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Am Jahrestag nazifrei

Gedenken in Dresden: 2000 Teilnehmer bei "Mahngang Täterspuren"

Von Hendrik Lasch, Dresden *

Dresden hat am Donnerstag erstmals seit 17 Jahren wieder ungestört von Nazis an den Jahrestag der Zerstörung von 1945 erinnern können. Allerdings gab es am Vorabend eine Nazi-Demo.

Lothar König ist ausgesprochen gut gelaunt. Der Jenaer Jugendpfarrer steht vor dem Gewerkschaftshaus am Dresdner Schützenplatz und freut sich über einen Erfolg. Die Stadt erinnert an den Jahrestag der Zerstörung am 13. Februar 1945, und sie wird dabei erstmals seit 17 Jahren nicht durch eine Demonstration von Nazis gestört. Diese hätten »faktisch keinen Platz mehr in Dresden«, sagt König und nennt den Grund dafür: Gegendemonstrationen und Blockaden, mit denen die Rechten seit 2009 zunehmend vergrämt wurden. Für 2014 hatten sie nur noch eine Kundgebung angemeldet. Die wurde kurzfristig gänzlich abgesagt.

Nicht nur König, der sich wegen seiner Teilnahme an den Gegenprotesten 2011 noch immer mit einem Verfahren wegen Landfriedensbruchs konfrontiert sieht, reagiert mit Genugtuung. Auch viele andere der rund 2000 Menschen, die am Nachmittag zum »Mahngang Täterspuren« des Bündnisses »Dresden nazifrei!« gekommen waren, nehmen die veränderte Lage wohlwollend zur Kenntnis, die sich auch am Verhältnis zum »Mahngang« ablesen lässt. 2011 wurde dieser von der Stadt noch faktisch verboten. Nun bezeichnet ihn Oberbürgermeisterin Helma Orosz als »würdige« Veranstaltung.

Anliegen des Mahngangs ist es, das Gedenken an die Opfer der Zerstörung um eine wichtige Facette zu ergänzen: um Hinweise auf die Rolle der Stadt im NS-Staat. Dresden sei »nicht die unschuldige Stadt gewesen, als die sie gern hingestellt wird«, erklärte die Mitorganisatorin und LINKE-Stadträtin Margot Gaitzsch zum Auftakt. Der Mahngang führt deshalb zu Orten der NS-Herrschaft wie dem Wettiner Platz, auf dem im Frühjahr 1933 eine Bücherverbrennung stattfand, oder einem Platz, an dem ein Lager für Zwangsarbeiter stand. Zum Auftakt erinnerte »Prinzen«-Sänger Sebastian Krumbiegel an die Besetzung des Dresdner Gewerkschaftshauses durch die SA am 8. März 1933.

Der Mahngang, zu dessen prominenten Teilnehmern diesmal neben dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime Aiman A. Mazyek auch Gewerkschafter und prominente Politiker von LINKE, SPD und Grünen aus Sachsen und Thüringen gehörten, hatte ursprünglich auch als Einstimmung für Proteste gegen die Nazis dienen sollen: Er endete am Hauptbahnhof, wohin die Stadt die für den Platz an der Frauenkirche angemeldete Kundgebung der Rechten verlegt hatte. Zu Protesten waren auch die Teilnehmer der Menschenkette eingeladen worden, zu der die Stadtverwaltung für den frühen Abend aufgerufen hatte. Mit der kurzfristigen Absage der Nazi-Veranstaltung war der geplante Protest in Sicht- und Hörweite aber hinfällig.

Gründe für den Rückzug der Nazis waren freilich nicht nur die Verlegung und die zu erwartende Gegenwehr, sondern auch der Umstand, dass die Szene bereits am Vorabend einen spontanen Aufmarsch in der Innenstadt hatte abhalten können, bei dem 500 Teilnehmer teils mit Fackeln an Schloss und Rathaus vorbeizogen. 1000 Gegendemonstranten hatten zwar lautstark ihrem Unmut Luft gemacht, den Aufzug aber nicht verhindern können. Im Nachhinein wurde gestern Kritik an Behörden und Polizei geübt – und vor voreiligen Jubelmeldungen über ein Zurückdrängen der Nazis gewarnt. »Das ist noch nicht zu Ende«, sagte Nora Goldenbogen, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Dresden. Sie sieht die Spontandemo als Teil einer womöglich geänderten Strategie der Rechten. Dass der 13. Februar selbst ohne Störung durch Rechte begangen werden konnte, sei allerdings »zweifellos ein Qualitätssprung«. In der Stadt, lobte Goldenbogen, gebe es mittlerweile erfolgreiche Gegenwehr der Zivilgesellschaft. Dazu seien »viele Menschen zusammengerückt, die zuvor lange nicht zueinander gefunden haben«.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 14. Februar 2014


Dresden zieht Erfolgsbilanz mit Abstrichen

13. Februar nahezu nazifrei

Von Hendrik Lasch, Dresden **


Einen Tag nach dem Gedenken an die Zerstörung Dresdens hat das Bündnis »Dresden nazifrei« eine vorwiegend positive Bilanz gezogen. Das Ziel, den 13. Februar in diesem Jahr ungestört von Veranstaltungen der rechten Szene begehen zu können, habe man erreicht, sagte Sprecher Silvio Lang: »Dieses Datum haben wir den Nazis genommen.« Nazis hatten seit 1998 regelmäßig versucht, das Gedenken zu vereinnahmen. Ihr »Trauermarsch« entwickelte sich zu einem der größten Events der Szene in Europa. 2010 gab es erstmals erfolgreiche Blockaden. Nun hatten die Nazis ihre Kundgebung kurzfristig abgesagt. Obwohl Blockaden damit überflüssig waren, verzeichnete der »Mahngang Täterspuren« mit 3200 Menschen einen Teilnehmerrekord. Zur von der Stadt ausgerichteten Menschenkette kamen 11 000 Bürger. Dresden habe, sagte Lang, »einen guten Tag erlebt«.

Er räumte freilich ein, dass die Freude über die erfolgreichen Aktionen am 13. Februar durch Ereignisse am Vorabend »eingetrübt« sei. Am 12. Februar hatte es einen Fackelmarsch gegeben, an dem nach Schätzung des Bündnisses 350 Nazis teilnahmen und der an Schloss und Rathaus vorbeiführte. 1000 Gegendemonstranten gelang es nicht, den Marsch zu blockieren: »Das ist nicht so gelaufen, wie wir das erwartet und gewünscht haben«, sagte Lang und räumte ein, das Bündnis habe die Aktion »unterschätzt«. DGB-Landesvize Markus Schlimbach warf der Stadt zudem schlechte Informationspolitik vor und sprach von »bewusster Irreführung«.

Für Kritik sorgte auch der Umstand, dass es einzelnen Nazis gelang, sich in die Menschenkette einzureihen und sogar mit Oberbürgermeisterin Helma Orosz für Fotos zu posieren. Wenn das nicht unterbunden werde, stellt sich laut Lang die Frage, ob die Aktion nicht ihren symbolische Gehalt einbüße. Generell will »Dresden nazifrei« Konsequenzen für 2015 ziehen, wenn der 70. Jahrestag der Zerstörung begangen wird. Bündnis und Bürgerschaft sollten sich stärker auch auf Aktionen der Nazis an den Vortagen vorbereiten: »Es reicht nicht, sich allein auf den 13. Februar zu konzentrieren.«

** Aus: neues deutschland, Samstag, 15. Februar 2014


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