehungen des Konzerns zur Bundesregierung
(»Government Relations«), in die »Zukunft der Behördenkommunikation«
blickte. Andere Diskussionsteilnehmer lieferten dem Militär direkt
Verwertbares: Carsten Grueber und Katrin Roeske von Google Deutschland
offerierten auf den Videokanal YouTube zugeschnittene
»Bewegtbildstrategien« und stellten bereits von ihrem
Suchmaschinen-Unternehmen lancierte »politische Kampagnen« vor.
Rekrutierung online
Auf besonderes Interesse des soldatischen Publikums dürfte auch der
Vortrag von Beate Frees gestoßen sein; Frees leitet den Bereich
»Online-Forschung« des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) und
analysierte das Verhalten von Internetnutzern. Zwar ist ihr Referat auf
der eigens zum Symposium von der AIK eingerichteten Webseite
govermedia.de nicht frei verfügbar, jedoch dürfte sich das Gesagte nicht
sonderlich von den Ergebnissen der alljährlich von den
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten publizierten »Onlinestudie«
unterscheiden. Hier wird unter anderem der Frage nachgegangen, ob das
Internet geeignet ist, das Fernsehen als »zentrales meinungsbildendes
Medium« abzulösen, wobei »internetaffine Gruppen« - gemeint sind
»Jüngere, gut Ausgebildete, Berufstätige, Schüler und Studenten« - im
Fokus der Untersuchung stehen. Insbesondere die 14- bis 29jährigen, wird
erklärt, betrachteten das Internet zunehmend als »Primär-Medium« und
verbrächten einen großen Teil ihrer Zeit mit der Kommunikation in
sogenannten Online-Communities wie Schüler- oder StudiVZ und Facebook.
Auch Videoportale, namentlich YouTube, würden vorrangig von dieser
Altersgruppe in Anspruch genommen und mit eigenen Beiträgen beliefert,
heißt es weiter. Grund genug für die Bundeswehr, die genannten
Social-Media-Dienste nicht nur zu Propagandazwecken, sondern auch für
die Nachwuchsrekrutierung zu nutzen.
Das hierfür notwendige Know-how liefert die IT-Industrie, die auf dem
Strausberger Symposium der AIK prominent vertreten war. Im Rahmen eines
»Markts der Möglichkeiten« präsentierte etwa der Branchenprimus Vodafone
»mobile Datenlösungen im Bereich der Netbooks und Handys«, während das
Berliner Fraunhofer-Institut eine eigens für die Bundeswehr entwickelte
iPhone-Applikation vorstellte. Über besonders gute Beziehungen zu den
deutschen Streitkräften verfügt auch das Berliner Unternehmen Aperto,
das ebenfalls zu den Ausstellern auf dem »Markt der Möglichkeiten«
zählte. Aperto erhielt nach eigenen Angaben bereits anno 2003 vom
Bundesverteidigungsministerium den Auftrag, für ein »einheitliches
Erscheinungsbild« der von den verschiedenen Institutionen des deutschen
Militärs unterhaltenen Webseiten zu sorgen. Zu diesem Zweck befragte das
Unternehmen zunächst die Nutzer der zahlreichen Bundeswehrportale nach
ihren Gestaltungswünschen und Serviceanforderungen; auf der Basis dieser
»Usability-Tests« sei dann ein »einheitlicher Styleguide für alle
Bundeswehrauftritte im Netz« entwickelt worden, heißt es. Wie Aperto
weiter mitteilt, habe man außerdem gemeinsam mit dem IBM-Konzern
zahlreiche Studien für die deutschen Streitkräfte durchgeführt - etwa
über den »Einsatz von Videos im Internet« und die »Weiterentwicklung des
Intranets«. Die seit 2006 von dem Unternehmen angebotenen
»Redaktionsschulungen« für die Mitarbeiter der militärischen
Online-Dienste seien mittlerweile »fester Bestand des
Fortbildungskataloges« der AIK und sorgten für eine »nachhaltige
Weiterentwicklung der Online-Redaktion der Bundeswehr«, erklärt Aperto
stolz. Die Streitkräfte selbst nutzten den »Markt der Möglichkeiten« für
die Uraufführung ihres Videopodcasts zum Thema »Social Media« und
ermöglichten Interessierten das Surfen in dem an die
Internetenzyklopädie Wikipedia angelehnten »Wiki-Service« der
Bundeswehr.
