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Kampf um Tiefseerohstoffe

"European Maritime Day" in Bremen soll Ausbeutung der Meere optimieren. Dagegen regt sich Widerstand

Von Burkhard Ilschner * "Ein anderes Meer ist möglich!" – unter diesem Motto will ein zivilgesellschaftliches Bündnis in wenigen Wochen für eine ökologische, soziale und humanitäre Meerespolitik werben und sich damit dem offiziellen »European Maritime Day« (EMD), den die Brüsseler Kommission im Mai in Bremen veranstaltet, entgegenstellen. Den jährlichen »Europäischen Tag der Meere« gibt es seit 2008 und somit nun zum siebten Male. Er stellt in gewisser Weise den bisherigen Höhepunkt europäischer Meerespolitik dar, die 30 Jahre zuvor zufällig auch in Bremen begonnen hatte: Ende Oktober 1984 hatten die Umweltminister der Nordsee-Anrainerstaaten in der Hansestadt erstmals über drängende ökologische Probleme der Nordsee beraten.

Damals war die Meeresverschmutzung mit ihren drastischen Folgen ein brisantes öffentliches Thema. Trotzdem wurden die Beschlüsse der ersten »Internationalen Nordseeschutz-Konferenz« (INK) ebenso wie aller weiteren Folgekongresse unter den Vorbehalt »wirtschaftlicher Vertretbarkeit« gestellt: Meeresschutz war und ist ökonomischen Interessen untergeordnet.

Heute sind nicht nur die anthropogenen, also menschenverursachten Folgen der Meeresnutzung – von hormonell wirkenden Chemikalien über anhaltende Nährstoffbelastung bis zu ungeheuren Plastikmüllmengen – andere geworden. Heute hat auch die politische Sichtweise ein anderes Etikett erhalten, das der »Nachhaltigkeit«. Unter den Bedingungen kapitalistischen Wirtschaftens bedeutet das eine Instrumentalisierung des Meeresschutzes: Eine Nutzungsform darf andere nicht stören oder behindern, denn schließlich sollen alle vom Meer profitieren dürfen.

Diese Ideologie zieht sich durch alle neueren meerespolitischen Konzepte der EU und prägte auch die bisherige EMDs. Sie wird heute verschleiernd als »blaues Wachstum« gehandelt: Klingt harmlos, meint aber letztlich nichts anderes als Ressourcenausbeutung. Aktuell rücken etwa die ­Rohstoffe der Tiefsee verstärkt ins Blickfeld von Staaten und Unternehmen – weil die seit langem bekannten Meeresbodenschätze heute auf Grund weiterentwickelter maritimer Technologien abbaubar scheinen und weil steigende Rohstoffpreise für Druck sorgen. Zwar warnen Fachleute vor irreparablen ökologischen Schäden, aber das führt bislang nicht zu Debatten über Verzicht oder Moratorien, sondern lediglich über bessere Technik.

Der EMD Mitte Mai in Bremen steht folgerichtig unter dem amtlichen Motto »Innovation driving Blue Growth«: Erst sollen am Sonntag, den 18. Mai, die Meere, ihre Schätze und Möglichkeiten mit einem großen Volksfest entlang des Weserufers – mit Infoständen, Freßbuden und Vergnügungen – der breiten Bevölkerung nahegebracht werden. Dann treffen sich am 19. und 20. Mai bis zu 1500 »Stakeholder« aus Politik und Wirtschaft zu einem Fachkongreß über maritime Technologien, Ressourcen und Sicherheitsfragen.

Ein Bündnis aus Umwelt- und Naturschutz, Entwicklungs- und Flüchtlingshilfe sowie einzelnen gewerkschaftlichen und kirchlichen Gliederungen hält diese einseitige Ausrichtung europäischer Meerespolitik auf Wachstum und Nutzerinteressen für falsch. Auf Einladung des Projekts »Fair Oceans« des Bremer Vereins für Internationalismus und Kommunikation (IntKom) will dieses Bündnis den EMD nicht nur kritisch begleiten, sondern mittels eines eigenen Kongresses vom 15. bis zum 17. Mai Gegenkonzepte diskutieren, die den Teilnehmern der offiziellen Veranstaltung und vor allem der Öffentlichkeit klarmachen sollen: »Ein anderes Meer ist möglich!«

Kai Kaschinski, Sprecher von »Fair Oceans« und einer der Organisatoren, erläutert: »Wir haben uns mit diesem Motto bewußt am Weltsozialforum – ›Eine andere Welt ist möglich‹ – orientiert. Wir wollen deutlich machen, daß es Alternativen zu einer ökonomisch ausgerichteten Meerespolitik gibt: Schutz der marinen Artenvielfalt, Ernährungssicherung durch Kleinfischerei, faire Arbeitsbedingungen in der Schiffahrt und Schutz der Menschenrechte auf See – das sind unsere Tagesordnungspunkte und zugleich unsere Grenzpfeiler fürs blaue Wachstum.«

* Aus: junge Welt, Freitag, 4. April 2014


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