Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Erfolgsbilanz der Shanghai-Gruppe

Von Rainer Rupp *

Für die Gründung des Clubs der »Shanghai Five« Mitte der 90er Jahre, aus dem später die Shanghai Cooperation Organization (SCO) entstand, werden in der Regel drei Gründe genannt. Der erste war nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion der Marsch der NATO nach Osten über den Kaukasus hinaus ins energiereiche Zentralasien. Das war eine klare Provokation sowohl für China wie auch für die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, vorneweg Rußland. Der Prozeß, bei dem die NATO immer näher an die Grenzen der ehemaligen Sowjetrepubliken rückte und bereits Militärbasen in einigen Ländern unterhielt, die unverblümte Diskussion in den westlichen Politzirkeln und Me­dien über den Griff nach den zentralasiatischen Reichtümern, verbunden mit der wachsenden westlichen politischen und kulturellen Subversion der ganzen Region ließ die Gefahr für die gerade unabhängig gewordenen Sowjetrepubliken wachsen, früher oder später ihrer nationalen Souveränität beraubt zu werden.

Der zweite Grund, der die Shanghai-Gruppe ins Leben rief, war der explosionsartige Aufstieg des radikalen Islamismus und Extremismus, verbunden mit gewaltseparatistischen Bewegungen in den post-sowjetischen zentralasiatischen Republiken bis in die benachbarte chinesische Region Xinjiang. Diesem grenzüberschreitenden neue Phänomen, das die Entwicklung in den vergangenen zwei Jahrzehnte maßgeblich mitbestimmte, konnte auf nationalstaatlicher Ebene nicht viel entgegengesetzt werden. Nur in grenzüberschreitender Zusammenarbeit konnte dieser Bedrohung Einhalt geboten werden.

Als dritter Grund wird die Notwendigkeit genannt, Grenzfragen und territoriale Streitigkeiten, die infolge der Auflösung der Sowjetunion auch zwischen Shanghai-Clubmitgliedern entstanden waren, in einer Atmosphäre des gegenseitigen Respekts und Vertrauens kooperativ zu lösen.

Ausschlaggebend für die Weiterentwicklung zur SCO waren der durchschlagende Erfolg in allen drei genannten Aufgabenbereichen und die Notwendigkeit, diesen guten Willen und die gemachten Erfahrungen auf die Zusammenarbeit in wirtschaftlichen und vor allem energiepolitischen Fragen auszuweiten.

Die SCO, die ursprünglich von westlichen Diplomaten als chancenlos belächelt wurde, weder sicherheitspolitisch noch wirtschaftlich etwas auf die Beine zu stellen, ist mittlerweile ein nicht mehr zu vernachlässigendes politisches Gewicht. Die westlichen, insbesondere die US-amerikanischen Ambitionen für den zentralasiatischen Raum sind durch die Shanghai Cooperation Organization gescheitert. Dabei ist die SCO so geschickt wie bestimmt vorgegangen, daß es zu keinem Zeitpunkt zu einer offen Konfrontation mit den USA gekommen ist. Dennoch ist das Ergebnis klar: Zentralasien ist frei von US-Hegemonie. Dabei hatten insbesondere US-Strategen darauf gebaut, die Interessensgegensätze zwischen China und Rußlands über die Verwertung der Öl- und Gasvorkommen in der Region ausnützen zu können. Klugerweise haben statt dessen Moskau und Peking gemeinsam mit den zentralasiatischen Staaten auf der Basis des Respekts der Interessen der Gegenseite durch die gute Zusammenarbeit keine Ansatzpunkte dafür geliefert, daß der Westen destabilisierende Hebel hätte ansetzen können.