Kritik im »Bendler-Blog«
Der offizielle Auftritt der deutschen Streitkräfte bei &raq
Der offizielle Auftritt der deutschen Streitkräfte bei »twitter«
Mit ihrem Strausberger Symposium reagierte die AIK auf massive Anwürfe
aus den eigenen Reihen. Zu den vehementesten Kritikern zählt Sascha
Stoltenow, der den Propagandisten der Bundeswehr in seinem
»Bendler-Blog« regelmäßig zahlreiche Unzulänglichkeiten vorhält. Der
Mann weiß, wovon er spricht: Im Zivilberuf arbeitet der Reserveoffizier,
der in der auf psychologische Kriegführung spezialisierten Truppe für
Operative Information (OpInfoTr) gedient hat, als PR-Berater und setzt
sich mit Fragen der »Menschenführung« auseinander; seiner Ansicht nach
können deutsche Unternehmen hierüber »mehr bei militärischen
Spezialeinheiten lernen als bei Procter & Gamble«. Stoltenow nun wirft
dem deutschen Militär vor, mit den neuen Internetdiensten zu »fremdeln«:
»Während das US-amerikanische Verteidigungsministerium einen eigenen
Social-Media-Hub einrichtet und Roundtable-Gespräche für Blogger
organisiert, herrscht im Bendlerblock die große
Social-Media-Funkstille.« Dies führe dazu, so Stoltenow weiter, daß
Antimilitaristen die »Deutungshoheit über ein zentrales Feld der
Politikvermittlung im Diskursraum Internet ... übernehmen«; insbesondere
die öffentliche Debatte um die flächendeckende Entsendung von
Jugendoffizieren der Bundeswehr an deutsche Schulen (siehe junge Welt
vom 4./5.7.2009) werde »vor allem von den Gegenstimmen beherrscht«.
Außerordentlich positiv bewertet Stoltenow demgegenüber den
Facebook-Eintrag des von Generalmajor Hans-Werner Fritz geführten
»Regionalkommandos Nord« der westlichen Besatzungstruppen in
Afghanistan. Das Facebook-Profil zeige, daß »unter deutschem Kommando
eine zielgerichtete Nutzung der neuen Medien möglich ist« und hierdurch
erfolgreich »Propaganda« betrieben werden könne, heißt es. Die
Kommentare der Nutzer des Social-Media-Dienstes scheinen Stoltenow Recht
zu geben. So schreibt eine Userin namens Jenny Cockcroft, es sei »an der
Zeit zu zeigen, daß Deutschland hinter seinen Soldaten und Soldatinnen
steht, die tagein, tagaus ihr Leben riskieren, um den Menschen in
Afghanistan zu helfen«. Ein anderer Nutzer namens Helge Lodders
kommentiert die forcierte Aufstandsbekämpfung mittels Spezialeinheiten
und den Einsatz der für ihre verheerende Vernichtungswirkung bekannten
Panzerhaubitze 2000 durch die Bundeswehr wie folgt: »Gut so. So wie die
QRF (Quick Reaction Force - Anm. d. Verf.) Respekt verschafft hat, so
werden es die Haubitzen machen ... Feuer frei!« Haß und
Vernichtungswille sprechen auch aus dem Eintrag eines anderen Mitglieds
der Facebook-Community, das sich Christian Huth nennt. Mit Hilfe der
Panzerhaubitzen könnten »unsere Jungs den frisch eintreffenden Kämpfern
der Taliban ... ein kräftiges 'Willkommen in Afghanistan' servieren«,
heißt es in traditionellem Landserjargon. Stoltenow selbst nutzt den
Facebook-Auftritt des »Regionalkommandos Nord«, um Unterstützer für
seine an den Deutschen Bundestag gerichtete »E-Petition« zu werben.
