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Mord mit rassistischem Hintergrund

Die Ägypterin Marwa Sherbini wurde in Dresden im Gerichtssaal niedergestochen. Gespräch mit Sabine Schiffer / Karin Leukefeld über die Reaktionen in Ägypten / Kommentar aus der taz


"Stereotype zum Islam und zu Muslimen werden verfestigt"

Nach dem Mord im Dresdener Gericht: Medien und Politik tun sich schwer, Ursachen zu benennen. Ein Gespräch mit Sabine Schiffer

Dr. Sabine Schiffer ist Leiterin des Instituts für Medienverantwortung, www.medienverantwortung.de

Ein 28jähriger aus Rußland stammender Deutscher hat Anfang Juli im Dresdner Landgericht 18 mal auf eine 32jährige eingestochen und diese tödlich verletzt. Bereits im vergangenen Jahr hatte der Täter sein Opfer, eine Ägypterin, als »Islamistin« und »Terroristin« beschimpft. Ist der Mord ein Ergebnis der von Staat und Medien betriebenen islamophoben Stimmungsmache?

Ja, dafür gibt es ausreichend Indizien. Wir sollten uns aber davor hüten, die Einstellungen, die die Tat begünstigten, einer Randgruppe zuzuordnen. Islamfeindlichkeit ist als Ressentiment in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Genügend Untersuchungen belegen dies, und die zugespitzten islamophoben Weblogs sind nur ein Ausdruck dessen, was wir seit über 15 Jahren als Gehirnwäsche in den Mainstream-Medien erleben: die ständige Verknüpfung von Gewalttaten mit Symbolen des Islams. Das ist fahrlässig. Und daß von der Justiz die Gefahr islamophoben Hasses unterschätzt wurde, zeigt die Bagatellisierung des Verfahrens: Die Verhandlung fand in einem kleinen, engen Raum ohne die üblichen Sicherheitsvorkehrungen statt.

Vielfach wurde die Herkunft des Täters betont.

Das ist ein üblicher Mechanismus, den wir häufig beobachten. Minderheitenfeindliche Straftaten werden so gerne an den Rand der Gesellschaft verschoben. Wenn man Täter als »Ossis«, »Ausländer«, »Rechtsradikale« oder sonstwie klassifizieren kann, nehme ich ihnen das, was deutlich macht, daß sie ein Ausdruck der ganzen Gesellschaft sind.

Der Mord wurde in den Medien als »ausländerfeindlich« und »rassistisch« motiviert klassifiziert. Eine zutreffende Beschreibung?

»Ausländerfeindlich« ist natürlich Quatsch, weil der Täter »gefühlt« auch in diese Kategorie gehört. »Rassistisch« als Oberbegriff würde schon stimmen. Damit wird aber das Problem islamfeindlicher Einstellungen umgangen.

Politiker aller Parteien haben den Angehörigen ihr Mitgefühl ausgesprochen und die Tat verurteilt. Es hat aber eine Woche gedauert, bis sich die Bundesregierung am Mittwoch äußerte und den Mord als rassistisch einstufte. Wie glaubwürdig sind die Bekundungen?

Ich denke, das Schockiertsein und die Betroffenheit sind echt. Aber man versperrt sich vor der wichtigen Aufgabe, ernst zu nehmen, wofür Islamfeindlichkeit den Boden bereitet. Es ist bezeichnend, daß es solange für eine offizielle Stellungnahme brauchte. Ich überlege seit Tagen, ob man die Zusammenhänge wirklich nicht versteht, nicht verstehen will, oder ob man sie - wenn es auch langsam dämmert - einfach nicht zugeben kann, weil man damit Versäumnisse einräumen muß.

Welche Auswirkungen hat der gegen den Islam gerichtete Kampagnenjournalismus der sogenannten Leitmedien für die hier lebenden Muslime?

