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Anzeige gegen Polizei

"Mögliche Strafvereitelung im Amt" – Grünen-Politiker Beck wirft Ermittlungsbehörden im Fall des getöteten Flüchtlings aus Eritrea "nachlässiges Vorgehen" vor. Lückenlose Aufklärung gefordert

Von Susan Bonath *

Der gewaltsame Tod des 20 Jahre alten Flüchtlings Khaled Idris Bahray in Dresden sorgt für heftige Debatten um die Rolle von Polizei und Staatsanwaltschaft in Sachsens Landeshauptstadt. Hatten sie Informationen bewusst zurückgehalten oder gar nachlässig ermittelt? Obwohl Zeugen die Leiche des jungen Mannes aus Eritrea am Dienstag morgen gegen 7.40 Uhr »blutüberströmt« und »mit sichtbaren Verletzungen« vorgefunden hatten, wollte die Polizei zunächst keine Gewalttat erkennen. Wie die Dresdner Morgenpost am Donnerstag berichtete, hat Volker Beck, innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, jetzt Strafanzeige gegen Polizei und Staatsanwaltschaft gestellt. Es gehe um »mögliche Strafvereitelung im Amt“, erklärte er der Zeitung. »Mir fehlt jedes Verständnis für das nachlässige Vorgehen«, begründete Beck seinen Vorstoß.

Dresdens Polizeichef Dieter Kroll sieht laut Morgenpost der Anzeige gelassen entgegen. »Ich bin überzeugt, dass wir keinen Fehler gemacht haben.« Im nichtöffentlichen Innenausschuss soll Kroll nach Informationen der Zeitung am Donnerstag berichtet haben, dass es unmittelbar vor dem Tod des Asylbewerbers eine Strafanzeige eines städtischen Sozialarbeiters gab. Wegen mehrerer Hakenkreuze an der Wohnungstür des Toten.

Das Agieren der Ermittler wirft Fragen auf: Der Fund der Leiche tauchte am Dienstag nur kurz in einer allgemeinen Pressemeldung der Polizei auf. Es gebe keine Anzeichen auf Fremdeinwirkung, hieß es da beiläufig. Auch auf Nachhaken verschiedener Medien blieb die Direktion Dresden noch am Dienstag abend bei dieser Aussage. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich bereits Mitbewohner und Zeugen an die Öffentlichkeit gewandt und massives Unverständnis bekundet. Am Mittwoch morgen ruderte die Polizeiführung in der sächsischen Landeshauptstadt zunächst verhalten zurück. Man ermittle nun doch in alle Richtungen und schließe ein Tötungsdelikt nicht mehr aus, ließ sie auf Nachfragen von Medienvertretern verlauten. Schließlich räumte sie ein, die Mordkommission sei eingeschaltet, was aber erst einmal nichts zu bedeuten habe und Routine sei. Noch Mittwoch nachmittag verwies ein Polizeisprecher jW auf ausstehende Obduktionsergebnisse, wollte sich nicht weiter äußern. Erst abends wurde es offiziell: Ein Unfall war es auf keinen Fall. Khaled Idris Bahray wurde durch mehrere Messerstiche in den Hals- und Brustbereich getötet. 25 Kriminalbeamte der Mordkommission sollen den Fall nun aufklären.

War es pure Nachlässigkeit bei den Beamten? Zumindest hat es wohl Schwierigkeiten bei der Abstimmung der offiziellen Ansprechpartner untereinander gegeben. So ließ sich Polizeipräsident Kroll von der Dresdner Morgenpost bereits am Mittwoch nachmittag mit den Worten zitieren, es handele sich offensichtlich um ein Tötungsdelikt. Die Pressesprecher der Ermittlungsbehörden konnten oder wollten zu diesem Zeitpunkt aber noch keinerlei Auskunft geben. Die erste Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Dresden erreichte gegen 17.30 Uhr die Öffentlichkeit. Nach den Ergebnissen der am Mittwoch vorgenommenen Obduktion ermittele man nun wegen Totschlags, gab Oberstaatsanwalt Lorenz Haase darin bekannt. Weshalb die Polizei trotz offenkundiger Anzeichen für ein Verbrechen und entsprechender Zeugenhinweise eine Gewalttat ausgeschlossen hatte, erklärte er nicht. Weiter geht aus seiner Mitteilung hervor, dass erst am Mittwoch die Tatortgruppe angerückt war. Fast 30 Stunden nach dem Leichenfund sicherten demnach Kriminaltechniker Spuren in der Wohnung des Getöteten sowie am Fundort der Leiche und der Umgebung. »Eine mögliche Tatwaffe konnte bislang nicht sichergestellt werden«, so Haase. Im Einsatz seien nun auch Spezialhunde, um ein »Bewegungsbild« des Opfers zu erstellen. Der Fundort sei möglicherweise nicht der Tatort. Ferner werde nach Hinweisen auf eine etwaige Auseinandersetzung gesucht. »Von Interesse sind Videoaufnahmen in den öffentlichen Verkehrsmitteln und Hinweisgeber in einem angrenzenden Einkaufsmarkt«, teilte der Oberstaatsanwalt zudem mit. Weitere Ermittlungen konzentrierten sich auf Befragungen der Mitbewohner und Freunde des Opfers. Ihnen zufolge hat Khaled Idris Bahray am Montag gegen 20 Uhr seine Wohnung verlassen, um im nahen Supermarkt einzukaufen. Er kam nicht mehr zurück. Als die Leiche gefunden wurde, hatte Zeugen zufolge die Totenstarre bereits eingesetzt.