Darin wird gefordert, »die Bundesregierung zu verpflichten, Parlament
und Öffentlichkeit vierteljährlich sowohl in öffentlicher Sitzung des
Bundestages als auch schriftlich in Form eines Afghanistan-Reports über
die Ziele, Erfolge und Mißerfolge des deutschen Engagements in
Afghanistan zu informieren.« Eine solche »kontinuierliche Information«,
wird zur Begründung ausgeführt, sei ein »wesentliches Instrument, um die
Leistungen der deutschen Staatsbürger im Einsatz (Polizisten,
Wiederaufbauhelfer, Soldaten) anzuerkennen und zu würdigen, insbesondere
da sich die Berichterstattung der Leitmedien vor allem auf negative
Ereignisse fokussiert«.
Frontpresse
Eine ganz ähnliche Auffassung vertritt Stoltenows Kamerad Boris
Barschow. Auch Barschow ist Reserveoffizier und war bereits mehrfach im
Auftrag der »Truppe für Operative Information« in Afghanistan - Anfang
2007 etwa arbeitete er als Chefredakteur der von den Psycho-Kriegern
herausgegebenen Zeitung Sada-e-Azadi (Stimme der Freiheit), die alle
zwei Wochen mit einer Auflage von 400000 erscheint. Hauptberuflich
fungiert Barschow als Chef vom Dienst des öffentlich-rechtlichen
Fernsehkanals »Phoenix«; zuvor hatte er den Posten eines Redakteurs für
»Sicherheitspolitik« beim ZDF-»heute journal« inne. In seiner Freizeit
betätigt sich auch Barschow als »Blogger«; sein »Afghanistan-Blog«, der
den Nutzer direkt zu den ISAF-Einsatzvideos bei YouTube führt, war bis
Mitte 2009 auf den von »Phoenix« eingerichteten Webseiten untergebracht.
Dann ging Barschow erneut in den »Auslandseinsatz« und gab erst einmal
Ruhe - freilich nicht, ohne seiner geschätzten »Community« zuvor
folgendes mitzuteilen: »Da ich ... Teil des Geschehens am Hindukusch sein
werde, verstehen Sie sicherlich, daß ich hier aus journalistischer
Sorgfaltspflicht und einem möglichen Grad der Objektivität (sic!) nicht
berichten möchte.«
Daß Barschow angesichts der in seiner Person zum Ausdruck kommenden
Verquickung journalistischer und militärischer Funktionen überhaupt die
Begriffe »Objektivität« und »Sorgfaltspflicht« in den Mund nimmt,
entbehrt nicht einer gewissen Komik - zumal, wenn man den jüngsten
Mediencoup des »Phoenix«-Redakteurs betrachtet: Nachdem am Karfreitag
dieses Jahres mehrere Bundeswehrsoldaten bei Kämpfen mit afghanischen
Aufständischen zu Tode gekommen waren, agitierten Barschow und Stoltenow
tagelang in ihren Blogs für die Teilnahme an einer Gedenkveranstaltung
zu Ehren der Gefallenen und Verwundeten. Ein gutes Dutzend Menschen fand
sich schließlich vor dem Bundeswehr-Krankenhaus Koblenz ein, um, wie
einer der Anwesenden erklärte, »den Kameraden und Angehörigen (zu)
zeigen, daß ihr Einsatz in der Gesellschaft wahrgenommen wird«. Vor Ort
vertreten war nicht nur die Lokalpresse, sondern auch Barschows
»Phoenix«-Team, das live im Tagesprogramm des Senders über die
Kundgebung berichtete.