Dennoch gibt es auch in der SCO Meinungsverschiedenheiten. Bisher hatte Peking seine höchste Priorität immer in der wirtschaftlichen und energiepolitischen Zusammenarbeit gesehen, während Moskau das Potential der Organisation vorrangig in der Verfolgung sicherheitspolitischer Ziele ausgemacht hat. Aufgrund der zunehmenden Mißachtung des Völkerrechts durch die USA und der in der neuen US-Militärstrategie dargelegten aggressiven Haltung Washingtons gegen China scheint in jüngster Zeit auch Peking das sicherheitspolitische Potential der SCO erkannt zu haben. Die SCO-Erklärung zum Ende des Gipfels in Peking mit einer klaren Warnung vor einer westlichen Militärintervention in Syrien oder Iran ist dafür ein Beispiel. Wenn China und Rußland wie aus einem Mund sprechen, dann horchen selbst die westlichen Imperialisten auf.

* Aus: junge Welt, Montag, 2. Juli 2012


Geopolitische Realitäten

Immer größeres Handelsvolumen, zunehmende Kooperation in Wissenschaft und Technik: Rußland und China schufen mit »Shanghai Cooperation Organization« Gegengewicht zu USA

Von Rainer Rupp **


Von den westlichen Medien weitgehend ignoriert fand am 6. und 7. Juni in Peking das zwölfte Gipfeltreffen der Shanghai Cooperation Organization (SCO) statt, auf der zwei wichtige Neuerungen beschlossen wurden. Erstens wurde Afghanistan der Beobachterstatus in der Organisation eingeräumt. Zweitens bekam die SCO ein institutionalisiertes wirtschaftliches Mandat. Das dürfte auch in Zukunft helfen, die ökonomischen Interessensgegensätze der beiden Schwergewichte unter den Mitgliedern, China und Rußland, im öl- und gasreichen postsowjetischen bzw. zentralasiatischen Raum noch besser auszugleichen und ein Abgleiten in eine antagonistische Konkurrenz zwischen Moskau und Peking zu verhindern.

Tatsächlich hat sich die SCO seit der Gründung ihrer Vorgängerorganisation der »Shanghai Fünf« im Jahr 1996 zu einem Mechanismus gemausert, der sich nicht nur einer breiten Palette gemeinsamer Grenz- und Sicherheitsfragen in der Region annimmt, sondern auch die grenzüberschreitende wirtschaftliche Zusammenarbeit der Region, insbesondere in Energiefragen, zum Nutzen aller Beteiligten fördert. Die SCO setzt sich aus folgenden Mitgliedern zusammen: China, Rußland, Kasachstan, Kirgisien, Usbekistan und Tadschikistan. Beobachterstatus haben inzwischen Indien, Iran, Pakistan, die Mongolei und seit Juni auch Afghanistan bekommen.

Von vielen dieser Staaten mit Beobachterstatus wird die Shanghai-Organisation als Hoffnungsträger und potentielles Gegengewicht gegen die erdrückende Hegemonie der USA und der herrschenden, westlich-neoliberalen Weltordnung gesehen. In einem Kommentar zum SCO-Gipfel in Peking hieß es z.B. in dem pakistanischen Nachrichtenmagazin Express Tribune unter dem Titel »China und Rußland können uns von den USA befreien«: Pakistan sucht »Hilfe im Osten« und setzt seine »Hoffnungen auf Kooperation« mit der SCO, die aus regionalen Mächten besteht.

Als Leuchtturm der Hoffnung kann auch der Artikel zur SCO gesehen werden, den der russische Präsident Wladimir Putin mit Blick auf den Gipfel in der meistgelesenen Zeitung Chinas Renmin Ribao (Volkszeitung) veröffentlicht hat. Bezüglich der Rolle der russisch-chinesischen Beziehungen in der heutigen Welt unterstrich der Kreml-Chef, daß vor dem Hintergrund der großen globalen und regionalen sicherheitspolitischen Herausforderungen China und Rußland »ständig mit Versuchen konfrontiert« seien, »die Prinzipien des Völkerrechts zu unterlaufen«. Dennoch sei er zuversichtlich, so Putin weiter, »daß Vernunft und kollektive Ansätze bei der Bewältigung der heutigen Probleme sich durchsetzen werden«. Die Hauptsache sei, daß alle Politiker und Experten, die bei klarem Verstand sind, sich dessen bewußt sind: Egal ob in der Wirtschaft oder in den internationalen Beziehungen, es sei heute nicht mehr möglich, eine globale Agenda hinter dem Rücken Rußlands und Chinas zu formulieren, ohne daß deren Interessen berücksichtigt werden. »Das sind die geopolitischen Realitäten des 21. Jahrhunderts.«

