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Land der Eisberge

Im Kampf gegen Links wurde die Gefahr von Rechts übersehen

Der Bericht über das Investitionsklima für ausländische Unternehmen in den fünf neuen Bundesländern: "Das Ausländerwohnheim Leisnig wurde von 30 bewaffneten Jugendlichen und Erwachsenen überfallen. In Rostock wütet schon wieder der Mob vor der Unterkunft für Asylbewerber. In Zossen will der Elternbeirat dafür sorgen, dass die Schule weiterhin ausländerfrei bleibt. Hoyerswerda ist gesäubert: Sämtliche Asylbewerber wurden unter allgemeiner Zustimmung aus der Stadt gekarrt; der Terror gegen Ausländer müsse sein, so sagte ein Bewohner dem TV-Reporter ins Mikrophon, ,bis wir frei sind von dem Viehzeug'. Aus Delitzsch berichten Schwarzafrikaner, dass Autofahrer versuchen, sie am Straßenrand anzufahren. In Dresden wurde ein junger Ausländer von Rechtsradikalen aus der Straßenbahn geworfen. Bei seiner Beerdigung traten die Rechtsextremisten mit Parolen in Erscheinung: ,Deutschland den Deutschen.'"

Wer die Geschichte des Rechtsextremis und der Gewalt gegen Ausländer in den letzten zehn Jahren kennt, der weiß: Das ist kein neuer Bericht. Die genannten Nachrichten stammen allesamt aus dem Jahr 1991. Die Gewalt, über die sich Politik, Medien und Öffentlichkeit im Sommer 2000 so entsetzen, ist nicht erst jetzt über Deutschland hereingebrochen. Man hat diese Gewalttaten damals allerdings wenig wahrgenommen. Und deshalb gilt der Bericht über das Investitionsklima im Jahr 2000 so wie im Jahr 1991, und er lässt sich noch um einige generelle Hinweise erweitern: "Ausländer werden deshalb aufgefordert, öffentliche Verkehrsmittel nie allein zu benutzen. Die Zugverbindung Leipzig-Berlin sollten sie ganz meiden. Es wird Ausländern auch dringend davon abgeraten, nach Einbruch der Dunkelheit ihre Wohnungen zu verlassen. Die Polizei kann ihre Sicherheit nicht gewährleisten."

Durchlauferhitzer NPD

Wenn sich auf der hektischen Suche nach einer technischen Lösung des Problems die Klempner der Demokratie um ein Verbot der NPD bemühen, hat das folgenden Grund: Die NPD dient als eine Art Durchlauferhitzer für junge Gewalttäter. Es ist dies deshalb eine viel gefährlichere NPD als die der sechziger Jahre. Zwar war die Partei damals parlamentarisch präsent, nämlich in sieben Landtagen vertreten. Aber die NPD von damals war eine Partei der Gestrigen. Die NPD war zwar ein Problem, aber, so dachte man, ein aussterbendes. Seit damals ist die Hoffnung verbreitet, dass rechtsradikale Parteien durch die Republik ziehen wie das dreckige Wetter; sie kommen und ziehen wieder ab.

Doch das ist eine gefährliche Betrachtungsweise. Das braune Tiefdruckgebiet hält sich in Deutschland seit Beginn der neunziger Jahre. Der Rechtsextremismus verließ seine alten Grenzen und Einflusssphären, es gelang ihm der Generationensprung aus dem Ghetto der Altherrenvereine, ohne dass die demokratischen Alarmsysteme anschlugen. Der Rechtsextremismus wurde eine verjüngte, eine junge Bewegung, gesteuert von den Alt-Neonazis, aber die demokratischen Parteien nahmen das nicht zur Kenntnis, weil sich die Rechtsradikalisierung der Jugendszene in Ostdeutschland in Wahlergebnissen kaum niederschlug. Heute ist das Wort von den national befreiten Zonen in Ostdeutschland ein Synonym für die Dominanz des Rechtsextremismus im öffentlichen Raum. Wer noch vor zwei, drei Jahren in Diskussionen auf diese "national befreiten Zonen" hinwies, wer also darauf aufmerksam machte, dass Rechtsextremisten bestimmte Gebiete Ostdeutschlands als ihre Herrschaftszone betrachten und die Ausländer das gewalttätig spüren lassen, der galt als Alarmist, als Spinner.

Dabei haben die "Republikaner" schon in den frühen Neunzigern damit begonnen, die rechtsextremen Skinhead-Subkulturen an sich zu ziehen. Die NPD hat dies nun vollendet. Sie war und ist das braune Stempelkissen, sie hat die braune Jugendkultur im Osten geprägt. Und sie ist dabei von der demokratischen Politik wenig gestört worden. Die Wahlerfolge, die die Republikaner Anfang der neunziger Jahre in Berlin und die DVU später in Sachsen-Anhalt erzielten, galten als Unfall. Als die Republikaner am 2. Januar 1989 im Fernsehsender Freies Berlin unterlegt mit der Musik aus dem Film "Spiel mir das Lied vom Tod" gegen Ausländer hetzten und sie daraufhin auf Anhieb bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 7,5 Prozent der Stimmen für sich gewannen, war die politische Öffentlichkeit zwar entsetzt. Das Entsetzen aber hielt nicht lange vor und mündete in der forcierten Übernahme rechtsradikalen Vokabulars und rechtsradikaler Argumentationsmuster durch die etablierten Parteien.

Die Union hämmerte den Leuten in die Schädel, dass 95 Prozent aller Flüchtlinge Wirtschaftsflüchtlinge seien, der damalige CDU-Generalsekretär Volker Rühe verschickte Musterpresseerklärungen solchen Inhalts, und die Chargen der zweiten Reihe gingen mit gemeinen Sprüchen an die Öffentlichkeit - so der Berliner CDU-Fraktionschef Landowsky, der von Ausländern sprach, die "bettelnd, betrügend, ja auch Messer stechend durch die Straßen ziehen, festgenommen werden und nur, weil sie das Wort Asyl rufen, dem Steuerzahler in einem siebenjährigen Verfahren auf der Tasche liegen". Ähnliche Obszönitäten zogen sich durch die nachfolgenden Jahre, zunächst als Begleitmusik zur Einschränkung des Grundrechts auf Asyl, dann zur Verschärfung des Ausländerrechts.

Im Reden über "Asylanten" und Einwanderer waren und sind die Sprüche von Politikern etablierter Parteien und von Protagonisten der Rechtsradikalen oft kaum unterscheidbar. Wenn man Parteien mit Eisbergen vergleicht, dann ist das so: Das, was jeweils aus dem Wasser herausschaut, sieht (jedenfalls von einer bestimmten Richtung aus gesehen) für das Publikum so unterschiedlich gar nicht aus. Die etablierten Parteien haben gemeint, diese Optik brächte ihnen Vorteile, weil sie so rechte Wähler an sich binden können. Der Vorteil lag aber bei den rechtsextremen Gruppen. Über der Oberfläche sahen sie nämlich nun so ähnlich aus wie die anderen. Unter der Oberfläche konnten sie umso ungenierter daran gehen, mit Gewalt aufzurüsten.
Aus: Süddeutsche Zeitung vom 21.08.2000 (Feuilleton)

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