Subversion via Internet
Eine andere, ebenfalls mittels seines »Afghanistan-Blogs« lancierte und
beworbene Veranstaltung wird von Barschow bis heute als »Riesenerfolg«
gefeiert: Unter dem Motto »Melmapalena- Afghanistan sagt Danke« fand
Mitte Dezember 2008 in Frankfurt am Main eine deutsch-afghanische
Zusammenkunft statt. Als deren »Schirmherren« firmierten Generalleutnant
a. D. Walter Jertz, während des Überfalls auf Jugoslawien anno 1999
einer der Sprecher der NATO, sowie die Botschafterin Kabuls in
Deutschland, Maliha Zulfacar. Zu den geladenen Gästen zählten neben
hochrangigen deutschen Militärs auch der Frankfurter PR-Berater Moritz
Hunzinger, der dem einstigen SPD-Verteidigungsminister Scharping nach
eigenem Bekunden etliche Argumentationshilfen für die Rechtfertigung
des Jugoslawien-Krieges an die Hand gegeben hatte, und der grüne
Wehrexperte Winfried Nachtwei. Sie dürften wohl gemeint gewesen sein,
als Barschow in seinem »Afghanistan-Blog« bei »Phoenix« schrieb, in
Deutschland lebende Afghanen seien eigens ins Frankfurter Tagungszentrum
»Orient Palace« gekommen, um sich »bei all jenen (zu) bedanken, die ihre
Heimat unterstützen und helfen«. Erklärtes Ziel der
»afghanisch-deutschen Begegnung in der Weihnachtszeit« war es denn auch,
die anwesenden Afghanen auf den Schutz der als »Gäste« bezeichneten
westlichen Besatzungstruppen einzuschwören: »Melmapalena bedeutet
Gastfreundschaft. Sie beginnt mit dem Anbieten von Tee und endet mit dem
Schutz des Gastes unter Einsatz des eigenen Lebens«, war auf dem zum
Download bereitgestellten Veranstaltungsplakat zu lesen.
Während Barschow allerdings analog zu seinem Kameraden Stoltenow nicht
müde wird, den seiner Ansicht nach in der politisch-militärischen
Führung beheimateten »Reichsbedenkenträgern« vorzuwerfen, alle »Versuche
innerhalb der Bundeswehr, sich in Social Media zu präsentieren, ... im
Keim (zu) ersticken«, diskutieren Berliner Think-tanks bereits seit
längerem die Nutzung »sozialer Netzwerke« im Internet zum Zweck der
Subversion gegen mißliebige ausländische Regimes. So wurde schon Mitte
2009 in der von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)
herausgegebenen Zeitschrift Internationale Politik gefordert,
Web-2.0-Foren wie Facebook, MySpace, YouTube oder Twitter für
»professionelle politische Kampagnen« einzusetzen. Insbesondere in den
Ländern der sogenannten Dritten Welt entfalteten die neuartigen
Kommunikationsmedien »eine beeindruckende Wirkung«, hieß es. Als
Beispiele wurden via Facebook organisierte Protestaktionen gegen die
Regierungen des Iran, Simbabwes und Ägyptens genannt, aber auch
Mobilisierungen gegen die marxistische Guerillabewegung FARC in
Kolumbien. Wie die Internationale Politik weiter ausführte, sollten die
erwähnten Internetplattformen als »Werkzeug« für eine »ins Ausland
gerichtete Public Diplomacy« genutzt werden, um aus Menschen, die in den
»Krisenregionen« der Welt leben, »aktive Akteure« im Sinne der deutschen
Außenpolitik zu machen. Die Bevölkerungen fremder Staaten ließen sich
jedoch nicht nur als Aktivisten nutzen, sondern auch als Zuträger
strategisch relevanter Informationen, hieß es: Ebenso wie transnational
agierende Unternehmen könne die deutsche Politik das in den
»Web-2.0-Communities« weltweit akkumulierte »kreative Potential«
gewinnbringend »abschöpfen«.
Während die Zeitschrift einerseits die neuartigen Kommunikationsmedien
als »Instrumente« einer von Berlin erwünschten »Rebellion« gegen
antiwestliche Regimes pries, warnte sie andererseits unter dem
Schlagwort »Cyber Mobilization« vor den Gefahren unerwünschter
Massenmobilisierungen via Internet. »Die 'bösen Jungs' wie Terroristen
und Extremisten jeglicher Couleur gebrauchen doch dieselbe Technologie,
vernetzen sich per Internet oder gründen Haßgruppen auf Facebook«,
erklärte eine Mitarbeiterin der in Brüssel ansässigen »European
Foundation for Democracy« im Interview: »Sie sind oft sogar noch
geschickter im Umgang mit der Technik als die sogenannten 'westlich
orientierten Leute', die ihrem Unbehagen ... per Twitter oder Facebook
Ausdruck geben.« Ihrer Auffassung nach beinhaltet das Internet zwar die
»Möglichkeit einer offenen Auseinandersetzung«, stellt aber gleichzeitig
ein »Instrument der Verführbarkeit« dar.