Nach Bekanntwerden der Gewalttat demonstrierten am Mittwoch abend mehr als 100 Menschen vor dem Dresdner Albertinum, wo Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) zum Neujahrsempfang eingeladen und mehrere Flüchtlingsinitiativen ausgezeichnet hatte. Etwa 250 Menschen zogen zudem spontan durch die Stadt. In Berlin riefen Flüchtlingsinitiativen für Donnerstag zu einer Mahnwache vor der sächsischen Landesvertretung auf. Sie forderten lückenlose Aufklärung. Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz zeigte sich »entsetzt« über den Vorfall. Man dürfe aber keine voreiligen Schlüsse ziehen. Mitbewohner des Toten hatten zuvor auf ihre Furcht vor den montäglichen Pegida-Demonstrationen in der Stadt verwiesen, zu der zuletzt 25.000 Menschen gekomen waren. Die antiislamischen Märsche heizten die fremdenfeindliche Stimmung in Dresden auf. Sie hätten Angst, an diesem Tag auf die Straße zu gehen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 16. Januar 2015



Dokumentiert:

Strafverfolgung verzögert oder vereitelt


»Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Strafvereitelung im Amt u. a.« – die Dresdner Morgenpost veröffentlichte auf ihrer Internetseite mopo24.de am Donnerstag das Schreiben des Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck an die Staatsanwaltschaft Dresden vom selben Tag:

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit erstatte ich Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Strafvereitelung im Amt gemäß Paragraph 258 a des Strafgesetzbuches sowie aller weiteren in Betracht kommenden Delikte.

Medienberichten habe ich entnommen, dass am Dienstag morgen dieser Woche Khaled ldris Bahray im Innenhof der Siedlung, in der er gewohnt hat, tot aufgefunden wurde. Er starb infolge von Messerstichen. Obwohl die Leiche blutüberströmt gewesen sein soll, haben es die zuständigen Polizeibeamten und ggf. die zuständigen Staatsanwälte offenbar nicht für erforderlich gehalten, den Tatort unverzüglich zu sichern. Vielmehr ist die Spurensicherung erst 30 Stunden nach der Tat – und nachdem die Obduktion ergeben hatte, dass von Fremdverschulden auszugehen ist – am Tatort erschienen.

Diese Umstände begründen den Verdacht einer (versuchten) Strafvereitelung im Amt durch Unterlassen, Paragraphen 258 a Absatz 1,2, 258 Absatz 1, 13 Absatz 1 des Strafgesetzbuches.

Da die Strafverfolgungsbehörden davon abgesehen haben, unverzüglich nach Auffinden der Leiche etwaige Spuren zu sichern, haben sie die Strafverfolgung zumindest verzögert, wenn nicht gar vereitelt. Gerade bei Tötungsdelikten trifft die Strafverfolgungsbehörden die Pflicht, besonders gewissenhaft zu ermitteln. Dies dürfte den Verantwortlichen bei Polizei und Staatsanwaltschaft auch bekannt sein. Damit besteht der Verdacht, dass sie wissentlich gehandelt haben.




