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Bittere Pille oder Rückendeckung für Moskau?

Unterschiedliche Einschätzungen des Gipfels der Shanghai-Organisation - China gibt sich sehr diplomatisch

Am 28. August 2008 beendete die Shanghai Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) ihren Gipfel in Duschanbe, der Hauptstadt Tadschikistans. Dabei wurden mehrere Dokumente verabschiedet, von denen wir die wichtigsten dokumentiert haben (siehe: Deklaration und Kommuniqué der Shanghai Organisation (englisch)).
Gleichwohl besteht Uneinigkeit darüber, wie der Gipfelverlauf und seine Ergebnisse zu interpretieren sind. Die folgenden Artikel aus der Frankfurter Rundschau, dem neuen Deutschland und der jungen Welt sowie der sybillinische Bericht in der Beijing-Rundschau nehmen vor allem Bezug auf die Georgien-Politik Moskaus und fallen demnach sehr unterschiedlich aus.



Bittere Pille für Moskau

Schanghai-Staaten gegen Annexionspolitik

VON KARL GROBE *

Die Schanghai-Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) hat Dmitri Medwedew glatt auflaufen lassen. Der russische Präsident hatte bei den Staatschefs der für Partnerstaaten um Unterstützung im russisch-georgischen Konflikt geworben. Die Konferenz bekräftigte jedoch die Grundsätze der Gewaltlosigkeit und der Unverletzlichkeit internationaler Grenzen. "Die Präsidenten (der SOZ-Staaten; Red.) bekräftigen ihre Verpflichtung zu den Prinzipien des Respekts für historische und kulturelle Traditionen eines jeden Landes und für Anstrengungen, die darauf gerichtet sind, die Einheit eines Staates und seine territoriale Integrität zu erhalten", heißt es in der Erklärung, die die russische Agentur Interfax veröffentlichte.

Ein weiterer Passus der Erklärung versüßt die für Medwedew bittere Pille. Er betont Russlands "aktive Rolle" bei der Konfliktlösung, und zwar mit diplomatischen Mitteln auf der Grundlage des Sechs-Punkte-Abkommens, das Medwedew und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy vor zwei Wochen vereinbart hatten.

Der 2001 gegründeten SOZ gehören Russland, China und vier Ex-Sowjetrepubliken Zentralasiens an. Iran, die Mongolei und Indien haben Beobachterstatus.

Für die fünf asiatischen Vollmitglieder kommen Veränderungen von Staatsgrenzen auf keinen Fall in Betracht. Usbekistan, Kirgisien und Tadschikistan könnten angesichts der verworrenen Grenzziehungen im Fergana-Tal allenfalls Gebietsaustausch und geringfügige Korrekturen zulassen, wollen sie nicht einen größeren Regionalkonflikt riskieren. Kasachstan muss Wünsche nach Anschluss der großen russischen Minderheit an Russland abwehren.

China lehnt Grenzveränderungen mit Blick auf den Status Taiwans ab, das es als abtrünnige Provinz betrachtet. Peking strebt an, die internationale Anerkennung der Inselrepublik so weit wie möglich begrenzen. Zudem bekämpft es separatistische Tendenzen in Tibet und Xinjiang, wo die uigurische Volksgruppe lebt.

* Aus: Frankfurter Rundschau, 29. August 2008


Medwedjew macht Shanghai-Treffen zur Bühne

Russische Position zum Kaukasus-Konflikt erörtert / Haltbarkeit der neuen Allianz in Zentralasien offen

Von Irina Wolkowa, Moskau **


In Siegerlaune trat Dmitri Medwedjew in der tadshikischen Hauptstadt Duschanbe vor die Mikrofone. Dort tagte gestern die Shanghai-Organisation für Zusammenarbeit (SOZ). Ihr gehören neben Russland und China auch Kasachstan und die zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken Kirgistan, Tadshikistan und Usbekistan an. Indien, Pakistan und Iran sind Ständige Beobachter, Afghanistan und die Mongolei Gäste.