Strategische Propaganda
Genau diese Argumentation wurde auch von einem anderen Autor der
Internationalen Politik aufgegriffen. Wie der US-amerikanische
Politikwissenschaftler Jakub Grygiel ausführte, erlaube das »Phänomen«
der »Cyber Mobilization« eine »schnelle Entstehung von Gruppen mit
umfassender Reichweite«, die das Potential besäßen, »großen Schaden
anzurichten«. »Der Staat mit seiner ausgeprägten logistischen
Infrastruktur und Managementfähigkeit«, schrieb Grygiel, werde »durch
diese Netzwerkgruppen nicht nur bedroht«, sondern sei »auch nicht in der
Lage, sie zu kontrollieren«. »Gruppierungen mit radikalen politischen
Forderungen«, hieß es weiter, könnten sich per »Cyber Mobilization« mit
Organisationen und Personen vernetzen, die ansonsten »ein Randphänomen
ihrer jeweiligen Gesellschaft geblieben wären«: »Technologie verleiht
einer völlig disparaten Mischung von Gruppen und Personen Macht, die
früher irrelevant waren. Im virtuellen Raum finden auch extremistische
Minderheiten die Möglichkeit, ihren Interessen und politischen Passionen
Ausdruck zu verleihen.« Um die beschriebene Entwicklung zu kontern,
verlangte Grygiel, die »Neuen Medien« gegen die von ihm identifizierten
antiwestlichen »Extremisten« einzusetzen: »Der lockere Zusammenschluß
dieser Gruppen macht sie verwundbar für Subversion durch geschickte
Propaganda oder Unterwanderung.« Eine »Strategie der Kontersubversion«
müsse deshalb beinhalten, so der Politologe, staatliche
»Verteidigungsmethoden« gemäß dem Vorbild der Insurgenten zu
»dezentralisieren« - selbst auf die Gefahr hin, damit das staatliche
»Gewaltmonopol zu unterminieren«.
Daran anschließend forderten zwei andere Autoren der Internationalen
Politik, den »virtuellen Raum« in den Dienst der deutschen Kriegspolitik
zu stellen. Es sei an der Zeit, eine »professionell betriebene
Web-2.0-Plattform« zu entwickeln, um dem außen- und militärpolitischen
Establishment Berlins - der »seit langem beschworenen Strategic
Community« - »eine zentrale Anlaufstelle zu bieten«, ließen die
PR-Berater Johannes Bohnen und Jan-Friedrich Kallmorgen in ihrem Beitrag
wissen. Zudem müsse endlich eine »professionelle Kommunikationskampagne«
mit dem Ziel lanciert werden, den Nutzern von Internetforen die
postulierte Notwendigkeit der »Out-of-Area-Einsätze« deutscher
Streitkräfte zu vermitteln, hieß es.
Mit ihrem eingangs geschilderten Symposium über »bürgernahe
Kommunikation im digitalen Zeitalter« ist die »Akademie für Information
und Kommunikation« der Bundeswehr nun diesen warmen Empfehlungen
nachgekommen. Gleichzeitig dürfte man sich auch hier noch bestens daran
erinnern, wie tückisch das Internet sein kann: Anfang September 2005
hatte der damalige AIK-Kommandeur Oberst Rainer Senger vor ARD- und
Spiegel-Redakteuren gefordert, die »Gesellschaft in Deutschland« darauf
»vorzubereiten«, daß deutsche Soldaten künftig »in größerer Zahl
sterben« und »andere Menschen töten«. Kurz nachdem das
Online-Nachrichtenportal german-foreign-policy.com begonnen hatte,
dieses Statement einem größeren Publikum zur Kenntnis zu bringen,
verschwanden die entsprechenden Seiten des Verteidigungsministeriums aus
dem Netz. Manch ein Militärpropagandist dürfte sich bis heute darüber
freuen, daß in Deutschland seinerzeit noch nicht massenhaft getwittert
und gebloggt wurde.
* Peer Heinelt ist Politologe und lebt als freier Autor in
Frankfurt/Main. An dieser Stelle (in der jW) erschien von ihm am 16. und
17. Februar 2010 ein Beitrag über »Zivil-militärische Zusammenarbeit« an
bundesdeutschen Hochschulen.
Aus: junge Welt, 3. August 2010
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