Mögliche rassistische Tatmotivation sorgfältig prüfen **


Am frühen Morgen des 13. Januar wurde der 20jährige Khaled Idris Bahray blutüberströmt und tot direkt vor seiner Haustür in Dresden gefunden. Khaled war aus Eritrea nach Deutschland geflüchtet und lebte in einer von der Stadt zugewiesenen Wohnung in Leubnitz-Neuostra. Juliane Nagel, Sprecherin für Flüchtlings- und Migrationspolitik der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, erklärte am Donnerstag:

Den Freunden und Verwandten von Khaled gilt meine tiefste Anteilnahme. Der junge Mann kam nach Deutschland, um hier Zuflucht und Schutz zu finden. Diese Suche endete im Tod.

Ich appelliere an die Polizei, den Tod von Khaled zügig aufzuklären und dabei eine mögliche rassistische Tatmotivation sorgfältig zu prüfen. In vielen anderen Fällen, wie beispielsweise des Mordes an dem erst 19jährigen Kamal 2010 in Leipzig, wurde ein solches Motiv trotz zahlreicher Indizien frühzeitig ausgeschlossen. Erst infolge massiven öffentlichen Drucks und einer akribischen Nebenklage urteilte das Landgericht Leipzig seinerzeit, dass es sich um einen rassistischen Mord handelte.

Der Tod von Khaled ist nicht nur ein Verlust für sein persönliches Umfeld. Er kann auch Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl von Asylsuchenden in Dresden und ganz Sachsen haben.

Die regelmäßigen Pegida-Märsche in Dresden, aber auch zahlreiche ressentimentgeladene lokale Proteste gegen die Unterbringung von Asylsuchenden haben natürlich psychologische Auswirkungen auf die Menschen, die in Sachsen Zuflucht und Asyl suchen. Geflüchtete werden oft Zielscheibe von Hass, aber auch Gewalt (...). Ich erwarte auch von der Sächsischen Staatsregierung klare Worte und Empathie für Schutzsuchende.


Die Antirassistische Initiative Berlin ruft zur Demonstration im Gedenken an Khaled Idris Bahray am kommenden Sonntag, 14 Uhr, ab Hermannplatz in Berlin-Neukölln auf:

(…) Wir gedenken Khaled Idris Bahrays und solidarisieren uns mit seinen Freunden und Mitbewohnern. Wir sind entsetzt, traurig und wütend über diesen Mord! Auch wenn wir nicht wissen, wer ihn umgebracht hat, bereits die unzähligen widerlich rassistischen Kommentare, die die Meldungen zu seinem Tod begleiteten, wären Grund genug, auf die Straße zu gehen, ebenso wie die erneute Verschleierungstaktik der Polizei. Es ist unerträglich, dass die Freunde des Ermordeten laut und deutlich sagen, dass sie einen rassistischen Hintergrund vermuten und Polizei und Medien dies einfach ignorieren. Spätestens seit der Selbstenttarnung des NSU ist deutlich geworden, dass deutsche Behörden Rassismus als Tatmotiv in der Regel ausblenden. Dies zeigte sich bereits vor wenigen Wochen, als – ebenfalls nach einer Pegida-Demo – eine Gruppe Jugendlicher von einem bewaffneten rassistischen Mob durch ein Dresdner Einkaufszentrum gehetzt und zum Teil schwer verletzt wurde. In diesem Fall verweigerte die Polizei sogar die Aufnahme einer Anzeige und behauptete, die betroffene Jugendliche habe sich die Tat nur ausgedacht.

Diese Taten reihen sich ein in eine umfassende rassistische Mobilisierung: In ganz Deutschland entstehen rassistische Zusammenschlüsse. Übergriffe auf Geflüchtetenunterkünfte, Privatwohnungen und antirassistische Initiativen nehmen massiv zu. Täglich werden Menschen aus rassistischen Gründen angepöbelt, bedroht und verletzt. So wurde am 8. Januar in Berlin-Köpenick die neueröffnete Geflüchtetenunterkunft unter dem Ruf »Wir fackeln euch alle ab« mit Flaschen attackiert. Solche Angriffe schaffen massive Bedrohungsszenarien; Betroffene in ganz Deutschland berichten, dass sie sich nicht mehr auf die Straße trauen. Diese realen Sorgen und Ängste um Leib und Leben werden in der deutschen Öffentlichkeit, in Politik und Medien nicht wahrgenommen. Diskutiert werden statt dessen in aller Breite die vermeintlichen »Sorgen und Ängste« der Pegida-Demonstranten, der zahlreichen Bürgerinitiativen gegen Geflüchtetenunterkünfte oder der »besorgten Anwohner«. (…)

** Beide Auszüge dokumentiert in junge Welt, Freitag, 16. Januar 2015


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