Die Medien - die es in dieser Verallgemeinerung genausowenig gibt wie den Islam oder die Deutschen - drücken im wesentlichen das aus, was staatskonform ist, wie es Walter van Rossum in seinem Buch »Die Tagesshow« eindrücklich beschreibt. Dabei haben sich die renommierten Medien wie auch die großen Blätter als besonders gefährlich erwiesen, weil sie einen Vertrauensvorschuß genießen. Man glaubt ihnen leichter, obwohl die Qualität bei etlichen Themen zu wünschen übrig läßt. Mahnende Medien werden gerne als kurioses Randphänomen abgetan und deren oft gute Recherchen entwertet.

Und was das Islambild anbelangt, brauchen wir keinen Kampagnenjournalismus. Sogar in einer ansatzweise wohlmeinenden Berichterstattung, die ich seit einiger Zeit beobachte, werden bestimmte Stereotype zum Islam und zu Muslimen noch mal verfestigt: Die Affinität zu Gewalt, eine gewisse Rückständigkeit und Frauenunterdrückung scheinen als Wissenssätze über den Islam zementiert - die ja auch aktuell der Umgang mit dem Mord und die Kommentare deutlich zeigen. Dabei sagen diese Produkte selektiver Wahrnehmung vor allem etwas über diejenigen aus, die sie benutzen. Es sind im Grunde selbst­idealisierende Projektionen - wie einst und immer noch in bezug auf die Juden.

Interview: Markus Bernhardt

* Aus: junge Welt, 9. Juli 2009


"Westen respektiert uns nicht"

Ägypten verurteilt Deutschlands Reaktion auf Mord an Marwa Sherbini

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Der Mord an der Ägypterin Marwa Sherbini (31) in Dresden am 1. Juli hat in Ägypten und in den arabischen Medien zu scharfen Reaktionen gegen Deutschland geführt.

Berichte und Kommentare in arabischen Medien zeigen, wie entsetzt und zornig man in arabischen Ländern über den Mord an Marwa Sherbini ist, der offenbar in deutschen Medien kaum Schlagzeilen machte. Das sei ein Zeichen für Rassismus und anti-muslimische Vorurteile. Man frage sich, wie so etwas in einem Gerichtssaal überhaupt geschehen konnte, hieß es in ägyptischen Zeitungen.

Die schwangere Ägypterin und Mutter eines dreijährigen Sohnes war mitten in einem Prozess am Dresdner Landgericht von dem Angeklagten angegriffen und mit mindestens 18 Messerstichen getötet worden. Der Ehemann (32) der Frau wurde sowohl von dem Mörder als auch durch die Schusswaffe eines anwesenden Polizisten schwer verletzt. Die Tat geschah vor den Augen ihres Sohnes. Gegen den Täter, einen aus Russland stammenden Deutschen (28), wurde wegen Mordes Haftbefehl erlassen. Die Staatsanwaltschaft Dresden hatte ihn als »fanatischen Ausländerfeind« bezeichnet. Angeklagt hatte Sherbini ihren Nachbarn, da er sie mehrfach als »Terroristin« beschimpft hatte.

Am vergangenen Montag (6. Juli) wurde das Opfer unter großer öffentlicher Teilnahme in Alexandria beerdigt. Sherbini wurde auf Plakaten und Transparenten sowie in Sprechchören als »Märtyrerin für den Hijab« – die religiöse Kopfbedeckung muslimischer Frauen – bezeichnet, als ihr Leichnam zu Grabe getragen wurde. »Es gibt keinen Gott außer Gott und die Deutschen sind die Feinde Gottes«, war ein Slogan, der während des Trauermarsches gerufen wurde. Vertreter der deutschen Botschaft in Kairo nahmen ebenfalls an der Beerdigung teil.

Seit US-Präsident George W. Bush nach den Anschlägen von 2001 mit den Kriegen in Afghanistan und Irak einen »Kreuzzug gegen islamistischen Terror« gestartet hatte, bekennen sich in der islamischen Welt immer mehr Frauen mit dem Tragen des Hijab zu ihrer Religion, um ein Zeichen gegen westliche Vorurteile und für ihre Identität als Muslima zu setzen. Gleichzeitig hat die westliche Haltung dem radikalen Islam viel Zulauf verschafft.

