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Antisemiten neben Israel-Verehrern

Rassistische Pegida-Bewegung und ihre Ableger wollen durch Demotourismus »Volk« simulieren

Von Knut Mellenthin *

In dieser Woche wollten die »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« und ihre örtlichen Ableger an drei verschiedenen Tagen demonstrieren. So sollte Reisewilligen ermöglicht werden, in mehreren Städten an den Aufmärschen teilzunehmen, um auf diese Weise mehr Masse vorzutäuschen als wirklich vorhanden ist. Für den heutigen Montag hat die Dresdner Polizei nun wegen befürchteter Terroranschläge sowohl den Pegida-Aufmarsch als auch geplante Gegendemonstrationen und »alle öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge innerhalb der Ortsgrenzen der sächsischen Landeshauptstadt« untersagt.

Eine erste Umfrage der TU Dresden hatte ohnehin ergeben, dass von den Teilnehmern der dortigen Pegida-Aufmärsche nur etwa ein Drittel aus der Stadt selbst kommt. Die Veranstalter in Leipzig (Legida) hatten ihren für diese Woche auf Mittwoch verlegt, damit die Demotouristen beide Städte ansteuern können. Ebenfalls auf Mittwoch wurde der Aufmarsch in Köln (Kögida) geschoben, so dass er nicht mit der Kundgebung am Montag im nahe gelegenen Düsseldorf (Dügida) konkurriert. Die Entfernung zwischen beiden Städten beträgt nur 40 Straßenkilometer. Wer dann noch nicht genug hat, kann am Samstag ins thüringische Erfurt fahren, wo es unter dem Kürzel Pegada zur Abwechslung mal nicht hauptsächlich gegen den Islam, sondern gegen die »Amerikanisierung des Abendlands« gehen soll.

Mittlerweile wird für fast jeden Geschmack irgendwo etwas geboten. In Dresden hat Pegida-Chef Lutz Bachmann das bisherige 19-Punkte-Programm am vorigen Montag auf sechs Punkte verkürzt. Weggefallen ist unter anderem der »Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur«, der bisher ein Kernstück der Mobilisierung war. Völlig neu im Angebot ist dafür: »Wir fordern ein Ende der Kriegstreiberei gegen Russland.«

Eine schwächere Version dieses Postulats findet man auch im Leipziger Positionspapier mit »Normalisierung des Verhältnisses zur Russischen Föderation«. Und darüber hinaus: »Überprüfung der Sinnhaftigkeit einer NATO-Mitgliedschaft und eines Freihandelsabkommens mit den USA«. Starken NPD-Geruch weisen dagegen die Punkte zwei und drei auf. Sie lauten »Beendigung des Kriegsschuldkultes und der Generationenhaftung« sowie »Abkehr von der Multikultur und Stärkung bzw. Wiedererlangung unserer nationalen Kultur«.

In manchen Städten marschieren glühende Verehrer des Staates Israel und Antisemiten gemeinsam. Zumindest in Berlin, Frankfurt und München sind bereits blauweiße Fahnen mit dem Davidstern aufgetaucht. Der mit mehreren zehntausend Zugriffen pro Tag einflussreichste rechtsextreme Blog PI (»Politically Incorrect«), der fast ausnahmslos zu allen muslimfeindlichen Demonstrationen aufruft, bezeichnet sich im Kopf seiner Website als »Proamerikanisch« und »Proisraelisch«.

Mittlerweile finden in etwa 20 Städten mehr oder weniger regelmäßig Aufmärsche nach dem Vorbild von Pegida statt. Mit Ausnahme Dresdens und vielleicht auch Leipzigs liegt die Organisation fest in den Händen rechtsextremer Kleingruppen. In Nordrhein-Westfalen sind das vor allem rivalisierende Personen und Cliquen aus der sogenannten Pro-Bewegung. Sie hat nach eigenen Angaben rund 60 Vertreter in Kommunalparlamenten, kam aber bei der Bundestagswahl 2013 nur auf 0,3 Prozent. In Berlin, München und Frankfurt dominieren proisraelische Kräfte wie PI und die eng mit dem Blog verbundene Partei »Die Freiheit«, die vom ehemaligen CSU-Pressesprecher Michael Stürzenberger geführt wird. In Mecklenburg-Vorpommern stellen die NPD und noch aggressiver agierende »Kameradschaften« Leitung und Fußvolk für die Aufmärsche.

Eine erste offizielle Spaltung hat es bereits gegeben: Die Dresdner Demonstrationsleitung hat sich von der ehemaligen Funktionärin der NPD-Jugendorganisation JN, Melanie Dittmer, distanziert, die bisher die zentrale Figur bei der Organisierung der Kundgebungen in NRW war, und erkennt nur noch Pegida NRW als Partner an. Die wollen ihre Montagsaufzüge künftig auf Duisburg konzentrieren. Dittmers Kontakte in der rechtsradikalen Szene sind allerdings gut genug, um unter ihrer Führung weiterhin Demonstrationen in Düsseldorf und Köln stattfinden zu lassen.

* Aus: junge Welt, Montag, 19. Januar 2015


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