Putin, der in Peking als Garant enger Beziehungen zwischen Rußland und der Volksrepublik gilt, hob zudem hervor, daß beide Länder neben einem sich rasch ausweitenden Handelsvolumen und zunehmender Kooperation in Wissenschaft und Technik »sehr ähnliche Positionen in Fragen zu den Grundwerten des Völkerrechts und in der bedingungslosen gegenseitigen Achtung der Interessen des anderen haben«. Dies macht es beiden Ländern »leicht, eine gemeinsame Sprache zu finden, gemeinsame Taktiken und Strategien zu entwickeln und einen konstruktiven Beitrag zur internationalen Diskussion über die gravierendsten Probleme zu leisten, mit denen wir heute konfrontiert sind, egal ob es die Lage im Nahen Osten und Nordafrika ist, die Probleme in Syrien, Afghanistan und auf der koreanischen Halbinsel oder das iranische Atomprogramm«.

Die SCO sei mit dem Mandat »der Gewährleistung von Stabilität und Sicherheit in dem riesigen eurasischen Kontinent etabliert« worden, äußerte Putin, und in einer klaren Warnung an die USA und andere NATO-Staaten fügte er hinzu: »Wir denken, daß jeder Versuch anderer Länder, unilaterale Aktionen in der Region zu unternehmen, für die die SCO verantwortlich ist, kontraproduktiv ausginge.«

** Aus: junge Welt, Montag, 2. Juli 2012


Reaktion: Hoffnung auf Alternativen ***

»Wir haben viele Gründe, die Shanghai Cooperation Organization zu unterstützen«, hieß es im pakistanischen Nachrichtenmagazin Express Tribune anläßlich des jüngsten SCO-Gipfels. »Denn trotz aller Kooperation mit dem Westen und dem daraus resultierende Leid für unser Land steht Pakistan weiter unter immensem Druck der USA. Washington setzt vor allem finanzielle Hilfe und militärische Bedrohungen in Form von Drohnenangriffen ein, damit wir nach seiner Pfeife tanzen«, klagt das Blatt, um sogleich hoffnungsvoll die SCO als nichtwestliche Alternative auszuweisen. Die sei zudem von enormem wirtschaftlichen Vorteil für Pakistan und würde eine Annäherung an Indien verheißen.

Diese Hoffnungen gründen hauptsächlich darauf, daß die SCO »den Exportweg von Energie aus den energiereichen Ländern Zentralasiens und aus dem Iran in die energiearmen Staaten wie Pakistan und Indien öffnen kann«. Ein Beispiel dafür sei die seit langem geplante TAPI-Pipeline von Turkmenistan durch Afghanistan nach Pakistan und Indien, so das Blatt.

Auch Afghanistans weitere Entwicklung nach dem Abzug der westlichen Besatzer steht auf der Agenda der SCO. In einem Interview kurz vor dem Shanghai-Gipfel in Peking, an dem zum ersten Mal auch der afghanische Präsident Hamid Karsai teilnahm, hatte sein chinesischer Amtskollege Hu Jintao angekündigt, daß die SCO-Staaten im Einverständnis mit Afghanistan in Zukunft eine größere Rolle im Land spielen werden.

Während Indien beim Gipfel seinen Antrag auf vollwertige Mitgliedschaft stellte und als Beobachter gleichberechtigt mit Pakistan am SCO-Tisch saß, versuchte zur gleichen Zeit US-Verteidigungsminister Leon Panetta, bei seinem Besuch in Neu Delhi Benzin in das alte Schwelfeuer zwischen Indien und Pakistan zu gießen. Indien und die USA müßten »in bezug auf Pakistan enger zusammen arbeiten, wenn es gelingen soll, ganz Südost­asien in eine friedliche und prosperierende Region zu verwandeln«, heuchelte der Pentagonchef und ehemalige CIA-Boß Panetta. (rwr)

*** Aus: junge Welt, Montag, 2. Juli 2012


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