Ursprünglich wollte sich der Gipfel nur mit der gemeinsamen Bekämpfung von grenzüberschreitender Kriminalität, darunter Terrorismus und Drogenhandel, sowie einer neuen Afghanistan-Konferenz unter Ägide der Shanghai-Organisation befassen. Der Konflikt um Südossetien warf die Planungen jedoch über den Haufen, die Diskussion drehte sich daher über weite Strecken auch um die Kaukasus-Krise. Dem russischen Präsidenten Medwedjew war das nur recht. Kurz zuvor hatten die sieben führenden Industrienationen, die erstmals seit langer Zeit wieder ohne Russland tagten, das 2001 als Vollmitglied in den elitären Klub aufgenommen worden war, Moskaus Krieg mit Georgien und die Anerkennung von dessen abtrünnigen Autonomien Südossetien und Abchasien in harschen Worten gegeißelt.

Medwedjew selbst war daher brennend interessiert, die russische Sicht der Dinge vor einem hochkarätigen internationalen Publikum zu erläutern. Auch, um zu verifizieren, ob und in wieweit seine Argumentation überzeugt. Denn nach dem EU-Sondergipfel am Montag, bei dem es ebenfalls um die Kaukasus-Krise geht, muss der Kreml-Chef erneut in den Ring. Moskau plant dabei eine Vorwärtsverteidigung und nutzte den Gipfel in Duschanbe praktisch als Generalprobe.

Russland, so Medwedjew, habe sich unter »extremen Bedingungen als berechenbar erwiesen und seine verantwortungsbewusste Politik fortgesetzt«. Ausdrücklich dankte er seinen Amtskollegen aus den Shanghai-Staaten für ihr »Verständnis und für die objektive Bewertung« von Russlands Vorgehen. Das hatte der Gipfel kurz zuvor auch in der Abschlussdeklaration als »Beitrag für Frieden und Zusammenarbeit« im Südkaukasus gewürdigt. Der Passus war offenbar erst nach Medwedjews Gespräch mit Chinas Präsident Hu Jintao eingefügt worden -- Peking gewinnt in der Gruppe zunehmend Einfluss. Gefordert wurde jedoch auch die stärkere Einbindung der UNO bei der Konfliktlösung.

Experten hatten daher noch am Vorabend Zweifel, ob die Shanghai-Gruppe sich in der Kaukasus-Krise hinter Moskau stellt. Denn diese könnte Sezessionsbestrebungen in Tibet und der Muslimprovinz Xinjiang Uigur im Westen Chinas erneut anheizen. Dass Hu dennoch über seinen Schatten sprang, rechnet Moskau ihm hoch an. Fraglich ist dabei nicht nur die Höhe des Preises, den Russland dafür zahlen muss, sondern auch das Verfallsdatum der strategischen Allianz. Mittelfristig macht Antiamerikanismus Russland und China zwar zu Partnern, längerfristig sind beide jedoch Erzkonkurrenten. Es geht um den Zugriff auf die Öl- und Gasfelder Zentralasiens und um Rivalitäten in Fernost. Auch über die Ziele der Shanghai-Organisation gibt es handfeste Differenzen. Moskau schwebt vor allem ein Gegengewicht zur NATO vor, Peking eher eine gigantische Freihandelszone und ein OPEC-ähnliches Energie-Kartell.

Dazu kommen wachsende Rivalitäten der »Kleinen« untereinander. Kasachstan wie Usbekistan beanspruchen den Status einer Führungsmacht in Zentralasien. Sie liegen zudem mit Tadshikistan und Kirgistan über Kreuz, vor allem in den Verteilungskämpfen bei den immer knapper werdenden Wasser-Ressourcen, die die beiden letztgenannten Länder zu 80 Prozent kontrollieren.

** Aus: Neues Deutschland, 29. August 2008


Hu Jintao trifft tadschikischen und russischen Amtskollegen

Im Rahmen seines Staatsbesuchs in Tadschikistan traf der chinesische Staatspräsident Hu Jintao am 27. August mit seinem tadschikischen Amtskollegen Emomali Rakhmon und dem russischen Präsidenten Dimitri Medwedew zusammen.

In ihrem Gespräch einigten sich die beiden Staatsoberhäupter von China und Tadschikistan darauf, die gutnachbarliche Freundschaft umfassend zu fördern, die Zusammenarbeit im Rahmen der Shanghaier Kooperationsorganisation zu verstärken。

Mit Medwedew unterhielt sich Hu Jintao über die bilateralen Beziehungen sowie die regionalen und internationalen Fragen von gemeinsamem Interesse. Dabei sagte Hu Jintao, die strategische chinesisch-russische Partnerschaft sei zurzeit sehr eng. Beide Seiten hätten mehrmals intensiv ihre Meinungen über die Energiefrage, über die chinesisch-russische strategische Sicherheit sowie über die Beratungsthemen und -formen der dritten Beratungsrunde der strategischen Sicherheit ausgetauscht. Ein reibungsloser Verlauf würde das politische Vertrauen zwischen den beiden Ländern vertiefen, die bilaterale strategische Koordination verstärken und die chinesisch-russische Partnerschaft vorantreiben, so Hu Jintao weiter.

