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Jüdische Partisanen

Moshe Beirachs Bericht über antifaschistischen Widerstand in Belarus

Von Hans G. Helms *

Moshe Beirach, der Erzähler dieses Berichts vom Widerstandskampf jüdischer Partisanen gegen Wehrmacht, SS und lokale antisemitische Soldateska, stammte aus dem Städtchen Pabianice unweit der polnischen Textilmetropole Lodz. Nach dem Überfall auf Polen zog er mit seiner Familie und Freunden nach Lodz. Dort mußte er Zwangsarbeit leisten und wurde mißhandelt. Ende 1939 floh Beirach mit einigen Freunden in das von der Sowjetunion okkupierte Gebiet. Sie gelangten in die belorussische Provinzstadt Lida, halben Wegs zwischen Grodno und Wilna. In der Synagoge fanden sie Unterkunft und am Bahnhof Arbeit.

Im Januar 1940 siedelte Moshe in den südwestlich von Lida gelegenen Ort Žaludok über, wo er seine Genossin und spätere Frau Pesia Levit kennenlernte. Fünf Tage nach dem Einmarsch der Wehrmacht in die Sowjet­union hatte diese Žaludok besetzt, terrorisierte die Bevölkerung, brannte Häuser nieder, in denen sie Kommunisten oder deren Sympathisanten vermutete. Am 1. November 1941 errichteten die Nazis ein Ghetto, in das sie die Juden aus dem Ort und seiner Umgebung einpferchten, um sie von dort zu deportieren. Moshe und Pesia, die beide - mit einer Identitätskarte versehen - außerhalb arbeiteten, schmuggelten Lebensmittel ins hungernde Ghetto.

Am 9. Mai 1942 drang deutsches Militär und litauische Polizei ins Ghetto ein, beraubte die Juden ihrer letzten Habseligkeiten und trieb sie an einen Sammelpunkt. Dort nahmen zwei SS-Offiziere eine Selektion vor. Wer eine Identitätskarte vorwies, durfte noch weiterleben. Nachdem sie 80 Zwangsarbeiter ausgewählt hatten, wurden die übrigen nahebei ermordet. Moshe gehörte zu den Überlebenden. Pesia hatte sich geschickt versteckt. Ein polnischer Polizist rettete sie und brachte sie zu den Zwangsarbeitern. Damit die Nazis keinen Verdacht schöpften, trug der Bürgermeister sie als Moshes Ehefrau ein.

In die Wälder

Die jüdische Partisanenbewegung begann mit der Flucht der vier Brüder Bielski und Nachbarn aus dem Ghetto von Nowogródek in die Wälder. Die vom ältesten Bruder Tuvia, einem erfahrenen Soldaten, aufgebaute Partisanengruppe wurde von General Platon, dem Chef der belorussischen Partisanen, anerkannt und unterstand seinem Kommando. Während die russischen Partisanen wie auch die andere jüdische Partisaneneinheit »Iskra« primär das Ziel hatten, gegen die Nazis zu kämpfen und insbesondere die Nachschubwege der Wehrmacht zu blockieren, hatten sich die Bielski-Brüder zusätzlich die Aufgabe gestellt, möglichst viele Juden aus den Ghettos zu befreien und am Leben zu erhalten. Als die Rote Armee Ende Juni 1944 den Nordwesten Belorußlands erreichte, bestand die Bielski-Gruppe aus 1300 jüdischen Kindern, Erwachsenen und älteren Menschen.

Nach gefahrvollen Umwegen durch andere Ghettos wurden Moshe und Pesia nach Lida beordert: Moshe als Bauarbeiter und Dolmetsch zur Organisation Todt auf dem Bahngelände, Pesia als Küchenhilfe in die deutsche Rote-Kreuz-Küche am Bahnhof. Im Winter 1942/43 flohen erste kleine Gruppen aus Lida zu den Bielskis. Viele von ihnen wurden von kollaborierenden Dörflern verraten und von Deutschen eingefangen, gefoltert und erschossen. Im Mai 1943 entschlossen sich auch Moshe und Pesia zur Flucht, zusammen mit etwa 70 anderen, unter ihnen auch Ältere und Waisenkinder. Nach langem Marsch und Überquerung des Njemen (Memel) trafen sie im Wald auf berittene Vorposten der Bielskis.

Obwohl die Bielski-Gruppe zu dieser Zeit bereits 600/700 Menschen umfaßte und - von den Nazis und deren Kollaborateuren verfolgt - zwischen Grodno und Wilna Hunderte Kilometer durch Wälder und Sümpfe zurücklegte, baute sie, wo immer sie einen vorübergehenden Standort fand, ein Wohndorf mit Krankenhaus, Apotheke, Lagerräumen und Werkstätten, die natürlich auch russischen Partisanen offenstanden. Dennoch gab es Hader mit russischen Gruppen. Konkurrenten verleumdeten Tuvia Bielski. Infolgedessen zog die Partisanen-Führung von Bielskis Kämpfern 150 Mann ab. Tuvia Bielski gelang es, daß sein Bruder Zusia zum Kommandeur dieser Einheit ernannt wurde, die unter dem Namen »Ordschonikidse« dank ihrer wagemutigen Einsätze berühmt wurde.

