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Schlecht beraten zur Bundeswehr

Testgespräch am Berufsinformationstag an einer Göttinger Schule

Von Michael Schulze von Glaßer *

Der Krieg in Afghanistan und der Skandal um die »Gorch Fock« machen es den Wehrdienstberatern der Bundeswehr nicht leicht, neue Rekruten zu gewinnen. Unangenehme Themen werden daher gern ausgelassen, wie ein Test in Göttingen zeigte.

Exakt 590 002 »Zielgruppenangehörige«, also Jugendliche und junge Erwachsene, hat die Bundeswehr nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr bei Messen und Ausstellungen mit ihrer Werbung erreicht. Die Jugendlichen sollen beraten worden sein – oder es wurde ihnen wenigstens Informationsmaterial ausgehändigt.

Dabei ist fraglich, ob bei Wehrdienstberatungen über die Risiken des Soldatenberufs ausreichend informiert wird. Zumindest die Recherche des Autors dieser Zeilen zeigt, dass die Werber der Bundeswehr unangenehme Themen gern auslassen.

»Wir bieten Dir alles«

Es ist Samstag, der 5. Februar. Im niedersächsischen Göttingen findet ein Berufsinformationstag in einer Berufsschule statt. Auch das »Zentrum für Nachwuchsgewinnung« der Bundeswehr hat einen Stand. Massen junger Menschen drängen sich, mit Broschüren bepackt, zwischen den Messeständen. Mit großen blauen Stellwänden macht die Bundeswehr auf sich aufmerksam: »Entschieden gut. Gut entschieden: Sichern Sie sich einen von 20 000 Arbeitsplätzen«, steht auf einer der Stellwände, von denen junge Soldaten dem Besucher entgegenlächeln. Auf anderen sind die Berufsmöglichkeiten bei der Armee aufgelistet und Militärgerät abgebildet.

Zunächst muss ich mich anstellen, um an einem der Stehtische über einen Arbeitsplatz bei der Bundeswehr informiert zu werden – erst nach einigen Minuten bin ich an der Reihe. Da ich selbst Jahrgang 1986 bin und mich vorbereitet habe, falle ich unter den Schülern nicht groß auf. Der Göttinger Wehrdienstberater erklärt mir umfassend, wie es ist, heute an einer der beiden Bundeswehr-Universitäten in München oder Hamburg zu studieren: »Die Bundeswehr sagt: Wir bieten dir alles. Du kriegst sogar ein Gehalt von 1500 Euro netto. Du kriegst alles, was du brauchst«, versucht er zu begeistern. Die Bundeswehr verlange lediglich, sich voll auf das Studium zu konzentrieren.

Und die Nachteile?

Dass man sich für mindestens 13 Jahre bei der Bundeswehr verpflichtet, wenn man bei ihr ein Studium eingeht, erwähnt der Berater nur am Rande –, dass militärische Übungen wie Geländemärsche und Schießübungen ebenfalls zum Studium bei der Armee gehören, lässt er ganz aus.

Kurz vor Abschluss des Masterstudiengangs werde man dann von einem Personalbeauftragten der Bundeswehr gefragt, in welchem Bereich der Armee man weiter arbeiten wolle, sagt der Berater. »Dann wird zwischen Ihren Wünschen und dem, was die Bundeswehr braucht, abgewogen.« Fast immer werde aber dem Wunsch des Soldaten entsprochen. Auch der oft beklagte Wechsel des Wohnsitzes sei eigentlich gar nicht so schlimm – wenn Soldaten bei einer Dienstzeit von dreißig Jahren mehr als zwei Mal umziehen müssten, wären das Sonderfälle.

Nach rund zehn Minuten ist das Gespräch fast am Ende, hinter mir hat sich bereits wieder eine Schlange gebildet: »Dann bin ich ja jetzt gut informiert«, sage ich dem Berater. Der nickt und antwortet kurz »Ja«. Und die Nachteile des Soldatenberufs? Ich nehme mir einige Werbebroschüren vom Tisch und frage: »Muss man auch nach Afghanistan, wenn man sich bei der Bundeswehr verpflichtet?« Die Antwort des Wehrdienstberaters fällt ehrlich aus: »Wer sich heute bei der Bundeswehr verpflichtet, der erklärt automatisch seine Bereitschaft, dass – wenn der Dienstherr es verlangt – er in den Auslandseinsatz gehen muss.« Auf die Frage, ob es bei Einsätzen wie in Afghanistan gefährlich sei, geht er allerdings nicht mehr ein. Ich verabschiede mich und mache den Platz für zwei Schüler frei.

Natürlich war die Recherche in Göttingen nur eine Stichprobe. Doch sie zeigt, dass die Wehrdienstberater der Bundeswehr bei kritischer Nachfrage – so sie darauf eingehen – schon ehrlich antworten. Kommt eine Nachfrage – so zum Krieg in Afghanistan – nicht, klären die Berater aber auch nicht über die Nachteile des Soldatenberufs auf. Angesichts der hohen gesundheitlichen Risiken, denen Soldaten ausgesetzt sind, ist dies äußerst kritisch zu bewerten.

Helfende Flugblätter

Und so hat eine Aktion von 15 Antimilitaristen am Samstag beim Bundeswehr-Messestand in Göttingen wohl zu einem wirklich ausgewogenen Bild des Soldatenberufs beigetragen: auf Flugblättern und in Redebeiträgen informierten die Aktivisten die jungen Messebesucher darüber, dass eine Ausbildung oder ein Studium bei der Bundeswehr in erster Linie die Verpflichtung als Soldat und Kriegseinsätze im Ausland bedeuten. Die Militärkritiker verwiesen auf die sehr eingeschränkten Grundrechte beim Militär sowie auf die Gefahr, andere Menschen verletzen und töten zu müssen – oder selbst psychische und körperliche Schäden davonzutragen.

Nach zwanzig Minuten traf die herbeigerufene Polizei ein, beendete die Aktion und nahm die Personalien der Militärkritiker auf.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Februar 2011


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