Einladung für Rassisten
Aufmärsche in Freital, Schüsse in Böhlen, Brandanschlag in Bayern: Google Maps entfernt Landkarte, die Standorte von Flüchtlingsheimen in Deutschland zeigte
Von Susan Bonath *
Hetze und Gewalt gegen Flüchtlinge nehmen immer dramatischere Ausmaße an. Am Freitag entfernte der Internetdienstleister Google nach Protesten von Forennutzern eine von Neonazis schon vor Monaten eingepflegte Deutschlandkarte unter dem Titel »Kein Asylantenheim in meiner Nähe«. Darin waren Hunderte Standorte von Flüchtlingsunterkünften mit exakter Adresse und Zusatzinformationen zum Gebäude und der Anzahl der Bewohner markiert. Auch Anschriften von Privatwohnungen und geplanten Heimen sollen abrufbar gewesen sein – eine indirekte Einladung an Gleichgesinnte zu weiteren Aufmärschen und Anschlägen. Die Macher hatten zudem dazu aufgefordert, weitere Daten zu liefern, um »möglichst viele« Unterkünfte »flächendeckend zu erfassen«. Nun erscheint beim Aufruf der Karte der Hinweis, dass der Inhalt gegen die Geschäftsbedingungen von Google verstoße.
Mutmaßlicher Urheber ist die seit 2013 aktive neofaschistische Partei »Der III. Weg«, die im Impressum auf ein Postfach im rheinland-pfälzischen Bad Dürkheim verweist. Auf deren Homepage, wo von »Überfremdung« gefaselt, gegen Ausländer und Linke gehetzt wird, war die Google-Maps-Karte seit mindestens Anfang 2015 verlinkt. Dort findet sich zudem weiteres Material der dahinterstehenden Hasskampagne, beispielsweise ein 23seitiger »Leitfaden«, datiert vom Februar 2015. Darin erklären die Neonazis, wie die Errichtung von Flüchtlingsheimen verhindert werden könne. Detailliert beschreiben sie, wie »Protest« gegen Flüchtlinge zu organisieren sei: Gründung einer »Bürgerinitiative«, Einrichten von Webseiten und Facebookgruppen, Flugblätter erstellen, Unterschriften gegen Flüchtlingsheime sammeln, Aufmärsche anmelden und bewerben, Auftritte bei kommunalen Bürgerinfoveranstaltungen – kurz: alles, um einen rassistischen Mob in der Nachbarschaft mobilisieren zu können. Auf diese Weise gehen neofaschistische Organisationen, darunter auch die NPD und die Partei »Die Rechte«, seit mindestens 2013 gegen Unterkünfte vor. Im sozialen Netzwerk Facebook kursieren bis heute Dutzende Foren angeblicher Bürgerinitiativen, hinter denen meist Funktionäre rechter Parteien oder Netzwerke stecken.
Google sei von Nutzern auf die Karte aufmerksam gemacht worden. Das Unternehmen habe den Fall mehrere Tage lang geprüft. »Wann immer Inhalte illegal sind, entfernen wir sie«, sagte eine Google-Sprecherin gegenüber Spiegel online (Freitag). Dazu gehörten auch Veröffentlichungen, die anderen Schaden zufügen oder Hass befördern könnten.
Die Zahl der Attacken und Anschläge gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte hat sich seit 2013 nach Angaben der Bundesregierung mehr als verdreifacht. Zuletzt hatten Unbekannte in der Nacht zum Donnerstag im bayrischen Reichertshofen bei Ingolstadt Feuer an zwei Eingängen einer geplanten Unterkunft Feuer gelegt. Ein Raum brannte vollständig aus. Die Polizei meldete am Freitag, es seien Hinweise auf Brandbeschleuniger gefunden worden. Auch dieses Gebäude war laut Bayerischem Rundfunk mit dem Hinweis »Asylkaschemme« auf der Karte zu finden.
In Teilen Sachsens eskaliert ebenfalls der Fremdenhass. Während in Freital bei Dresden der rassistische Bürgermob gegen die dortige Unterkunft tobt – dabei auch die Pegida-Spitze um Lutz Bachmann – , beschossen am vergangenen Wochenende Unbekannte in zwei Nächten hintereinander ein Flüchtlingsheim in Böhlen bei Leipzig, in dem rund 160 Asylsuchende leben (jW berichtete). Eine »heiße Spur« habe das ermittelnde »Operative Abwehrzentrum« (OAZ) der Polizei hier noch nicht, informierte sie zuletzt am Donnerstag abend.
Allein in diesem Jahr wurden zudem Brandanschläge auf noch unbewohnte Unterkünfte in Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt verübt. Auch Hetze im Internet nimmt zu, wie der Europarat vergangene Woche beklagte. Facebook und Twitter würden vermehrt als Plattformen für Alltagsrassismus und -antisemitismus missbraucht und zum Aufstacheln der Bevölkerung genutzt. Anlassunabhängige Internetrecherchen führt zumindest die sächsische Polizei nicht durch, wie Martin Strunden, Sprecher des Landesinnenministeriums, im Interview mit dem MDR am Donnerstag sagte.
* Aus: junge Welt, Samstag 18. Juli 2015
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