Die »Bricha«

Nachdem die Rote Armee Belarus befreit hatte, drohte immer noch Gefahr durch antisemitische Angehörige der polnischen »Heimatarmee«. Moshe und Pesia kämpften sich nach Žaludok durch und arbeiteten dort für die sowjetische Fleischbehörde und Moshe auch bei der Feuerwehr. Ihre Wohnung wurde zum Treffpunkt für jüdische Soldaten und Offiziere der Roten Armee. Manche von ihnen waren auf dem von polnischen Nazikollaborateuren wiederhergestellten Flugfeld bei Žaludok stationiert.

Aus den Gesprächen mit ihren sowjetischen Freunden hatten Moshe und Pesia gelernt, daß sie als Juden in der Sowjetunion nicht die ersehnten Freiheiten genießen würden. Das bewog sie, mit echten und falschen Papieren im Mai 1945 nach Lodz zurückzukehren. Weil die Stadt kaum zerstört war, sammelten sich hier ein paar Tausend überlebende Juden. Die meisten von ihnen wollten nach Erez Israel auswandern.

Erneut organisierten sie sich als Partisanen mit Kontakten in Polen und an den diversen Grenzübergängen: in die Slowakei, nach Ungarn und in die britische Zone Südösterreichs. Mitte Juli 1945 begann die »Bricha«, die Flucht, in kleinen Gruppen von einem Kontaktmann zum nächsten, zuerst als griechische KZ-Häftlinge verkleidet, dann als Österreicher in Krachledernen. Die ärgsten Probleme hatten sie mit dem britischen Militär: es sollte eine jüdische Masseneinwanderung nach Palästina verhindern. Die italienische Grenze zu passieren, gelang ihnen erst mit Hilfe von Soldaten der »Jewish Brigade«, einer jüdischen Einheit der britischen Armee.

Ab Padua empfingen sie Unterstützung vom »Jewish Committee« und Mitgliedern der jüdischen Brigade »Erez Israel«, ebenfalls Teil der britischen Armee. Weil Moshe und Pesia befürchteten, sie könnten in Palästina als nicht verheiratet gelten, da sie lediglich eine Ehestandserklärung eines sowjetischen Bürgermeisters besaßen, baten sie den Mailänder Rabbi, sie unter einem »Tallit«, dem Dach der Ehe, erneut zu verheiraten.

Kraft eines bereits vor dem Krieg ausgestellten Einwanderungszertifikats, das ihnen ein Freund verschaffte, konnten sie guten Muts ihre »Alija« fortsetzen und legal nach Palästina einwandern. Am 8. November 1945 betraten sie in Haifa den Boden von Erez Israel.

»Wie bei einer Militärparade ...« - aus Moshe Beirachs Bericht

Wir Neuankömmlinge wurden alle an einer Stelle versammelt. Zu den Prinzipien der Bielskis gehörte es, im alltäglichen Ablauf soviel an Routine wie möglich einzuhalten, die Menschen, die unter ihrem Kommando standen, zu ermutigen und jedem zu zeigen, daß sie als Kommandanten die Situation unter Kontrolle hätten und sich um alles kümmerten. Dazu dienten unter anderem auch die täglich wiederholten Zeremonien, bei denen sich alle nach festgelegten Regeln zum Appell einzufinden und aufzustellen hatten. Als wir ankamen, wurden die Kämpfer zum Appell gerufen, und sie stellten sich in Formation auf. Wir sollten sehen, daß wir uns jetzt in einer militärischen Welt befänden und deren Regeln zu befolgen hätten. Es ertönte also ein lang gezogener Pfeifton, und daraufhin erschienen von allen Seiten her Bewaffnete, ein Zug nach dem anderen mit dem jeweiligen Zugführer, zum Appell. Die Befehle wurden auf Russisch gegeben. Beim Kommando »Achtung!« traten die Befehlshaber vor die Züge. Sie wurden angeführt von einem großen, gut aussehenden Mann in Ledermantel und hochglanzpolierten Stiefeln. Er schritt die Front ab, wie bei einer Militärparade. Über seiner Schulter hing ein automatisches Gewehr. Dieser Mann war, wie wir hörten, der sagenumwobene Tuvia Bielski. Für uns Ghettoflüchtlinge war es ein bewegender Anblick. Diese kämpfenden Partisanen versuchten also nicht nur, Juden zu retten, sondern auch, eine jüdische Kampfeinheit aufzubauen. Woher, fragte ich mich damals und frage ich mich heute noch, woher nahmen sie die Kraft und den Mut dazu?

Moshe Beirach: Aus dem Ghetto in die Wälder - Bericht eines jüdischen Partisanen 1939-1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main 2009, 231 Seiten, 9,95 Euro * Aus dem Englischen übersetzt und mit einem Vorwort von Hans Dieter Schell. Kommentiert und mit einer Einleitung versehen von Angelika Benz.

* Aus: junge Welt, 23. Mai 2009


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