Medwedew sagte, Russland betrachte die pragmatische Zusammenarbeit mit China als eine wichtige Orientierung der russischen auswärtigen Kooperation. Die russische Seite hoffe, sobald wie möglich einen neuen Implementierungsleitfaden für die russisch-chinesische nachbarschaftliche und freundschaftliche Kooperation zu unterzeichnen und die Zusammenarbeit mit China in allen Bereichen zu vertiefen.

Medwedew hat zudem Hu Jintao mit der Situation in Südossetien und Abchasien sowie dem russischen Standpunkt dazu vertraut gemacht. Hu Jintao gab der Hoffnung Ausdruck, dass die betroffenen Seiten den Konflikt durch Dialoge und Verhandlungen angemessen lösen könnten.

Beijing Rundschau, 28.08.2008




Moskau erhält Rückendeckung

Zentralasiatisches Bündnis SCO stellt sich geschlossen hinter Reaktion des Kreml

Von Rainer Rupp ***


Bereits vor dem Gipfel der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) in Duschanbe (Tadschikistan) am 28. August war klar: Das brennendste Thema würde der aktuelle Kaukasus-Konflikt sein. Mitglieder des zentralasiatischen Bündnisses sind Rußland, China, Kasachstan, Usbekistan, Kirgisien sowie Tadschikistan. Beobachterstatus haben Indien, Iran, Pakistan und die Mongolei. Im Vorfeld des Gipfels hatte die russische Nachrichtenagentur RIA-Nowosti eine Aufforderung des tadschikischen Politikwissenschaftlers Sayfullo Safarov verbreitet, alle Partner Rußlands sollten Südossetien und Abchasien anerkennen. Doch von Anfang an war klar, daß dieser Wunsch insbesondere in China auf taube Ohren treffen würde. Seit Beginn Kämpfe in und um Georgien war Peking in öffentlichen Erklärungen auf Neutralität bedacht.

Aus chinesischer Perspektive ist die inzwischen von Rußland anerkannte Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens von Georgien nicht akzeptabel. Angesichts eigener Minoritätenprobleme (Taiwan, Xinjiang und Tibet) gilt Separatismus für die chinesische Führung als zu bekämpfendes Übel. Da die anderen SCO-Länder ebenfalls mit Minderheitenproblemen konfrontiert sind, reagierten auch sie entsprechend abwartend. Vom Gipfeltreffen war daher weder eine Anerkennung Südossetiens und Abchasiens noch eine explizit gegen den Westen gerichtete Deklarationen zu erwarten, dafür aber eine Unterstützung des russischen Vorgehens gegen die georgische Aggression.

Im Schlußdokument von Duschanbe fand sich denn auch eine deutliche Verurteilung Georgiens, weil es ausschließlich »auf eine Gewaltstrategie« zur Lösung des Konfliktes gesetzt habe. Zugleich wurde die westliche Strategie zur Ausgrenzung Rußlands kritisiert. Erforderlich sei, jede Konfliktpartei in den Verhandlungsprozeß mit einzubeziehen, anstatt sie zu isolieren. Die Staatschefs der SCO-Länder begrüßten »den in Moskau vereinbarten Sechs-Punkte-Plan zur Konfliktregelung in Südossetien und unterstützen die aktive Rolle Rußlands bei der Friedens- und Kooperationsförderung in dieser Region«. Das heißt, die SCO stellte sich geschlossen hinter Rußlands Reaktion auf die georgische Aggression. Rußlands Präsident Dmitri Medwedew erklärte, »die einheitliche Position der SCO-Länder« müsse »ein Signal für jene sein, die Georgiens Vorgehen rechtfertigen wollen«. US-amerikanische Medien verkehrten das Gipfelergebnis in Gegenteil. So titelte AP: »Asiatische Partner erteilen Rußland eine Abfuhr.«

*** Aus: junge Welt, 29. August 2008


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