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Erpresser auf Wirtschaftssafari

EU will mit Handelsabkommen Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten im südlichen Afrika sichern

Von Christian Selz *

Ohne wesentliche Ergebnisse ist am Donnerstag der EU-Südafrika-Gipfel in Pretoria zu Ende gegangen. Die Verhandlungen über das von der EU angestrebte Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) mit den Ländern des südlichen Afrikas wurden vertagt – sehr zum Ärger der Europäer, deren Handelskommissar Karel de Gucht sich schon am Mittwoch mächtig aufgeblasen hatte. Vor einer Reihe eifrig zustimmender europäischer Unternehmer im Rahmen des Südafrika-EU-Geschäftsforums warnte der Belgier, »europäische Investoren« würden »die Entwicklungen in Südafrika sehr wachsam beobachten«.

De Guchts Besorgnis gründete auf der angeblich »unilateralen« Rücknahme von Investitionsschutzabkommen mit Belgien, Luxemburg und Spanien seitens der Südafrikaner. »Kaum Rücksprache« habe es diesbezüglich gegeben, bedauerte der Belgier. Tatsächlich sind die Abkommen, die Südafrikas Industrie- und Handelsminister Rob Davies als »nicht mehr zeitgemäß« bezeichnet, einfach ausgelaufen und nicht erneuert worden. Letzteres sei laut Davies auch gar nicht nötig, weil die südafrikanische Verfassung Investitionen im Land ohnehin schütze. »Ich kann den Investoren versichern, daß die Änderungen auf ein großes, dickes Nichts hinauslaufen«, so Davies.

Mit den USA, deren Unternehmen massiv in Südafrika involviert sind, besteht beispielsweise gar kein Abkommen. De Guchts gespielte Empörung ist so nicht mehr als eine Nebelbombe, die von seinem eigentlichen Auftrag ablenkt: Die EU brauchen das EPA mit den Ländern des südlichen Afrikas, um deren Märkte für europäische Agrarprodukte zu öffnen und sich gleichzeitig den Zugang zu den dortigen Bodenschätzen – vor allem Platin, Gold, Uran und Diamanten – zu sichern.

Europas Wirtschaftsstrategen und ihr politischer Arm in Brüssel sind besorgt, vor allem gegenüber der Gruppe der BRICS-Staaten, der neben Südafrika Brasilien, Rußland, Indien und China angehören, an Einfluß zu verlieren. Südafrika gilt als unangefochtene Regionalmacht in der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) und als Tor zum Wirtschaftsraum. Insbesondere die enge Verbindung zu China führt daher in westlichen Macht- und Konzernzentralen zu hochgezogenen Augenbrauen. Der koloniale Zugriff auf das Land, das mit dem Ende der Apartheid 1994 zwar in politische, aber längst nicht in wirtschaftliche Freiheit entlassen werden sollte, bröckelt. Obwohl die EU mit Südafrika selbst bereits seit dem Jahr 2000 ein EPA hat, soll deshalb – auch mit den Nachbarn Namibia, Botsuana, Lesotho und Swasiland – ein neues Abkommen geschlossen werden, um die Märkte enger an Europa zu binden.

Besonders die kleineren Volkswirtschaften sind dabei erpreßbar. De Gucht weiß das und spielt die Trumpfkarte schamlos aus. Selbstredend sei es, daß »der Abschluß des EPA mit Namibia der Schlüssel für unsere Handelsbeziehungen« sei, ließ er nach einem Treffen mit Namibias Premierminister Hage Geingob am Dienstag in Windhuk wissen. Namibia genieße derzeit freien Zugang zum EU-Markt, stellte der Handelskommissar weiterhin fest, und zahle keine Zölle. Das allerdings, so de Gucht deutlich, »basiert auf einem temporären Dokument, das am 1. Oktober 2014 abläuft«. Unterschreibe Namibia kein EPA, wäre es mit den Vergünstigungen vorbei. Der namibischen Regierung setzt die EU so die Pistole auf die Brust. Das Zwei-Millionen-Einwohner-Land ohne nennenswerte verarbeitende Industrie exportiert vor allem Rindfleisch, Fisch und Tafeltrauben nach Europa und führt im Gegenzug Maschinen, Elektronik, Pharmazeutika und weiterverarbeitete Nahrungsmittel ein. Ein Ende des »präferentiellen Marktzugangs«, so warnt Südafrikas Regierung in einer Mitteilung zum Gipfel mit Blick vor allem auf seine kleineren Nachbarn, hätte »verheerende sozioökonomische Konsequenzen und würde zu signifikanten Arbeitsplatzverlusten führen«.

Die EU-Delegation scheint das allerdings eher als Faustpfand zu nutzen und versucht, bei den Verhandlungen einen Keil zwischen die etwas hartnäckigeren Südafrikaner und deren Nachbarn zu treiben. Im Detail geht es dabei in erster Linie um einen Schutzzoll für Bodenschätze, mit dem Südafrika den Abfluß von Rohstoffen bremsen und den Aufbau seiner weiterverarbeitenden Industrie stärken will. Ein weiterer Streitpunkt sind Nahrungsmittelexporte der EU ins südliche Afrika, die dort den lokalen Märkten schaden könnten. De Gucht hat für derlei Bedenken wenig Verständnis und läßt sich auch von der Tatsache nicht ablenken, daß die Handelsbilanz zwischen Südafrika und der EU nach der Wirtschaftskrise von 2008 ohnehin deutlich zu Gunsten der Europäer gekippt ist. Während die Exporte nach Südafrika inzwischen wieder auf Vorkrisenniveau liegen, haben sich die Importe wesentlich schwächer erholt. Südafrika fehlen so Devisen, Arbeitsplätze – und anscheinend inzwischen auch Verständnis für die Erpresser aus Europa.

* Aus: junge Welt, Samstag, 20. Juli 2013


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