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Kampf um die Köpfe

Protest gegen Bundeswehrwerbung an Schulen und Universitäten wächst. Doch die Gegenseite schläft nicht. Der Streit um Militarisierung verschärft sich

Von Michael Schulze von Glaßer *

Während manche Gutmenschen mit dem Gefühl moralischer Überlegenheit unsere Bundeswehr diffamieren, riskieren die Soldaten im Einsatz ihr Leben für sie«, empörte sich die FDP-Bundestagsabgeordnete Miriam Gruß im Mai in der Berliner Morgenpost über die Vergabe des Aachener Friedenspreises. Den haben in diesem Jahr drei Schulen in Düsseldorf, Berlin und Offenbach am Main bekommen, die der Bundeswehr ein Werbe- und Hausverbot erteilt haben: »Wir zeichnen damit die Schulen aus, die als erste in den Jahren 2010 und 2011 diesen Beschluß in ihren Schulkonferenzen gefaßt haben. Wir wollen den Mut und die Courage der Schülerinnen und Schüler, der Eltern, Lehrerinnen und Lehrer mit dem Aachener Friedenspreis 2013 würdigen und gleichzeitig ein Signal gegen den Mainstream der Militarisierung in unserer Gesellschaft setzen«, heißt es in der Begründung des Vereins Aachener Friedenspreis. Die Bundeswehr drängt seit Jahren mit Jugendoffizieren und Wehrdienstberatern in die Klassenzimmer, um Nachwuchs zu rekrutieren und die jungen Leute von Militärinterventionen zu überzeugen. In der Rheinischen Post ätzte Kolumnist Klaus Keller gegen den Friedenspreis für die Bundeswehr-freien Schulen – »Kim Jong Un oder Ahmadinedschad werden schwer beeindruckt gewesen sein« – und gab als Tageslosung aus: »… unsere Soldaten verdienen Respekt für ihre Arbeit, selbst dann, wenn wir die politischen Entscheidungen ihrer Befehlshaber manchmal nicht teilen.«

»Falsche Richtung«

Die Bundeswehr-Befürworter arbeiten nicht nur mit den ablehnenden Kommentaren zur Verleihung des Friedenspreises an die militärfreien Schulen, sondern auch auf der politischen Ebene. Der Bundesfachausschuß »Sicherheitspolitik« der CDU bekräftigte im März seine Unterstützung für die Einsätze von Werbern in Uniform: »Vorschläge, Jugendoffizieren den Zugang zu Schulen zu verbieten, gehen in die falsche Richtung«, heißt es in einem Beschluß. Im Dezember hatte sich Verteidigungsminister Thomas de Maizière persönlich eingeschaltet, als es darum ging, eine Kooperationsvereinbarung zwischen der Bundeswehr und dem Kultusministerium von Baden-Württemberg aufzukündigen. Es sei »völlig falsch«, der Armee den Zugang zu Schulen zu verwehren. Zudem könnten ja auch Militärkritiker in die Klassen kommen.

Markus Gross vom »Netzwerk Schule ohne Bundeswehr NRW« warnte gegenüber jW vor dem faulen Ei. »Das hört sich zunächst zwar gut an, wenn man es aber genauer betrachtet, ist die Forderung ein schlechter Witz.« Die Armee habe finanziell und personell viel mehr Möglichkeiten als ihre Kritiker. »Wenn Friedensaktivisten neben die rhetorisch geschulten und gut vorbereiteten Jugendoffiziere an Schulen kommen, hat das immer auch einen legitimierenden Effekt für die Bundeswehr«, so Gross.

Auch an Universitäten verschärft sich der Streit ums Militär. Immer mehr Studierende setzen sich für Zivilklauseln an ihren Hochschulen ein. Mit der Aufnahme einer solchen Regelung in die Grundordnung wird militärische Forschung und Lehre untersagt. An der Universität Kassel soll am heutigen Mittwoch eine Zivilklausel im Senat verabschiedet werden. Aber »viele Hochschulleitungen haben erkannt, daß sie sich gegen solche Klauseln argumentativ nicht durchsetzen können und fahren daher eine neue Taktik«, erklärte Dietrich Schulze von der bundesweiten »Initiative gegen Militärforschung an Hochschulen« gegenüber jW. So gäbe es Versuche, unter dem Namen »Zivilklausel« schwammige Formulierungen ohne die erforderliche reelle Überprüfbarkeit der Drittmittelforschung in die Grundordnungen zu bringen, womit Forschung und Lehre für militärische Zwecke nicht ausgeschlossen würden. So existierten an vielen Universitäten trotz Zivilklauseln keine Gremien, die deren Einhaltung kontrollieren. Wozu dies führen kann, war zuletzt an der Universität Bremen und an der TU Berlin zu besichtigen. Dort gab es trotz bestehender Zivilklausel militärische Forschungsprojekte. Und an der Universität Tübingen tritt Wolfgang Ischinger, Leiter der jährlichen »Münchner Sicherheitskonferenz«, trotz Zivilklausel als Honorarprofessor auf. »Deshalb wird die Forderung nach landesgesetzlichen verbindlichen Zivilklauseln immer lauter«, so Schulze.

Grüner Schwenk

Die Chancen dafür stehen aber schlecht, wie etwa ein Blick nach Baden-Württemberg verdeutlicht. Dort ging es im Mai 2012 im Landtag darum, ob das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) weiter Gelder von Rüstungsfirmen oder dem Verteidigungsministerium annehmen darf. Alle Parteien waren sich einig: Das KIT soll weiter Militärforschung betreiben dürfen – vor allem Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) trat dafür ein. Die heutigen Regierungsparteien Grüne und SPD hatten sich in ihrer Oppositionszeit 2009 noch für eine verpflichtende Zivilklausel am KIT ausgesprochen. Mittlerweile stehen sie stramm auf seiten von CDU und FDP. So müssen Friedensgruppen vor Ort mit Kreativität und Hartnäckigkeit der Militarisierung Einhalt gebieten.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 12. Juni 2013


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