Der Bruder von Marwa Sherbini, Tarik Sherbini, sagte, man werde den Mord sühnen: »Im Westen respektiert man uns nicht, das ist rassistisch.« In Telefonaten habe sie immer wieder erzählt, wie sie von ihrem Nachbarn als »Terroristin« beschimpft worden sei, einmal habe er sogar versucht, ihr das Kopftuch zu entreißen. Die Mutter der Ermordeten, Laila Shams, beschrieb gegenüber der Zeitung »Al Wafd«, wie schwierig es für ihre Tochter gewesen sei, in Deutschland Arbeit zu finden: »Ein Arbeitgeber schlug ihr vor, das Kopftuch abzunehmen, dann würde sie auch eine Stelle finden.«

Zeitungskommentare bezeichneten den Angriff als Beispiel, wie sehr der Westen mit zweierlei Maß messe. Der Fall habe in Deutschland wenig Aufmerksamkeit bei Politikern und Medien gefunden, was völlig anders gewesen wäre, wenn ein Muslim eine westliche Person ermordet hätte. So habe man sich nach dem Mord am niederländischen Regisseur Theo van Gogh im Jahr 2004 in Holland und Europa von Grund auf erschüttert gezeigt. Wäre das Opfer eine Jüdin gewesen, hätte es einen Aufschrei gegeben, so der Chefredakteur der ägyptischen Tageszeitung »Al Shorouk«, Abdelazim Hamad.

Der oberste ägyptische Geistliche, Großimam Scheich Mohammed Sayyed Tantawi, verlangte eine strenge Bestrafung des Täters, bezeichnete den Mord allerdings als Einzelfall. Er hoffe, dass der Dialog zwischen dem Westen und dem Islam nicht erschwert werde. Die ägyptische Apothekervereinigung rief hingegen zu einem Boykott deutscher Medikamente auf. Marwa Sherbini war Apothekerin.

** Aus: Neues Deutschland, 10. Juli 2009

Deutschlands langes Schweigen

KOMMENTAR VON KARIM EL-GAWHARY ***

Ist sie das erste Todesopfer der islamfeindlichen Atmosphäre in Deutschland? Die Ägypterin Marwa al-Scherbini wurde vor acht Tagen in einem Dresdner Gericht von dem Angeklagten Axel W. erstochen, er beschimpfte die Kopftuchträgerin zuvor als Terroristin und Islamistin.

Es hat fast eine Woche gedauert, bis die Bundesregierung nun endlich den Vorfall verurteilt und bedauert. Dabei muss sie sich den Verdacht gefallen lassen, dass sie das erst tat, nachdem der Fall in Ägypten, aber auch in anderen ausländischen Medien hohe Wellen geschlagen hat.

Hätte das große Schweigen in der Politik auch so lange angedauert, wenn ein Jude in einem deutschen Gerichtssaal niedergestochen worden wäre, nachdem der Täter zuvor antisemitische Parolen gerufen hätte? Axel W. mag ein Einzeltäter sein, aber war er nicht von einer weit verbreiteten antiislamischen Atmosphäre angesteckt?

Wann immer es einen Anschlag muslimischer Fanatiker gab, wurden die deutschen Politiker nicht müde, Deutschlands Muslime aufzufordern, Stellung zu beziehen, um den Generalverdacht von sich abzuwenden. Nun stehen die Deutschen zumindest in Ägypten unter dem Generalverdacht der Islamophobie.

Wo waren in der vergangenen Woche die Stimmen in Deutschland, die den Anschlag im Gericht verurteilten? Sie waren nicht zu hören. Mit einer ganz bemerkenswerten Ausnahme. "Man muss kein Muslim sein, um sich gegen antimuslimisches Verhalten zu wenden, und man muss kein Jude sein, um gegen Antisemitismus vorzugehen", sagte der Generalsekretär des Zentralrates der Juden. Danke, Stephan Kramer, für diese deutlichen Worte. So selbstverständlich sie eigentlich sind, so selbstherrlich wurden sie in der letzten Woche von der deutschen Politik übergangen.

*** Aus: taz, 9. Juli 2009




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